Schon länger setzt die Politik auf mehr Abschiebungen. Dabei sind jedoch zwingend die Grundrechte der Betroffenen zu beachten, stellt das BVerfG nun in mehreren Fällen klar. Dies gilt umso mehr bei Abschiebehaft.
Die Festnahme mehrerer Personen, die abgeschoben werden sollten, war mangels richterlicher Haftanordnung sowie in zwei Fällen mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden und mehreren Verfassungsbeschwerden stattgegeben (Beschl. v. 04.08.2025 und 05.08.2025, Az. 2 BvR 329/22, 2 BvR 330/22, 2 BvR 1191/22).
Das BVerfG hat drei ähnlich gelagerte Fälle entschieden: Personen sollten abgeschoben werden und wurden zu diesem Zweck festgenommen. Soweit dies jedoch ohne den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden richterlichen Haftanordnungen geschah, wurden sie jeweils insbesondere in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 104 Abs. 1, 2 GG verletzt.
Im Verfahren I (Az. 2 BvR 329/22) ist eine slowakische Staatsangehörige betroffen, die seit 1997 in Deutschland lebte. Nachdem sie mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten war, plante die Ausländerbehörde im Sommer 2020 ihre Abschiebung. Dazu vereinbarte die Behörde am 13. August mit dem zuständigen Amtsgericht für den 25. August einen Termin “anlässlich der Abschiebehaft" und beantragte diese auch am 20. August. Am 25. August erfolgte tatsächlich die Festnahme, eine richterliche Abschiebehaftanordnung gab es zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht. Die Frau wurde erst nach der Festnahme dem Haftrichter vorgeführt.
In den Verfahren II (Az. 2 BvR 330/22) und III (2 BvR 1191/22) sind eritreische Staatsangehörige betroffen. Sie hatten Asylanträge gestellt, für deren Bearbeitung eigentlich Italien zuständig war – dorthin wollten die deutschen Behörden sie deshalb überstellen bzw. abschieben. In beiden Fällen scheiterte dies mehrfach. Schließlich wurden sie beide in Gewahrsam genommen und erst später einem Haftrichter vorgeführt.
Die zuständigen Fachgerichte hatten an den Vorgängen nichts auszusetzen, die Beschwerdeführer blieben insoweit erfolglos. Dies sah die 2. Kammer des Zweiten Senats ganz anders, stellte Grundrechtsverletzungen fest und verwies die Sachen zurück an die zuständigen Amtsgerichte.
Richterliche Anordnung nur ausnahmsweise nachträglich
In den Verfahren II und III habe es bereits an einer Ermächtigungsgrundlage in Gestalt eines förmlichen Gesetzes gefehlt. Weder die seitens der Behörden herangezogenen europarechtlichen Richtlinien (sog. "Aufnahmerichtlinie" und “Rückführungsrichtlinie") noch eine mittlerweile alte Fassung von § 62 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) seien insoweit taugliche Rechtsgrundlagen für die Freiheitsentziehungen, stellt das BVerfG fest.
Weiterhin bemängelt das BVerfG insbesondere die Festnahme ohne vorherige richterliche Anordnung (Verfahren I und III) bzw. ohne unverzüglich nachgeholte richterliche Anordnung (Verfahren II).
"Die Freiheitsentziehung setzt grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus", so das BVerfG. Nur ausnahmsweise sei die nachträgliche Anordnung zulässig, "wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte, verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste". Dies müsse sodann unverzüglich erfolgen, also "ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt".
BVerfG: Richter haben keine allgemeinen Dienstzeiten
Insoweit sei "weder aufgeklärt worden noch sonst erkennbar", warum die Amtsgerichte in den Verfahren I und III vor den geplanten Festnahmen keine entsprechenden Beschlüsse erließen, so das BVerfG. Dies wäre jedenfalls möglich gewesen. Denn zum maßgeblichen Zeitpunkt – der, zu dem die Ausländerbehörde eine Haftanordnung frühestmöglich hätte erwirken können – habe insbesondere kein Fall von Gefahr im Verzug vorgelegen.
Bei der im Verfahren III betroffenen Person sei auch unerheblich, dass sie nach der Festnahme unmittelbar an das Amtsgericht verbracht wurde und von der Festnahme bis zum Erlass der richterlichen Entscheidung nur etwa eine Stunde verging. "Der Richtervorbehalt unterliegt auf Rechtsfolgenseite keiner zeitlichen 'Marginalitätsschwelle'", stellt das BVerfG klar.
Im Verfahren II sei durch die Fachgerichte unzureichend aufgeklärt worden, welche Anstrengungen die Behörden unternommen hatten, um einen Richter zu erreichen. Die Ingewahrsamnahme erfolgte hier an einem Freitagnachmittag, die Vorführung beim Haftrichter erst am Samstag. Zur Begründung wurde ausgeführt, die "Geschäftszeiten" des Gerichts endeten an diesem Tag um 15 Uhr. Dazu stellt das BVerfG klar: Allgemein festgelegte Dienstzeiten für Richter gibt es nicht. Jedenfalls zur Tageszeit – also zwischen 6 und 21 Uhr – müsse die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters sichergestellt werden. Hier hätten die Fachgerichte weitergehend aufklären müssen, ob die Gerichtsorganisation am Amtsgericht mit Art. 104 Abs. 1, 2 GG in Einklang stehe, so das BVerfG abschließend.
BVerfG gibt drei Verfassungsbeschwerden statt: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58475 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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