BVerfG zu verdeckter Observation: NRW muss sein Poli­zei­ge­setz nach­bes­sern

03.01.2025

Das Polizeigesetz NRW erlaubt großangelegte, verdeckte Observationen. Das geht in Ordnung, aber nur, wenn es klare Voraussetzungen dafür gibt, hat das BVerfG entschieden. Sein Gesetz muss das Bundesland nun bis Ende 2025 nachbessern.

Die im Polizeigesetz NRW (PolG NRW) vorgesehene längerfristige Observation unter Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen ist mit der informationellen Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) unvereinbar und verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden (Beschl. v. 14.11.2024, Az. 1 BvL 3/22).

Konkret geht es um § 16a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und § 17 Abs. 1 S. 1 Var. 1, 2 Nr. 2 PolG NRW. Hiernach ist die Polizei zu längerfristigen Observation bei gleichzeitig verdecktem Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und -aufzeichnungen ermächtigt. 

Weil in den Normen aber "keine dafür hinreichend hohe und bestimmte Eingriffsschwelle als Anlass der Überwachung" vorgesehen sei, erklärte der Erste Senat diese Art der Observation für mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar. Um solche eingriffsintensiven Maßnahmen zu erlauben, sei entweder eine konkrete oder eine wenigstens konkretisierte Gefahr in den Normen erforderlich, so der Senat weiter.

Behörden überwachten Mann, schossen aber auch Fotos von Frau

Bei solchen großangelegten Observationen werden naturgemäß auch unverdächtige Personen mitbeobachtet, was § 16a Abs. 1 S. 2 PolG NRW explizit billigt. Genau das führte dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Normen vom BVerfG überprüfen ließ. 

Das BVerwG verhandelt nämlich die Klage einer Frau, über die als sogenannte unbeteiligte Dritte im Sommer 2015 Daten erhoben worden waren. Die Zielperson der Observation war damals eigentlich ein Mann aus dem rechtsextremen Spektrum, der nach einer verbüßten Haftstrafe unter anderem wegen Totschlags noch für einen Monat verdeckt beobachtet wurde, "um sein Abtauchen und zukünftige schwerwiegende Straftaten der politisch motivierten Gewaltkriminalität zu verhindern", wie es damals zur Begründung der Beobachtung hieß.

Dabei fertigten die Sicherheitsbehörden auch Fotos von der Frau an. Vom BVerwG möchte die Frau feststellen lassen, dass das rechtswidrig war. Weil der zuständige BVerwG-Senat die Ermächtigungsgrundlage im PolG NRW für verfassungswidrig hält, setzte er das Verfahren aus und legte die Frage der Verfassungswidrigkeit gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vor (Beschl. v. 31.05.2022, Az. BVerwG 6 C 2.20).

Eingriffsintensive Beobachtung ohne konkrete Voraussetzungen

Der Erste Senat sieht in der präventiv ausgestalteten, längerfristigen Observation unter gleichzeitigem Einsatz von Foto- und Videotechnik einen "schweren Eingriff" in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dabei genügen die Befugnisnormen des PolG NRW "weder den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit noch dem Bestimmtheitsgebot", so der Senat.

Die Unverhältnismäßigkeit begründet der Senat damit, dass die zwei Normen im PolG NRW hinter den Anforderungen an eine konkretisierte Gefahr und erst recht hinter denen an eine konkrete Gefahr zurückblieben. Denn es reiche nach den Befugnisnormen schon aus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Personen bestimmte Straftaten "begehen wollen". Insbesondere sei in verfassungswidriger Weise nicht erforderlich, "dass Tatsachen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen müssen und dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann", so der Senat. Mit anderen Worten: Weil es keine bestimmten Kriterien gibt, wann und wen die Polizei so eingriffsintensiv überwachen darf, würden unverhältnismäßigen Maßnahmen Tür und Tor geöffnet.

Weiter stellt der Senat fest: "Allein die auf Tatsachen gegründete, nicht näher konkretisierte Möglichkeit, dass jemand irgendwann in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen will, wird dem Bestimmtheitsgebot nicht gerecht". Die Bestimmung der Voraussetzungen und Grenzen des Eingriffs obliege nach den Normen im PolG NRW der Polizei, was verfassungsrechtlich zu beanstanden sei. Denn die Polizei, so der Senat, "entscheidet ohne nähere gesetzliche Vorgaben über die Grenzen der Freiheit des Bürgers und muss sich die Maßstäbe dafür selbst zurechtlegen". Dabei sei das aber Aufgabe der Legislative, nicht der Exekutive. 

Das heißt im Ergebnis: NRW muss sein Gesetz nachbessern. Zwar nicht, was die Observation als solche angeht, aber was die konkrete Ausgestaltung und die Voraussetzungen für eine Observation betrifft. Bis es so eine Neuregelung gibt, längstens aber bis Ende 2025, gelten die Normen laut BVerfG mit der Maßgabe fort, dass laut den Normen nur beobachtet werden darf, wenn eine wenigstens konkretisierte Gefahr besteht.

jb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zu verdeckter Observation: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56248 (abgerufen am: 15.01.2025 )

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