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BVerfG zu mehrfachen "Hinweisen" von Zivilrichtern: Ver­g­leichs­druck kann Besorgnis der Befan­gen­heit begründen

von Joschka Buchholz

30.04.2025

Aktenstapel auf der Richterbank am BVerfG

Auch wenn Richter sich überlastet fühlen, dürfen sie die Parteien nicht wiederholt zu einem Vergleich drängen, stellte das BVerfG klar.  Foto: picture alliance/dpa | Uli Deck

Wann ist die Grenze der zulässigen Verfahrensbeschleunigung seitens des Gerichts überschritten? Das BVerfG stellte dies nun mit Blick auf die Besorgnis der Befangenheit von Zivilrichtern klar. Dabei übte es auch harte Kritik am OLG München.

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Die Besorgnis der Befangenheit eines Zivilrichters oder einer Zivilrichterin gemäß §§ 42ff. Zivilprozessordnung (ZPO) kann sich daraus ergeben, dass dieser gegenüber den Parteien mit zu großem Nachdruck auf einen Vergleich hinwirkt. Entsprechende Beschlüsse des Oberlandesgerichts (OLG) München, mit denen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches gebilligt wurden, verletzen die grundrechtsgleichen Rechte auf einen gesetzlichen Richter sowie auf rechtliches Gehör aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 und Art. 103 Abs. 1 und Grundgesetz (GG). Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit am Dienstag veröffentlichtem Beschluss entschieden (Beschl. v. 03.03.2025, Az. 1 BvR 750/23 und 1 BvR 763/23).

Das OLG hätte den Vergleichsdruck in seinen Beschlüssen nicht hinreichend berücksichtigt, so das BVerfG, das deutliche Worte fand: "Die vom Oberlandesgericht abschließend vorgenommene Gesamtbetrachtung beschränkt sich auf Leerformeln."

Kammer: Können wegen Überlastung derzeit keinen Beweisbeschluss erlassen

Dem Fall liegt ein bereits seit 2015 vor dem Landgericht (LG) München I geführtes Zivilverfahren in einer millionenschweren Bausache zugrunde. Klägerin und zugleich Beschwerdeführerin beim BVerfG ist eine Société en Commandite Simple (SCS, ähnlich der Kommanditgesellschaft). 

Im Ausgangsverfahren gab es mehrfach einen Klägerwechsel. Im August 2020 hörte das Gericht einen Sachverständigen an, woraufhin die Kammer die Fortsetzung der Beweisaufnahme in Aussicht stellte. Ein entsprechender Beweisbeschluss erging gleichwohl nicht. Kurze Zeit später wurden außergerichtliche Vergleichsverhandlungen aufgenommen, über deren Scheitern die damalige Klägerin das Gericht im März 2021 informierte. Drei Monate später fragte die Kammervorsitzende an, ob die Verhandlungen nochmals aufgenommen worden seien. Anderenfalls müsse die weitere Beweisaufnahme "kostenintensiv" durchgeführt werden.

Jedoch blieben auch weitere Vergleichsverhandlungen ohne Erfolg, was dem Gericht im September 2021 mitgeteilt wurde. In der Folgezeit trat dann die SCS als Klägerin in das Verfahren ein. Im März 2022 lehnte sie einen Vergleich ab und verlangte vielmehr den Erlass eines Beweisbeschlusses. Die Kammer vermerkte im Protokoll, dass sie durch mehrere hundert laufende Verfahren überlastet sei und sich nicht in der Lage sehe, innerhalb des nächsten halben Jahres "einen umfangreichen Beweisbeschluss über ein Altverfahren aus dem Jahr 2015 mit 3 Aktenbänden nebst Anlagen zu verfassen".

Es kam sodann zu weiteren Verhandlungsterminen. Die Kammer unterbreitete einen ausformulierten Vergleichsvorschlag, den die SCS ablehnte. Ende Juli 2022 sprach die Kammer erneut zwei Mal eine "einvernehmliche Lösung" an, die "aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll und prozessökonomisch" erscheine.

Ein Vergleich um jeden Preis?

Schließlich lehnte die SCS im August 2022 sowohl die Kammervorsitzende als auch einen der beisitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Hinweise der Kammer hätten allein das Ziel gehabt, sie unangemessen unter Druck zu setzen, einen von ihr nicht befürworteten Vergleich zu schließen, so die SCS. Im Hinblick auf die Kammervorsitzende sei die Besorgnis der Befangenheit zudem durch ihre Verhandlungsführung im Juli 2022 begründet. Die Vorsitzende habe sich “ostentativ der Beklagten zugewandt” und explizit darauf hingewiesen, die Beklagte solle sie unterbrechen, wenn sie etwas Unzutreffendes ausführe. Korrekturen seitens der SCS seien hingegen "barsch" zurückgewiesen worden. Auch habe sie trotz entsprechender Hinweise falsche Angaben ins Protokoll aufgenommen.

Die abgelehnten Richter gaben dazu dienstliche Stellungnahmen ab. Sodann wies das Landgericht das Ablehnungsgesuch zurück, woraufhin die Klägerin sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) München erhob. Diese wurde seitens des OLG ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen, auch eine Anhörungsrüge blieb insoweit ohne Erfolg.

Zwischenzeitlich hatte die Kammervorsitzende – während des laufenden Ablehnungsverfahrens – eine Frist zur Stellungnahme hinsichtlich verschiedener prozessrelevanter Fragen gesetzt. Gleichwohl bestimmt § 47 Abs. 1 ZPO, dass vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen durch den abgelehnten Richter vorgenommen werden dürfen, die keinen Aufschub gestatten ("Wartepflicht"). Daher lehnte die SCS sie erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab, denn sie habe durch ihr Vorgehen abermals demonstriert, dass sie ihr Begehren nicht ernst nehme. Auch hierzu entschied letztlich das OLG München gleichlautend, dass das Ablehnungsgesuch zu Recht zurückgewiesen wurde.

BVerfG: Begründung des OLG "pauschal und inhaltsleer"

Die 3. Kammer des Ersten Senats sieht die Verfassungsbeschwerden als offensichtlich begründet an. Hinsichtlich des ersten Ablehnungsgesuches stellt das BVerfG fest, dass das OLG die SCS in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hat. Das Vorbringen der SCS zum unangemessenen Vergleichsdruck habe das OLG zwar zur Kenntnis genommen, jedoch sei es hierauf nicht hinreichend eingegangen, kritisiert die 3. Kammer.

Auch stellt das BVerfG in Bezug auf die Kammervorsitzende eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG fest. Denn hiermit werde garantiert, "dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet". Derweil lasse eine im Ablehnungsverfahren abgegebene dienstliche Stellungnahme der Richterin "offenkundig" auf eine mögliche Voreingenommenheit schließen, so das BVerfG. Das ergebe sich auch aus mehrfach gewählten ironischen Formulierungen seitens der Richterin, die "zur Sachaufklärung nichts beitragen, aber geeignet sind, das Vorbringen der Beschwerdeführerin lächerlich zu machen". Ausgehend davon hätte das OLG besonders sorgfältig prüfen müssen, ob die Besorgnis der Befangenheit dennoch auszuschließen ist – die "pauschale und inhaltsleere Begründung" des OLG, "die sich mit den einzelnen gerügten Aspekten nicht näher auseinandersetzt", werde gleichwohl "der Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht gerecht".

Hinsichtlich des zweiten Ablehnungsgesuchs stellt das BVerfG ebenfalls eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG fest. Zwar folge nicht allein aus dem Verstoß gegen die Wartepflicht (§ 47 Abs. 1 ZPO) die Besorgnis der Befangenheit. Anders als das OLG meinte, komme es diesbezüglich aber nicht auf die tatsächliche innere Haltung des Richters, sondern nur auf den "bösen Schein" aus einer verobjektivierten Sicht der Verfahrensbeteiligten an. Abermals habe die dienstliche Stellungnahme zudem auf eine Voreingenommenheit der Richterin schließen lassen, was seitens des OLG nicht hinreichend berücksichtigt worden sei, so das BVerfG.

Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das OLG München zurückverwiesen.

Wann ein Richter im Strafprozess "befangen" ist, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des LTO-Formats "Eine Frage an Thomas Fischer".

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BVerfG zu mehrfachen "Hinweisen" von Zivilrichtern: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57099 (abgerufen am: 16.11.2025 )

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