41. Strafverteidigertag in Bremen: Schluss mit "Schrei nach Strafe"

von Tanja Podolski

27.03.2017

Mit einer Erklärung gegen die fortschreitende Ausweitung der Strafbarkeit endete am Sonntag der 41. Strafverteidigertag. Rund 800 Juristen hatten sich in Bremen unter dem Titel "Schrei nach Strafe" ausgetauscht. 

Mit der "Bremer Erklärung für eine liberale Strafrechtspolitik" wollen die Strafverteidiger ein "deutliches Signal gegen die fortschreitende Ausweitung der Strafbarkeit" setzen, teilten die Organisatoren des Strafverteidigertages mit. Bei der traditionell rechtspolitisch orientierten Veranstaltung trafen am Wochenende Verteidiger mit Justizvertretern, Rechtswissenschaftlern und Vertretern der Rechtspolitik in Bremen zusammen. In diesem Jahr stand die Veranstaltung unter dem Titel "Schrei nach Strafe".

In ihrer abschließenden Erklärung appellierten die Juristen an die politischen Parteien, von Forderungen nach einer weiteren Ausweitung des Strafrechts im anstehenden Wahlkampf Abstand zu nehmen. Strafe sei kein Mittel zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme. Die populäre Forderung nach ständig neuen Straftatbeständen untergrabe vielmehr den Rechtsstaat und gefährde die Freiheitsrechte der Bürger, heißt es in der Erklärung.

Kein Versagen des Strafrechts

Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt und die Vorkommnisse während der Silvesternacht vor einem Jahr hätten gezeigt, dass nicht das Strafrecht, sondern die Vollzugsbehörden versagten, wenn es darauf ankomme. Nötig seien daher mehr und gezieltere Investitionen in Prävention und in die Ausbildung der Vollzugsbehörden.

Den Parteien im Bundestagswahlkampf legten die Strafverteidiger alternativ zum "Schrei nach Strafe" einen Katalog von nach ihrer Ansicht nötigen Reformen vor: Der reicht von der Neuordnung des Rechts der Pflichtverteidigung und der Untersuchungshaft über die Einführung der audiovisuellen Aufzeichnung polizeilicher Vernehmungen und ein gesetzliches Verbot der Tatprovokation im Ermittlungsverfahren bis zur Reform des Mordparagraphen.

Zudem fordern die Strafverteidiger die Dokumentation der Hauptverhandlung in Strafsachen, die Stärkung der Opferrechte außerhalb des Strafverfahrens und die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe. Dies betreffe nur Mittellose, die eher Hilfe als Haft benötigten. Auch die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe ist eine der Forderungen des Strafverteidigertages: Diese sei schädlich, unterminiere den Anspruch auf Resozialisierung und werfe weitgehende verfassungsrechtliche Probleme auf. Außerdem sei sie unter dem Gesichtspunkten der Prävention "unsinnig".

Ein weiteres Thema war für die Strafverteidiger das kommende Referendun in der Türkei: Das AKP-regierte Land laufe auf eine Autokratie zu, die allein auf Staatspräsident Erdoğan zugeschnitten sei. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 seien mehr als 47.000 Personen inhaftiert worden. Die Rechte der Beschuldigten seien per Notstandsdekret massiv eingeschränkt worden. Eine unabhängige Justiz existiere nicht mehr. Rund 300 Rechtsanwälte befänden sich in Haft, insgesamt werde nach Angaben der Arrested Lawyers Initiative gegen über 700 Anwälte strafrechtlich ermittelt. Deutschland dürfe sich nicht zum verlängerten Arm der rechtsstaatswidrigen Praktiken machen. 

mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, 41. Strafverteidigertag in Bremen: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22487 (abgerufen am: 13.11.2024 )

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