Berliner Pannenwahl 2021: BVerfG segnet Wahl­wie­der­ho­lung­s­ur­teil des Ber­liner VerfGH ab

28.01.2025

Wegen Wahlpannen in Berlin 2021 wurde die Bundestagswahl nur in wenigen Wahlkreisen wiederholt, die parallele Berlin-Wahl nach einem Urteil des dortigen VerfGH dagegen komplett. Im föderalen Staat kein Wertungswiderspruch, sagt das BVerfG.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schließt das Kapitel zur Berliner Pannenwahl im September 2021: Die 2. Kammer des Zweiten Senats nahm eine Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 09.12.2024, Az. 2 BvR 2189/22). Dabei geht es um das Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofes (VerfGH) vom 16. November 2022, die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen zu wiederholen (Az. VerfGH 154/21).

Hiergegen wendeten sich die Kläger sowohl im Hauptsache- als auch im Eilverfahren vor dem BVerfG. Ihr Eilantrag war darauf gerichtet, die Durchführung der Wiederholungswahl zu stoppen. Doch den Antrag lehnte das BVerfG im Januar 2023 ab. Im Februar fand die Wiederholungswahl in ganz Berlin schließlich statt, der Senat wechselte seine Farben: Aus Rot-Rot-Grün wurde eine CDU-geführte Große Koalition.

Die Argumentation des BVerfG lautete damals: Subjektiver Wahlrechtsschutz bei Wahlen auf Landesebene werde grundsätzlich durch das jeweilige Land allein und abschließend gewährt. Sprich: Das jeweilige Verfassungsgericht des Landes entscheidet. Das BVerfG ist wiederum für die Bundestagswahl zuständig. Dies bekräftigte die 2. Kammer nun auch im Hauptsacheverfahren.

Falsche Stimmzettel, wenige Wahlurnen, Schlangen vor Wahllokalen

Die Pannenwahl in der Bundeshauptstadt am 26. September 2021 hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Neben dem Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen um die es in dieser Verfassungsbeschwerde geht wählten die Berliner damals auch den Bundestag.

Wegen schwerer systemischer Mängel waren die landesbezogenen Wahlen aus Sicht des Berliner VerfGH ungültig und mussten komplett wiederholt werden. Als Beispiele nannte er falsche oder fehlende Stimmzettel, zu wenige Wahlurnen, die zeitweise Schließung von Wahllokalen sowie lange Schlangen davor, mit Wartezeiten von mitunter mehreren Stunden.

Bezüglich der Bundestagswahl in Berlin hatte das BVerfG bereits im Dezember 2023 eine abschließende Entscheidung getroffen und lediglich eine Teilwiederholung in 455 der 2.256 Berliner Wahlbezirke und 1.507 Briefwahlbezirke angeordnet (Az. 2 BvC 4/23), welche am 11. Februar 2024 stattfand, aber keine Verschiebung der Sitzverteilung im Bundestag mit sich brachte. Das Vorgehen des Wahlprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages kritisierte der Zweite Senat damals deutlich.

Dieselben Wahlfehler, zwei verschiedene Maßstäbe  

Dass dieselben Wahlmängel in Berlin für die Bundestagswahl nur eine Teilwiederholung zur Folge haben, aber zur kompletten Wiederholung der Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen führen sollen, konnten viele Berlinerinnen und Berliner nicht nachvollziehen. 43 Personen reichten Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des VerfGH Berlin ein, darunter auch Politiker verschiedener Parteien. 

Bertram von Boxberg (Grüne), Stefan Förster (FDP), Jan Lehmann (SPD) und Sebastian Schlüsselburg (damals Linke, heute SPD) wollten damit nach früheren Angaben nicht die Wiederholungswahl verhindern. Sie hätten die Prüfung massiver Wahlfehler verlangt und dass nur dort die Wahl wiederholt werde, wo sich die Wahlfehler auf die Sitzverteilung im Parlament ausgewirkt hätten. Sie forderten damit einen Gleichlauf der für eine Wahlwiederholung geltenden Maßstäbe zwischen Bundestagswahl und Abgeordnetenhaus-/BVV-Wahl.

Doch das BVerfG ging hier nicht mit und betonte den Föderalismus. Schon im Eilverfahren hatte es die Verfassungsbeschwerde für unzulässig gehalten, weil das Grundgesetz Bund und Ländern eigenständige Verfassungsbereiche gewährleiste, die auch das Wahlrecht umfassten. "Das Bundesverfassungsgericht ist nach der föderalen Ordnung des Grundgesetzes keine zweite Instanz über den Landesverfassungsgerichten, die berufen ist, deren Urteile durchgängig und in vollem Umfang nachzuprüfen." Im Sinne einer "Solange III"-Rechtsprechung statuierte das BVerfG insoweit, dass es die Verfassungsmäßigkeit von Wahlen in den Ländern nur im Notfall prüfe.

BVerfG schließt mit Berliner Pannenwahl ab

Dementsprechend galt es als unwahrscheinlich, dass die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren Erfolg haben könnte. So entschied die 2. Kammer des Zweiten Senats nun auch: "Es besteht kein Anlass, von der Beurteilung durch den Senat im Beschluss vom 25. Januar 2023 abzuweichen."

Dr. Roya Sangi (Redeker Sellner Dahs), Prozessbevollmächtigte der Berliner Abgeordneten in dem Verfahren, sagte gegenüber LTO, dass ein Obsiegen in der Hauptsache nicht erwartet wurde. An dem Verfahren hielt man fest, "um dem Gericht die Möglichkeit zur Präzisierung seiner These von den sog. 'getrennten Verfassungsräumen' zwischen Bund und Ländern zu geben". Im Vergleich zum Beschluss im Eilverfahren seien "die Maßstäbe aus der Eilentscheidung zum Verstoß gegen das Homogenitätsgebot etwas aufgeweicht und die Tür für eine bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle ein Stück weit geöffnet" worden, so Sangi.

Dass insoweit überhaupt zwei unterschiedliche Maßstäbe für denselben Wahltag angelegt würden, schade "dem Vertrauen in unsere demokratischen Wahlen", so Jan Lehmann, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und einer der Beschwerdeführer. Es sei richtig, meint Lehmann weiter, "dass das Bundesverfassungsgericht anerkennt, in Ausnahmefällen auch Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte prüfen zu dürfen. Nicht schlüssig ist jedoch die Einschränkung auf eine andauernde beziehungsweise systematische Abweichung von der bundesverfassungsrechtlichen Norm. Gerade in dem Demokratie-konstituierenden Bereich der Wahlen muss jede Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts im Einklang mit der Bundesverfassungsgerichts-Rechtsprechung stehen."

Laut einem BVerfG-Sprecher sind in Karlsruhe keine weiteren Verfahren rund um die Berliner Wahl mehr anhängig.

dpa/jb/LTO-Redaktion

Anm. d. Red.: Zitat der Prozessbevollmächtigten ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 15:37 Uhr (jb)

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Berliner Pannenwahl 2021: . In: Legal Tribune Online, 28.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56445 (abgerufen am: 07.02.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen