Gewerkschaften wollen neue Mitglieder werben und begehren dafür auch einen digitalen Zugang bei Arbeitgebern. Gerichtlich scheiterte dies nun, jedoch könnte der Gesetzgeber hier aktiv werden.
"Es ist ein ziemlich unwägbares Gelände, das wir hier betreten", sagte die Vorsitzende des Ersten Senats und zugleich Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Inken Gallner in der Verhandlung um die Herausgabe von E-Mail-Adressen an eine Gewerkschaft. Verhandelt wurde ein Fall zu Adidas in Bayern, der Sportartikelhersteller obsiegte letztlich und ist nicht verpflichtet, der für ihn tarifzuständigen Gewerkschaft die dienstlichen E-Mail-Adressen seiner – bereits vorhandenen und neu hinzukommenden – Arbeitnehmer zum Zweck der Mitgliederwerbung mitzuteilen (BAG, Urt. v. 28.01.2025, Az. 1 AZR 33/24).
Es geht um Veränderungen im Arbeitsalltag - der für viele Frauen und Männer digitaler und mobiler wird. Der Erste Senat beschäftigte sich mit Gewerkschaftsrechten in der digitalen Arbeitswelt. Konkret ging es um die Frage, wie Gewerkschaften Arbeitnehmer erreichen können, die häufig mobil arbeiten und nur noch selten an ihrem Arbeitsplatz im Betrieb anzutreffen sind.
Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) verlangte daher von Adidas die Herausgabe dienstlicher E-Mail-Adressen von Beschäftigten oder zumindest einen Gastzugang über eine eigene E-Mail-Adresse. Damit pocht die IG BCE auf ein digitales Zugangsrecht für ihre Mitgliederwerbung und -information. Die Gewerkschaft verweist auf ihre verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit. In den Vorinstanzen hatte sie keinen Erfolg mit ihrer Klage (Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urt. v. 26.09.2023, Az. 7 Sa 344/22).
Gesetzgeber am Zug
Nach verschiedenen Urteilen des BAG dürfen Gewerkschaften, die beim jeweiligen Unternehmen auch die Tarifzuständigkeit haben, Mails zu Werbezwecken auch ohne Einwilligung des Arbeitgebers an betriebliche E-Mail-Adressen schicken. Neu am Fall aus Bayern ist, dass der Arbeitgeber das nicht nur dulden soll, sondern aktiv werden müsste, um den Arbeitnehmervertretern elektronisch Zugang zu verschaffen - durch Mail-Adressen oder sogar einen Auftritt im betrieblichen Intranet. Ein Rechtsanwalt von Adidas sagte in der Verhandlung: "Wenn Sie jetzt Flugblätter hätten, müssten wir die dann auch verteilen?"
Die Richter fragten die Juristen beider Seiten nach einem möglichen Vergleich – beispielsweise durch einen Link zur IG BCE im Intranet des Unternehmens – beide lehnten ab. "Wir sehen den Gesetzgeber gefordert", so ein Anwalt von Adidas.
Auch das BAG entschied nun letztlich, dass ein solches Begehren nicht auf eine von den Gerichten – im Weg der gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung – vorzunehmende Ausgestaltung der durch Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit gestützt werden könne. Im Wege der praktischen Konkordanz hatte der Senat die Koalitionsbetätigungsfreiheit einerseits sowie die Grundrechte von Arbeitgeber und Arbeitnehmern andererseits in einen Ausgleich miteinander zu bringen. Insoweit blieb die Klage erfolglos, denn die bloße Übermittlung der betrieblichen E-Mail-Adressen "ermöglicht keine - die kollidierenden Verfassungswerte ausgleichende - Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungsfreiheit", so das BAG.
dpa/jb/LTO-Redaktion
BAG stößt an Grenzen von Art. 9 Abs. 3 GG: . In: Legal Tribune Online, 28.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56452 (abgerufen am: 17.03.2025 )
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