LG Hamburg erlässt einstweilige Verfügung: RBB darf Vor­würfe im Fall Gelb­haar nicht ver­b­reiten

von Luisa Berger

21.01.2025

Der RBB berichtete über Vorwürfe von Frauen gegen den Politiker Gelbhaar – und musste sie kurz darauf wegen Recherchefehlern in Teilen wieder zurücknehmen. Nun untersagte das LG Hamburg dem Sender auch weitere Berichterstattung.

Das Landgericht (LG) Hamburg hat dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) untersagt, konkrete Vorwürfe einer Frau gegenüber dem Berliner Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar weiter zu verbreiten. Die Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung hätten nicht vorgelegen. Für den Vorwurf, Gelbhaar habe "systematisch Frauen innerhalb der Partei belästigt", fehle es an einer Grundlage, so das Gericht (Beschl. v. 20.01.2025, Az. 324 O 2/25). Die Entscheidung liegt LTO vor.

Gelbhaar sah sich seit Mitte Dezember Belästigungsvorwürfen ausgesetzt. Der RBB hatte über die Vorwürfe der Frauen berichtet, nach eigenen Angaben auf Grundlage von eidesstattlichen Versicherungen. Zudem hatte der Sender nach eigenen Angaben Einblick in anonyme Meldungen an die Ombudsstelle der Grünen. Gelbhaar hatte alle Anschuldigungen stets zurückgewiesen.

Teile seiner Berichterstattung hatte der RBB bereits am Freitag zurückgezogen und entsprechende Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen abgegeben. Grund dafür waren Zweifel an der Identität einer der Frauen, die dem Sender per eidesstattlicher Versicherung Angaben zu den Vorwürfen gegen Gelbhaar gemacht haben sollen. 

LG Hamburg: "völlig inhaltsleere Darlegungen"

Vor dem LG Hamburg ging es nun um die Schilderungen einer weiteren Frau, die Gelbhaar vor Jahren am Arm gestreichelt, am unteren Rücken angefasst und eingeladen haben soll, mit ihm alleine in eine Wohnung zu gehen. Auch diese Vorwürfe darf der RBB nicht weiter verbreiten.

Für ein systematisches Vorgehen Gelbhaars fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten. Die Vorwürfe der Frau allein würden keine ausreichende Grundlage für die Verdachtsberichterstattung, wie der RBB sie veröffentlicht hatte, darstellen, heißt es in dem Beschluss. Und auch weitere vom RBB vorgelegte eidesstattlichen Versicherungen anderer Frauen könnten den Vorwurf des systematischen Vorgehens "mit Blick auf die völlig inhaltsleeren Darlegungen" nicht tragen. In den Versicherungen war von "unangenehmen Erfahrungen" mit Gelbhaar die Rede, die aber nicht weiter konkretisiert wurden.

Trotzdem habe der RBB mit Sätzen wie "Es sind nicht die ersten Ombudsverfahren gegen Stefan Gelbhaar" die Vorwürfe als Teil eines systematischen Vorgehens wiedergegeben. Dem LG Hamburg zufolge verletzt die Berichterstattung Gelbhaar in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Ihm stehe daher ein Unterlassungsanspruch zu. 

RBB spricht von Fehlern bei der Recherche

Der RBB hatte am Wochenende Fehler in der Recherche eingeräumt. Von RBB-Chefredakteur David Biesinger hieß es: "Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden." Der RBB-Chefredakteur ergänzte zu den Zweifeln an der Identität einer Person, die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität sei von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden. 

Hinter den Vorwürfen unter falschem Namen soll die Grünen-Bezirkspolitikerin Shirin Kreße stecken. Ihr wird vorgeworfen, sich als die betroffene Person ausgegeben und unter dem Namen "Anne K." eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. 

Kreße erklärte: "Ich bin am Samstag aus der Partei Bündnis90/Die Grünen ausgetreten, habe alle parteiinternen Ämter niedergelegt, mein Mandat in der BVV Mitte niedergelegt und meinen Job in einem Grünen-Abgeordnetenbüro gekündigt." Dies teilte sie der Deutschen Presse-Agentur mit. "Grund dafür ist, dass während ich mich mit den Vorwürfen, die gegen mich erhoben wurden, auseinandersetze, ich möglichen Schaden von der Partei, aber auch Betroffenen sexualisierter Gewalt abwenden möchte."

Vorfall sorgt für Zerrüttung in der Partei

Der Bundesverband der Grünen hat Strafanzeige gegen Kreße erstattet. Für Gelbhaar haben die Vorwürfe auch zur Folge, dass er bei der kommenden Bundestagswahl nicht kandidieren wird. Seine Kandidatur für einen Platz auf der Landesliste der Berliner Grünen hat er Mitte Dezember kurzfristig zurückgezogen. 

In Reaktion auf den Fall Gelbhaar ist der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu aus der Partei ausgetreten. "Die aktuellen Vorfälle sind kein isolierter Einzelfall, sondern Ausdruck eines tief verwurzelten strukturellen Problems im grünen Landesverband Berlin", kritisierte Mutlu. "Stefan Gelbhaar wurde aufgrund einer haltlosen und offensichtlich falschen Anschuldigung sexueller Belästigung nicht nur öffentlich diffamiert, sondern politisch vernichtet." Das Muster sei immer gleich: "Es wird mit Unterstellungen gearbeitet, die jeglicher Grundlage entbehren, deren Zerstörungskraft jedoch unwiderruflich bleibt."

Auch Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck hat sich zu dem Fall geäußert. Wer immer das getan habe, habe schwere Schuld auf sich geladen gegenüber den zu Unrecht Beschuldigten – also möglicherweise gegenüber Gelbhaar, was aber noch aufzuklären sei, sagte Habeck beim Handelsblatt-Energiegipfel in Berlin.

Es sei aber auch ein Problem, weil vor allem Frauen einen Raum bräuchten, in dem sie Belästigungen ansprechen könnten, sagte Habeck. Dieser gesellschaftliche Fortschritt werde jetzt "quasi kaputt gemacht".

Die Entscheidung des LG Hamburg ist nicht rechtskräftig. Der RBB kann gegen die einstweilige Verfügung noch Widerspruch einlegen.


mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

LG Hamburg erlässt einstweilige Verfügung: . In: Legal Tribune Online, 21.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56395 (abgerufen am: 12.02.2025 )

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