Die strafrechtliche Hauptverhandlung wegen des Magdeburger Weihnachtsmarkt-Attentats rückt näher. Doch das Gericht, das die Anklage prüft, ist sich jetzt unsicher: Muss der Generalbundesanwalt den Fall womöglich doch an sich ziehen?
Hat das Attentat auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt doch Staatsschutzcharakter? Der Generalbundesanwalt (GBA) hatte dies bisher verneint und die Sache deshalb in den Händen der örtlichen Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) gelassen. Doch im Zuge der Anklageprüfung durch das Landgericht (LG) Magdeburg kamen nun Zweifel an der Einschätzung des GBA auf. Die 1. Strafkammer hat die Sache dem GBA deshalb nun zur Prüfung vorgelegt (Beschl. v. 16.09.2025, Az. 21 Ks 4/25 - 111 Js 9/24).
Vor vier Wochen hatte die GenStA Magdeburg gegen Taleb A., einen 50-jährigen saudi-arabischen Arzt, Anklage erhoben. Kurz vorm Heiligabend 2024 war A. mit einem 340 PS starken Mietwagen über den Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast, es gab Tote und Verletzte. Konkret geht es in erster Linie um Mord in sechs Fällen sowie versuchten Mord an 338 weiteren Personen. Die GenStA sieht die Mordmerkmale der Heimtücke, der niedrigen Beweggründe sowie die Nutzung gemeingefährlicher Mittel als erfüllt an. Durch die Tat kamen fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren sowie ein neunjähriger Junge zu Tode.
GBA sieht keinen Staatsschutzcharakter
Einige Wochen nach der Tat war bekannt geworden: Mangels eines Staatsschutzcharakters des Falles zieht der GBA hier nicht die Ermittlungen an sich. Aus Sicht des GBA hat die Tat eher den "Charakter einer Amokfahrt aus persönlicher Frustration" und weniger den Charakter einer Terrorismustat, die gegen die Bundesrepublik oder gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sei. Erst in solchen Fällen zieht der GBA einen Fall an sich. Letztlich habe sich die Tat gegen den Weihnachtsmarkt gerichtet, der gerade keine staatliche Stelle sei, schloss die Bundesanwaltschaft ihre Zuständigkeit aus.
Damals hatte der GBA Jens Rommel gegenüber dem SWR erklärt, dass drei Voraussetzungen vorliegen müssten, damit seine Behörde aktiv werde: Es müsse eine Tat als solche vorliegen, eine besondere Bedeutung gegeben sein und zusätzlich bedürfe es eines Staatsschutzcharakters. Insbesondere die letztgenannte Voraussetzung sei hier aber nicht gegeben – der Bund sei eben nicht automatisch zuständig, nur weil eine Tat besonders groß oder schlagzeilenträchtig war.
Nach dem verfassungsrechtlichen Leitgedanken in Art. 96 Abs. 5 Grundgesetz (GG) obliegt die Strafverfolgung grundsätzlich den Ländern. Nur in den Ausnahmefällen, die der Grundgesetzartikel nennt, ist der Bund in Gestalt des Generalbundesanwalts zuständig – beispielsweise für Völkerstrafrecht und für Staatsschutz.
Sämtliche Zuständigkeiten der Bundesanwaltschaft sind in den §§ 142a, 120 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) abschließend geregelt.
Nach § 120 Abs. 1 GVG ist er unmittelbar für Spionagedelikte und weitere Straftaten aus dem Staatsschutzstrafrecht oder dem Völkerstrafrecht zuständig.
In § 120 Abs. 2 GVG sind Konstellationen geregelt, in denen der GBA nur dann zuständig ist, wenn die Tat von einer "besonderen Bedeutung" ist. Relevant sind hier beispielsweise Delikte wie die Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Auch bei Delikten aus dem Bereich der "normalen" Kriminalität – Mord, schwere Brandstiftung und ähnliches – kann der GBA gemäß § 120 Abs. 2 GVG aktiv werden, wenn neben der "besonderen Bedeutung" noch eine Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit der Bundesrepublik oder ihrer Verfassungsgrundsätze vorliegt. Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof (BGH) aufgestellt. Das bedeutet, dass die Tat das Potenzial aufweisen muss, "das innere Gefüge des Gesamtstaates zu beeinträchtigen, oder sich gegen Verfassungsgrundsätze richten" muss.
Naheliegend ist der staatsgefährdende Charakter für den BGH laut seiner Rechtsprechung auch dann, wenn sich das Handeln gegen einen (austauschbaren) Repräsentanten des abgelehnten Staates richtet, dessen Existenz und Souveränität der Täter bestreite. Auf den letztgenannten Aspekt kommt es im Magdeburger Fall wohl maßgeblich an.
Daran, dass der Staatsschutzcharakter fehlen soll, hat man beim Landgericht nun ernstliche Zweifel. Im Zwischenverfahren, in dem das Gericht die Zulassung der Anklage prüft, kam die Kammer nach Prüfung der Akten zu der Überzeugung, "dass die dem Angeschuldigten zur Last gelegten Straftaten des mehrfachen Mordes den Umständen nach geeignet sind, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, und besondere Bedeutung aufweisen". Folglich handele es sich um ein Staatsschutzverfahren.
Die Unterscheidung hat potenziell erhebliche Auswirkungen. Denn ausgehend von der Ansicht der Kammer wäre erstens nicht die GenStA, sondern der GBA für die Strafverfolgung zuständig. Zweitens wäre nicht eine Schwurgerichtskammer am Landgericht, sondern gemäß § 120 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ein Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht (OLG) Naumburg für die Durchführung der Hauptverhandlung zuständig.
GBA muss nach LG-Vorlage entscheiden, ob er an Einschätzung festhält
Grundsätzlich hat das Gericht gemäß § 6 Strafprozessordnung (StPO) in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen seine sachliche Zuständigkeit zu prüfen. Hält es einen Spruchkörper höherer Ordnung – hier das OLG – für zuständig, "so legt es die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft diesem zur Entscheidung vor", wie es in § 209 Abs. 2 StPO geregelt ist. Nach § 142a GVG hat eine solche Vorlage in Staatsschutzsachen über den GBA zu erfolgen – diesen Weg geht die Kammer auch hier im Magedeburger Fall. Der GBA soll so entscheiden können, ob er in dem Fall aktiv werden will.
Sollte der GBA an seiner Auffassung festhalten und eine Übernahme der Sache weiterhin ablehnen, stellt das LG Magdeburg in Aussicht, die Anklage voraussichtlich zuzulassen. Dann würde es ab dem 22. Oktober 2025 mit der Hauptverhandlung beginnen.
Mit Material der dpa
Landgericht zum Magdeburger Weihnachtsmarkt-Attentat: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58166 (abgerufen am: 09.11.2025 )
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