Der Vorwurf, ihr Anwalt würde sie betrügen und sei inkompetent, brachte einer Frau eine Geldstrafe ein. Diese Verurteilung verletzt jedoch ihr Recht auf Meinungsfreiheit, meint das BVerfG und richtet deutliche Worte an die Instanzgerichte.
Die Verurteilung einer Deutsch-Polin wegen Beleidigung, die ihrem Rechtsanwalt in wütenden E-Mails ihre Unzufriedenheit mit dessen Arbeit kundtat, verletzt diese in ihrer Meinungsfreiheit. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden und die mangelhafte Abwägung der Strafgerichte zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht kritisiert (Beschl. v. 16.01.2025, Az. 1 BvR 1182/24).
Die Frau hatte den Rechtsanwalt in einem Rechtsstreit mit ihrer Versicherung beauftragt. Weil sie fand, dass der Anwalt nicht schnell genug arbeite und sie zudem eine fehlerhafte Abrechnung wähnte, schrieb sie ihm insgesamt vier E-Mails. Darin hieß es: "Ich habe das Gefühl, dass sie bauen mir absichtlich die Schaden", "Weil sie mich mit Ihrem Gelderschleichen versuchen zu betrogen (…)" und "jetzt werden wir ihre Betrug klären, ihre Inkompetenz (…)".
Für diese Aussagen erließ das Amtsgericht (AG) Mönchengladbach auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl*, die Frau sollte eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 Euro zahlen. Das AG war der Auffassung, die Frau wollte den Rechtsanwalt insbesondere in seiner Berufsehre als Anwalt verletzen und herabwürdigen und habe ihm absichtlich strafbares Verhalten unterstellt. Die Anwaltskammer, bei der die Frau den Anwalt gemeldet hatte, habe aber kein Vergehen feststellen können.
Die Frau ließ das nicht auf sich sitzen und zog vor das Landgericht Mönchengladbach und weiter vor das Oberlandesgericht Düsseldorf. Beide Gerichte wiesen ihre Rechtsmittel ab. Daraufhin legte sie Verfassungsbeschwerde ein – und bekam recht.
BVerfG: Urteile verkennen Bedeutung der Meinungsfreiheit
Die Verurteilung wegen Beleidigung verletze die Frau in ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz, so das BVerfG. Die Gerichte hätten sich bereits nicht ausreichend mit der Frage beschäftigt, ob es sich bei den Aussagen um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelte.
Zwar deute die Annahme, dass die Frau dem Rechtsanwalt durch den Betrugsvorwurf strafbares Verhalten unterstellt habe, auf eine Tatsachenbehauptung hin. Allerdings könne darin je nach Kontext auch eine Meinung zu sehen sein, stellen die Karlsruher Richter klar. Die Gerichte hätten aber nicht begründet, "warum die Verwendung eines sowohl in der Umgangssprache als auch in der juristischen Fachsprache gebräuchlichen Begriffs im konkreten Fall als Vorwurf der Verwirklichung eines rechtlich präzise bestimmten Straftatbestands zu verstehen war."
Eine offensichtliche Verletzung der Meinungsfreiheit sieht das BVerfG jedenfalls aber durch den "praktisch vollständigen Abwägungsausfall" der Gerichte. So wäre etwa die Arbeitsweise des Rechtsanwalts oder die fehlende Reichweite der "nur bilateral" erfolgten Aussagen bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Frau und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Anwalts einzubeziehen gewesen. Auch hätte sich die Frage nach dem Sprach- und Ausdrucksvermögen der Frau als abwägungsrelevanter Aspekt aufgedrängt, meint das BVerfG.
Feststellungen dazu, die eine Einordnung und Abwägung erst ermöglicht hätten, fehlten in den Entscheidungen jedoch. Die Urteile wurden daher aufgehoben. Das AG Mönchengladbach muss nun erneut über die Sache entscheiden.
lmb/LTO-Redaktion
* Anm. d. Red.: Ergänzt am 11.02.2025, 11:05 Uhr.
BVerfG rügt "praktisch vollständigen Abwägungsausfall": . In: Legal Tribune Online, 10.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56555 (abgerufen am: 18.03.2025 )
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