BVerfG stärkt die Tarifautonomie: Coca-Cola darf Nacht­schicht- und Nacht­ar­beit unter­schied­lich ver­güten

19.02.2025

Im Coca-Cola-Tarifvertrag sind Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit unterschiedlich geregelt und werden entsprechend nicht gleich vergütet. Dass das kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist, hat nun das BVerfG entschieden.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat fälschlicherweise einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) darin gesehen, dass manche Mitarbeiter von Coca-Cola einen Nachtarbeitszuschlag von 50 Prozent erhalten, während anderen tarifvertraglich für Nachtschichtarbeit nur 25 Prozent Zuschlag zustehen. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden und wiederum einen Verstoß gegen die Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG bejaht (Beschl. v. 11.12.2024, Az. 1 BvR 1109/21 und 1 BvR 1422/23).

Juristisch geht es um Verfassungsbeschwerden gegen zwei Urteile des BAG. Nach längerem Hin und Her – inklusive einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) – hatte das BAG entschieden: Coca-Cola müsse höhere als tarifvertraglich vereinbarte Zuschläge an die jeweils in Nachtschichtarbeit beschäftigten klagenden Mitarbeiter zahlen. Entscheidend war hier laut dem höchsten Arbeitsgericht, dass manche Coca-Cola-Arbeitnehmer für ihre Tätigkeit zur Nachtzeit einen Zuschlag von 50 Prozent erhalten, während andere für Nachtschichten lediglich einen Zuschlag von 25 Prozent bekommen.

Nach dem Manteltarifvertrag gibt es bei Coca-Cola für regelmäßige Nachtarbeit im Schichtsystem nur 25 Prozent Zuschlag, während der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit bei 50 Prozent liegt. Begründet wird die höhere Zulage für die unregelmäßige Nachtarbeit damit, dass sie für die Betroffenen noch belastender sei, weil man sie nicht planen könne. Außerdem gebe es bei regelmäßigen und damit planbaren Nachtschichten zusätzliche Vergünstigungen, zum Beispiel freie Tage als Ausgleich.

Trotzdem hat das BAG entschieden: Diese Praxis, bei der tarifvertraglich zwischen gelegentlicher Nachtarbeit und regelmäßigen Nachtschichten differenziert wird, verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da beide Zuschlagstatbestände an die Arbeitsleistung anknüpften und für eine Ungleichbehandlung insoweit kein sachlicher Grund vorliege. Es müsse deshalb eine "Anpassung nach oben" geben, sodass für die benachteiligte Nachtschichtarbeit rückwirkend die (höheren) Nachtarbeitszuschläge zu zahlen seien.

Nach diesen BAG-Entscheidungen erhoben die Arbeitgeberinnen der klagenden Arbeitnehmer Verfassungsbeschwerde.

Gerichte kontrollieren nur auf willkürliche Ungleichbehandlung

Darin, dass das BAG Arbeitnehmern in der Nachtschichtarbeit ebenfalls 50 Prozent statt nur 25 Prozent Zuschlag zugesprochen hat, liegt laut BVerfG eine Verletzung der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zulasten von Coca-Cola als Arbeitgeber. Das BAG habe in seinen Entscheidungen die Koalitionsfreiheit nicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise berücksichtigt, so das BVerfG.

Zunächst stellt der Senat fest, dass Tarifvertragsparteien zwar "zum Schutz ihrer Mitglieder bei der Vereinbarung verbindlicher Tarifnormen an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden" seien. Um den Zweck der Tarifautonomie, also die grundsätzlich autonome Aushandlung der Tarifregelungen, zu wahren, beschränke sich die richterliche Kontrolldichte jedoch auf eine Willkürkontrolle, so das BVerfG weiter.

Diesen Kontrollmaßstab habe das BAG bei der Prüfung der Tarifverträge verletzt. Sachliche Gründe, die die Differenzierung zwischen Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit unter Berücksichtigung des Willkürmaßstabes rechtfertigen könnten, seien insbesondere die "unterschiedlichen sozialen Belastungen in Folge der unterschiedlichen Planbarkeit, der Aspekt der Verteuerung von Nachtarbeit für den Arbeitgeber sowie die Erwägung, dass die Beschäftigten durch den erhöhten Zuschlag zur Erbringung von Nachtarbeit motiviert werden können", so der Senat.

Übergriffiges BAG auf Rechtsfolgenseite

Auch auf Rechtsfolgenseite war die Entscheidung des BAG, eine "Anpassung nach oben" vorzunehmen, verfassungsrechtlich fehlerhaft, so das BVerfG. Der "primären Korrekturkompetenz der Tarifvertragsparteien" sei nicht hinreichend Rechnung getragen worden, so der Senat, denn die "Anpassung nach oben" könne nicht auf einen Willen der Tarifvertragsparteien gestützt werden. Zu berücksichtigen sei insbesondere das quantitative Verhältnis: Die unregelmäßige, ungeplante Nachtarbeit komme nur ganz selten und in Ausnahmefällen vor, während die Nachtschichtarbeit sehr viel verbreiteter sei. Dies sei den Tarifvertragsparteien bei Abschluss des Tarifvertrages beziehungsweise bei Aufstellung der differenzierenden Regelungssysteme bewusst gewesen, so das BVerfG.

Selbst wenn man wie das BAG unterstellte, dass die unterschiedlichen Regelungen den Gleichheitsgrundsatz verletzen, hätten die Tarifvertragsparteien immer noch eine von der Tarifautonomie geschützte Korrekturkompetenz. Mit anderen Worten: Die Parteien hätten vom BAG erst einmal Gelegenheit bekommen müssen, selbst eine neue Lösung zu finden. Mit seiner Entscheidung habe das BAG diesen Gestaltungsspielraum zulasten Coca-Colas überspielt.

Die Entscheidung erging mit sieben zu einer Stimme. Verfassungsrichter Heinrich Amadeus Wolff gab ein Sondervotum hinsichtlich der Herleitung des Willkürverbots ab. 

Das BVerfG hat die Sache damit zur erneuten Entscheidung an das BAG zurückverwiesen. 

Die Verfassungsbeschwerden wurden von Prof. Dr. Matthias Jacobs (Bucerius Law School) und Prof. Dr. Clemens Höpfner (Uni Köln) betreut.

jb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG stärkt die Tarifautonomie: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56627 (abgerufen am: 15.03.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen