Eine sehbehinderte Frau wird an ihrer gebuchten Pension abgewiesen. Der Zugang zum Zimmer sei zu beschwerlich. Die Frau bekommt eine Entschädigung, und das LG Meiningen erklärt die Einbeziehung von Pensionen in Massengeschäfte.
Einer blinden Frau, welcher der Zutritt zu einer gebuchten Pension aufgrund ihrer Sehbehinderung verwehrt wird, steht ein Entschädigungsanspruch gemäß §§ 21 Abs. 2 S. 3 i.V.m. Abs. 2 S. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), 253 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Höhe von 1.200 Euro zu. Das hat das Landgericht (LG) Meiningen entschieden (Urt. v. 15.01.2025, Az. 4 572/24).
Die Frau hatte im Sommer 2022 über ihren Begleiter einen Aufenthalt in einer Pension für vier Nächte zu je 55 Euro gebucht. Telefonisch teilte die Pension der Klägerin noch mit, dass nur noch ein Zimmer im Dachgeschoss verfügbar sei. Damit war die Klägerin einverstanden, einen Hinweis auf ihre Sehbehinderung gab sie nicht. Diese fiel der Pensionsbetreiberin daher erst bei der Ankunft auf und war für diese Grund genug, der Frau den Zutritt zu verweigern. Der Weg zum Zimmer sei viel zu gefährlich und beschwerlich, zumal es keinen Aufzug gebe.
Auch nach weiterer Diskussion blieb es bei der Verweigerung, sodass sich die Frau schließlich eine andere Unterkunft suchen musste und hierfür 87 Euro pro Nacht aufwendete. Die Differenz von insgesamt 130 Euro zahlte die beklagte Pension der Frau im Laufe des Rechtsstreits in erster Instanz "aus Kulanz". Die Klägerin begehrte zudem eine Entschädigung für eine mit der Zutrittsverweigerung verbundene Diskriminierung wegen ihrer Eigenschaft als blinde Person. Die Pension hielt die Verweigerung aufgrund der mangelnden Verkehrssicherheit des Hauses für blinde Personen als sachlich gerechtfertigt (§ 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AGG) und außerdem von "allgemeiner Privatautonomie" umfasst.
Beherbergungsvertrag ist ein Massengeschäft
Nachdem das Amtsgericht die Klage noch abgewiesen hatte, war die Frau mit ihrer Berufung nunmehr erfolgreich. Insbesondere sieht das LG den Anwendungsbereich des Benachteiligungsverbotes gemäß §§ 19 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG eröffnet. Entscheidend war insoweit die Einordnung des Beherbungsvertrages als Massengeschäft.
Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG liegt ein solches Massengeschäft vor, wenn Verträge "typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen". Insbesondere sei dies mit einschlägiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bei Verträgen im Bereich der Konsumgüterwirtschaft und über standardisierte Dienstleistungen, etwa des Einzelhandels, der Gastronomie oder des Transportgewerbes der Fall, so das LG Meiningen.
Im Unterschied zur Wohnraumvermietung als Dauerschuldverhältnis, wo Vermieter regelmäßig vor Vertragsschluss eine Prüfung und Auswahl des Vertragspartners vornehmen, sieht die Kammer in der Vermietung von Hotelzimmern lediglich Dienstleistungsverträge über einen kurzen Zeitraum in Form von Massengeschäften. Zur Begründung führt die Kammer unter anderem aus, dass bei einigen Hotels mittlerweile gar ein Betrieb nahezu ohne Personal und unter Einsatz von Schlüsselcodes üblich sei. Auf die Größe der Unterkunft komme es insoweit nicht an, weshalb auch für den kleinen Pensionsbetrieb der Beklagten mit 13 Zimmern nichts anderes gelte. Zudem habe die Pensionsbetreiberin angegeben, dass die Übernachtungsverträge "in der Regel mit jedem abschließt, der anfragt".
Pensionbetreiberin unterstellte AGG-Hopping
Auch § 19 Abs. 5 S. 1 AGG, auf den sich die Beklagte berief, sah die Kammer hier nicht als einschlägig an. Danach kann der Anspruch bei einem besonderen Nähe- oder Vertrauensverhältnis ausgeschlossen sein. Doch nach dem LG steht dieser Einwand "die Natur des Übernachtungsvertrages als Massengeschäft" entgegen. Insbesondere sei nicht ausreichend, dass die Pensionsbetreiberin im selben Haus wohne.
Ebenso vereinte die Kammer eine Rechtfertigung der Benachteiligung durch sachlichen Grund (§ 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AGG). Das Gericht führte dazu aus, dass die Begründung der Ablehnung seitens der Pension der Konzeption des AGG entgegenstehe: Es "ist doch gerade Ziel des AGG, die auf der Behinderung beruhenden Erschwernisse einer Teilhabe am Zivilrechtsverkehr zu beseitigen", heißt es im Urteil. Soweit die sehbinderte Frau erklärt hatte, sie würde sich den Aufenthalt trotz der vielen zu bewältigenden Stufen durchaus zutrauen, habe die Pension hierauf insbesondere auch deshalb vertrauen müssen, weil die Frau in Begleitung einer sehenden Person war. Das AGG bezwecke schließlich auch einen "Schutz behinderter Menschen vor Bevormundung", so die Kammer.
Das LG hielt deshalb eine Entschädigung in Höhe von 1.200 Euro für angemessen. Mit dem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gehe eine Persönlichkeitsrechtsverletzung einher. Auch wertete es die Kammer zulasten der Bekalgten, dass es keinerlei Wiedergutmachungsbemühungen gegeben habe. Stattdessen sei der Klägerin noch unterstellt worden, "sie würde durch das Land reisen, um sich auf diese Weise mit anwaltlicher Unterstützung unredlich finanzielle Vorteile zu verschaffen".
Die Vorwürfe gingen laut Susette Jörk, die Rechtsanwältin der Klägerin, noch weiter. Wegen eines angeblich höheren Verletzungsrisikos infolge ihrer Blindheit nannte die Beklagte die Klägerin sowohl in der vorgerichtlichen Auseinandersetzung als auch im gerichtlichen Verfahren "hochmütig", sagte Jörk gegenüber LTO. "Entscheidungen zur rechtsmissbräuchlichen Anwendung des AGG gibt es einige, die Entscheidung des Landgerichts Meiningen zeigt, dass eine wertschätzende gegenseitige Kommunikation auch nach dem eigentlichen Diskriminierungsvorfall bedeutsam ist", so Jörk weiter.
jb/LTO-Redaktion
LG Meiningen bejaht Diskriminierung durch Abweisung: . In: Legal Tribune Online, 05.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56511 (abgerufen am: 07.02.2025 )
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