Wegen Personalmangels mussten Lehrer in Sachsen-Anhalt seit 2023 eine Unterrichtsstunde mehr pro Woche halten. Zwei Lehrer wehrten sich nun mit Erfolg gegen die Regelung: Das BVerwG hält sie für rechtswidrig.
Die Regelung, nach der Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt eine Stunde länger pro Woche vor der Klasse stehen müssen und dafür einen Ausgleich erhalten, ist rechtswidrig. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Das Land wollte damit gegen den Lehrermangel vorgehen und den Unterrichtsausfall verringern. Die Vorgriffsstundenregelung sei jedoch von der Ermächtigungsgrundlage im Landesbeamtengesetz nicht gedeckt und daher unwirksam, so das BVerwG (Urt. v. 04.09.2025, Az.: 2 CN 1.24).
Für Grundschullehrkräfte in Vollzeit bedeutete die Neuregelung 28 statt bislang 27 Unterrichtsstunden, für Sekundarschul- und Gymnasiallehrkräfte 26 statt 25 Unterrichtsstunden pro Woche. Die Regelung galt unabhängig von einer Teilzeitbeschäftigung. Die Zusatzstunde sollte durch Freizeit oder zeitnah auf Antrag durch eine Ausgleichszahlung ausgeglichen werden. Von der Regelung waren allerdings Lehrkräfte ab 62 Jahren und befristet Angestellte ausgenommen.
Eine verbeamtete Lehrerin und ein angestellter Lehrer hatten gegen die Regelung geklagt, waren in den zwei vorherigen Instanzen allerdings gescheitert. Vor dem BVerwG hatten sie jetzt Erfolg.
Regelung nicht von Ermächtigungsgrundlage gedeckt
"Zwar handelt sich bei einer Vorgriffsstunde nur um eine Verlagerung der Arbeitszeit, nicht um ihre Erhöhung oder um Mehrarbeit", so das Gericht. "Ihre Einführung muss dementsprechend nicht durch Parlamentsgesetz erfolgen." Allerdings fehle es an einer aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlichen und hinreichend bestimmten Verordnungsermächtigung.
Die Landesregierung werde zwar durch § 63 Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes ermächtigt, Näheres über die Arbeitszeit der Beamten und insbesondere die Verteilung der Arbeitszeit zu regeln. Hiervon hat Sachsen-Anhalt durch die Verordnung über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen (ArbZVO-Lehr LSA) Gebrauch gemacht. In § 4b Abs. 1 ArbZVO-Lehr LSA findet sich die Regelung zur Vorgriffsstunde.
Nach Ansicht des BVerwG gehe die Regelung in der Verordnung aber insbesondere mit der eingeräumten Möglichkeit einer finanziellen Abgeltung der geleisteten Vorgriffsstunden über die Ermächtigung hinaus und sei deshalb unwirksam.
Lehrergewerkschaft: Freiwilliges Arbeitszeitkonto als Alternative
Nach der nun gekippten Verordnung sollten sich Lehrerinnen und Lehrer die zusätzlichen Stunden über fünf Jahre hinweg vergüten lassen oder sie auf einem Arbeitszeitkonto ansparen, um sie ab dem Schuljahr 2033/34 abzubauen.
Die Leipziger Richter erachten es auch als rechtswidrig, dass nur ein Ausgleich tatsächlich erteilter Vorgriffsstunden vorgesehen ist. "Da die Vorgriffsstunde 'echte' Dienstzeit ist, muss auch krankheitsbedingt ausgefallener Dienst berücksichtigt und dem Ausgleichskonto gutgeschrieben oder ausgezahlt werden", hieß es.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßt die Entscheidung des BVerwG. "Lehrkräfte arbeiten bereits am Limit und werden mit den neuerlichen Maßnahmen noch stärker belastet", erklärte Sachsens GEW-Landesvorsitzender Burkhard Naumann. Er forderte, die Pläne zur Vorgriffsstunde in Sachsen aufzugeben. Viele Lehrkräfte seien bereit, auf freiwilliger Basis mehr zu leisten – wenn die Rahmenbedingungen stimmten. "Ein attraktives, freiwilliges Arbeitszeitkonto wäre die richtige Alternative zur Vorgriffsstunde. Für dessen Einführung sind wir verhandlungsbereit", so Naumann.
Sachsen-Anhalts Bildungsminister Jan Riedel (CDU) erklärte: "Wir akzeptieren die Entscheidung, hätten uns aber eine andere gewünscht. Die Vorgriffstunde ist ein Instrument, mit dem wir die Abdeckung des Unterrichts in schwierigen Zeiten stabilisieren und die Belastung für das Schulsystem abfedern können." Das Ministerium will die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann prüfen, welche Möglichkeiten es gibt.
dpa/lmb/LTO-Redaktion
BVerwG zur Vorgriffsstundenregelung in Sachsen-Anhalt: . In: Legal Tribune Online, 05.09.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58084 (abgerufen am: 09.11.2025 )
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