Im Nachgang zum Solingen-Attentat geriet eine Asylrechtsanwältin ins mediale Fadenkreuz insbesondere des rechtspopulistischen Portals NiUS. Doch was DAV und BRAK stark kritisierten, war laut dem LG Berlin II rechtmäßige Berichterstattung.
Kreuze vor der Kanzlei, Beleidigungen und Drohungen – das erlebte eine Anwältin im Nachgang zu Berichterstattung von NiUS. Das Online-Medium hatte im Nachgang des Solingen-Attentats im Sommer 2024 eine Asylrechtsanwältin mit der zuvor gescheiterten Abschiebung des syrischen Täters in Verbindung gebracht. Das war rechtmäßig, wie das Landgericht (LG) Berlin II kürzlich entschied (Urt. v. 03.04.2025, Az. 27 O 304/24). Das Urteil liegt LTO vor.
Bei dem Anschlag in Solingen wurden Ende August 2024 drei Personen getötet und mehrere weitere Personen teils lebensgefährlich verletzt, der Generalbundesanwalt hat inzwischen Anklage erhoben und in Nordrhein-Westfalen befasst sich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der Tat und den Folgen.
Die Tat sorgte für weitreichende Diskussionen zum Asyl- und Ausländerrecht, insbesondere auch zu Abschiebungen. Der Angeschuldigte sollte eigentlich im Juni 2023 abgeschoben werden, die Maßnahme scheiterte aber, weil er in seiner damaligen Flüchtlingsunterkunft nicht angetroffen werden konnte. In seinem Asylverfahren wurde er von einer Dresdener Rechtsanwältin vertreten.
Bedrohte Anwältin wehrt sich – ohne Erfolg
Im Nachgang des Attentats attackierten mehrere Medien die Anwältin. Das rechtspopulistische Portal NiUS veröffentlichte mehrere Artikel, unter anderem mit der Überschrift "Ist Deutschland zu doof zum Abschieben". Hierbei wurde auch über die Dresdener Rechtsanwältin identifizierend berichtet und ihre anwaltliche Tätigkeit so dargestellt, "als berate sie unter größtmöglicher Ausschöpfung aller juristischen Wege und Möglichkeiten auch Mandanten, deren Aufenthalt in Deutschland nach geltendem Recht gar nicht verlängert werden dürfte", so das LG Berlin II.
Die Anwältin, die öffentlich auch mit einem Instagram-Profil mit einer Followerzahl im niedrigen fünfstelligen Bereich auftritt, fühlte sich im Fortgang nicht mehr sicher. Sie berichtete von Drohanrufen, Beleidigungen und dem Veröffentlichen ihrer Privatadresse im Internet. Auch hätten Mitglieder der rechtsextremen "Identitären Bewegung" drei symbolische "Gräber" nebst Holzkreuzen vor ihrem Kanzleisitz aufgeschüttet. Sowohl der DAV als auch die BRAK kritisierten die Berichterstattung von NiUS insoweit scharf.
Keine falschen Tatsachenbehauptungen von NIUS
Unter anderem hieß es in der Berichterstattung, es scheine als sei der Angeschuldigte "gewiss nicht der erste Asylbewerber, der die Dienstleistungen von [der Kanzlei der Anwältin] in Anspruch nahm – und womöglich gezielt an die Anwälte vermittelt worden ist, die gegen die eigene Ausweisung vorgehen. Wer dies veranlasst und dem Mann geholfen haben soll, der bereits 2023 schwer radikalisiert gewesen sein muss, wird zu klären sein. Aber, das steht fest: Es gibt Verantwortliche." und “Insgesamt lässt sich feststellen, dass es in Deutschland ein weit verzweigtes System von Rechtshilfen für Asylbewerber gibt, die juristischen Beistand bekommen und mit allen Mitteln und Möglichkeiten versuchen, ihre Ausweisungen anzufechten”.
Auch über Instagram-Story-Highlights der Anwältin sowie "Kundenbewertungen" berichtete NiUS.
Vor Gericht machte die Anwältin daher einen Unterlassungsanspruch gegen NiUS gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog, § 823 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geltend. Das LG Berlin II stellte aber insoweit insbesondere keine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts fest. Die Abwägung dieses Rechts mit der in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Meinungs- und Pressefreiheit von NiUS ging hier zugunsten des Online-Mediums aus, da es sich "bei den angegriffenen Äußerungen im Wesentlichen um zulässige Werturteile und wahre Tatsachenbehauptungen" handele.
Auch abwegige Meinungsäußerungen sind geschützt
Die NiUS-Berichterstattung sei "entscheidend durch Elemente des Dafürhaltens und Meinens geprägt", so die 27. Zivilkammer in ihrem Urteil. Die Meinungsäußerungen fußten dabei auf hinreichenden tatsächlichen Anknüpfungspunkten – etwa weil die Klägerin eine Rechtsanwaltskanzlei für Asyl- und Ausländerrecht betreibt und den Angeschuldigten auch tatsächlich insoweit anwaltlich beraten hatte. Das genügte der Kammer, “um die angegriffenen Darstellungen nicht als willkürlich ‘aus der Luft gegriffen’ zu erachten".
Eine Überprüfung dahingehend, ob die Anknüpfungstatsachen tatsächlich für die von NiUS gezogenen Schlussfolgerungen ausreichen, liefe "auf eine unzulässige gerichtliche Kontrolle der veröffentlichen Meinung hinaus, obwohl auch falsche, überzogene oder gar abwegige Meinungsäußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind", so die Kammer, die sich insoweit auf ständige Rechtsprechung beruft. Ebenso sei "der Presse in Ausübung ihrer journalistischen Freiheit bei der Kundgabe von Meinungen oder Einschätzungen ein bestimmtes Maß an Übertreibung und Fehlbeurteilung erlaubt".
Soweit NiUS nicht auf rechtswidrige Unterstützungshandlungen durch die Anwältin persönlich, sondern nur auf ein möglicherweise rechtswidriges Verfahrensergebnis in Gestalt eines unrechtmäßigen Aufenthalts des Angeschuldigten abstelle, sei die Eingriffsintensität in ihr Persönlichkeitsrecht als gering zu bewerten, so die Kammer.
Instagram-Auftritt wird zum Verhängnis
Auch obliege es grundsätzlich NiUS, ob die Berichterstattung identifizierend oder anonymisierend erfolge. "Denn es gehört zum Kern der Meinungs- und Medienfreiheit, dass Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, welchen Berichterstattungsteilen sie ein öffentliches Interesse zumessen und welchen nicht", heißt es im Urteil dazu. Die namentliche Nennung von – wie es die Kammer nennt – "Ross und Reiter" hinsichtlich des von NiUS behaupteten bundesweiten "System von Rechtshilfen für Asylbewerber" sei hier für die Konkretisierung, Authentizität und Nachprüfbarkeit der journalistischen Recherche notwendig.
Soweit die Anwältin als solche auch bewusst bei Instagram auftrete, müsse sie sich gefallen lassen, "dass andere zu einer von ihrer Selbstdarstellung abweichenden Bewertung ihrer anwaltlichen Tätigkeit gelangen und diese abweichende Beurteilung ebenfalls öffentlich kundtun", so die Kammer. Auch an einer Prangerwirkung fehle es schon deshalb, weil die Anwältin nicht im Zentrum der Berichterstattung gestanden habe und auch nicht mit ihrem vollständigen Vor- und Nachnamen, sondern nur mit Nachnamen, genannt wurde.
LG Berlin II sieht keine Persönlichkeitsrechtsverletzung: . In: Legal Tribune Online, 15.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57008 (abgerufen am: 25.04.2025 )
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