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LG Koblenz zur Bezeichnung als "Drecksack": 600 Euro Sch­mer­zens­geld für Cem Özdemir

10.07.2024

Cem Özdemir

Mit einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hätte das Verfahren enden können – doch der Mann blieb beharrlich. Foto: picture alliance/dpa | Hannes P Albert

Ein Mann, der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auf Facebook als "Drecksack" bezeichnete, muss diesem Schmerzensgeld zahlen und Abmahnkosten erstatten. Das Persönlichkeitsrecht sei für Politiker besonders essenziell, so das LG Koblenz.

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Die Bezeichnung von Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir (Grüne) als "Drecksack" kommt einen Mann teuer zu stehen. Nach einem Beschluss des Landgerichts (LG) Koblenz muss er 600 Euro Schmerzensgeld an Özdemir zahlen sowie ihm 800 Euro vorgerichtliche Abmahnkosten erstatten (Beschl. v. 04.03.2024, Az. 14 O 784/23).

Ausgangspunkt des Verfahrens ist ein Kommentar des Mannes unter einem Facebook-Posting von Özdemir im April 2022 mit dem Inhalt "Drecksack". Daraufhin erstatte Özdemir zunächst Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft Koblenz erledigte das Verfahren im April 2023 im Wege des § 153a Strafprozessordnung (StPO; Absehen von Verfolgung unter Auflagen), der Mann sollte hiernach 1.000 Euro zahlen. Dies tat er indes nicht, sodass vor dem Amtsgericht (AG) Altenkirchen nunmehr das Strafverfahren gegen ihn geführt wird (dort Az. 9 Cs 2020 Js 3789/23).

Zusätzlich versandte Özdemirs Anwalt im August 2023 eine Abmahnung. Unter Fristsetzung sollte der Mann eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben sowie die durch die Abmahnung entstandenen Kosten erstatten. Auch hierauf reagierte der Mann nicht. Deshalb beantragte Özdemir, dem Mann die Bezeichnung als "Drecksack" ihm gegenüber zu untersagen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bzw. Ordnungshaft bis zu sechs Monaten beantragt. Ebenfalls wurde beantragt, den Mann zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 600 Euro nebst Zinsen sowie den vorgerichtlichen Abmahnkosten in Höhe von 800,39 Euro nebst Zinsen zu verurteilen. Dem entsprach das mit dem Fall zunächst befasste Amtsgericht.

Vor dem LG Koblenz wollte der Mann sich dagegen wehren und beantragte, die Klage abzuweisen und ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren. Die bewilligte das LG mit seinem aktuellen Beschluss aber nicht. Der Grund: Das Rechtsmittel habe "keine Aussicht auf Erfolg". In seinem Beschluss setzt sich das LG im Detail mit dem Persönlichkeitsrecht für Politiker auseinander.

Persönlichkeitsrecht für Politiker besonders essenziell

Der Mann führte als Argument vor dem LG an, über 22 Monate nach seinem Posting bestehe keine Wiederholungsgefahr mehr, weshalb die Klage abzuweisen sei. Sein Posting sei zwar unsachlich, stelle jedoch eine Reaktion auf ein Verhalten des Landwirtschaftsministeriums dar und lasse sich daher als Meinungsäußerung einordnen. Das Gericht verwies aber darauf, dass sich nach ständiger Rechtsprechung eine Wiederholungsgefahr nur durch Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung sicher ausschließen lasse.

Weiter entschied die 14. Zivilkammer, dass in der Tat eine Meinungsäußerung des Mannes vorliege – und diese sich als ehrenrührig darstelle, die Cem Özdemir insoweit in seinem Persönlichkeitsrecht verletze. Das Gericht betonte dabei, dass der Mann sich gemäß Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) durchaus auch "in scharfer Form kritisch" über Özdemir äußern dürfe. Art. 5 Abs. 2 GG statuiere aber auch das Recht auf persönliche Ehre und öffentliches Ansehen, das der Meinungsfreiheit eine Schranke sein könne. Deshalb müsse eine einzelfallbezogene, konkrete Abwägung der Meinungsfreiheit des Mannes gegenüber dem Persönlichkeitsrecht Özdemirs stattfinden.

Die Kammer kam hierbei zu dem Ergebnis, dass das Persönlichkeitsrecht von Cem Özdemir im konkreten Fall die Meinungsfreiheit des Mannes überwiege. Weil der Mann die "Drecksack"-Äußerung in einem sozialen Netzwerk tätigte, entfalte diese eine konkrete Breitenwirkung, so die Kammer. Der Äußerung fehle ein sachlicher Bezug zum Inhalt von Özdemirs Post und habe nur das Ziel gehabt, den Politiker zu diffamieren. Folglich liege kein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung vor, so das Gericht.

Im Rahmen der Abwägung berücksichtigte die Kammer, dass das Posting nicht die Privatsphäre von Özdemir betreffe, sondern dessen öffentliche Wirkung als Politiker. Zudem sei der Schutz der Meinungsfreiheit "gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und finde darin unverändert seine Bedeutung", teilt das Gericht mit. Daraus folge aber nicht, dass jedwede Beschimpfungen von Politikern von der Meinungsfreiheit geschützt seien. Schließlich könne die "Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft" nur erwartet werden, "wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet werde", so das Gericht abschließend.

Das Verfahren ging danach im Wege der sofortigen Beschwerde zum OLG Koblenz, wo der Mann jedoch ebenfalls erfolglos blieb. Daraufhin erkannte er die Klage an, nahm sein Rechtsmittel zurück und wurde antragsgemäß durch Anerkenntnisurteil vom 25. Mai 2024 verurteilt.

jb/LTO-Redaktion

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LG Koblenz zur Bezeichnung als "Drecksack": . In: Legal Tribune Online, 10.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54961 (abgerufen am: 13.06.2025 )

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