Rund 60.000 ehrenamtliche Richter werden gesucht – doch warum interessiert sich die Rechtspolitik so wenig dafür, wie ausgewählt wird? Wieder schlittert die Justiz mit bekannten Problemen in ein Schöffenwahljahr. Das könnte sich rächen.
Auf einen Schlag kommen rund 60.000 neue Richterinnen und Richter in die deutschen Gerichtssäle und so richtig interessiert sich kaum jemand, wer da eigentlich antritt. Noch bis Ende März 2023 sucht die deutsche Justiz bundesweit eine neue Kohorte ehrenamtlicher Richterinnen und Richter, sie werden Tag für Tag auch an Strafurteilen mitwirken, Freiheitsstrafen verhängen. Ihre Stimme hat Gewicht, sie können sogar den Berufsrichter oder die Berufsrichterin überstimmen. An sich eine super Sache für die Justiz: demokratische Kontrolle, integrierende Wirkung, alltägliche Lebenserfahrung.
Wer beim Thema "Schöffinnen und Schöffen" nicht sowieso schon gleich gelangweilt abschaltet, die und den muss ein unheimliches Gefühl beschleichen. Wie Rechtspolitik und Justiz Auswahl, Betreuung und Grundsatzfragen rund um die Laienrichterinnen und -richter vernachlässigen, ist erschreckend, die Probleme sind seit Jahren ein offenes Geheimnis. Angefangen bei der verzweifelten Suche nach Interessierten, den Bewerbungsaufrufen von Rechtsaußen bis hin zur fehlenden Diversität (Durchschnittsalter 55 Plus).
Die Justizministerkonferenz hat es vor dem Schöffen-Superwahljahr 2023 nicht für nötig gehalten, sich mit dem Thema grundsätzlich zu beschäftigen – erstaunlich. Der Bund finanziert eine dünne Info-Kampagne für eine neue Website und Plakate in den Rathäusern mit frechen Slogans wie "Wir schöffen das". Eine vom Bundesjustizministerium in letzter Minute angekündigte Gesetzesänderung der Zugangsregeln, um Extremistinnen und Extremisten von dem Amt ausschließen zu können, wird vor allem deklaratorische Wirkung entfalten, denn das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2008 klargestellt: Bei wem Zweifel an der Verfassungstreue bestehen, der darf nicht Schöffin oder Schöffe werden.
Das eigentliche Problem bleibt aber: Wann gibt es Zweifel an der Geeignetheit für das Schöffenamt? Und wer überprüft das? Bisher ist der Auswahlprozess ein umständliches Zusammenspiel der Gemeinde und einem neunköpfigen Gremium am Amtsgericht. Im Zweifel muss die Amtsrichterin oder der Amtsrichter aus über hundert Bewerberinnen und Bewerbern auswählen, zu denen nur ein knappes DIN-A4-Blättchen mit Namen, Beruf und Kontaktadresse vorliegt.
Schon bei der Auswahl sehr genau prüfen
Vielleicht vertrauen die Verantwortlichen auch darauf, dass es schon gut gehen wird, nach dem Motto: Was soll schon schief gehen? Immerhin verzeichneten die Landesjustizministerien 2020 im laufenden Betrieb keine Auffälligkeiten. Das kann heißen: alles paletti. Es kann aber auch heißen: Wir wissen eigentlich gar nicht so genau, wie die Lage ist. Für Letzteres spricht der Fall eines Schöffen, der 2016 auf seiner heimischen Terrasse eine Reichsflagge hisste. Oder der Fall einer Berliner Schöffin, die auf Facebook über Asylbewerber als "Halbwilde und Tiere" schrieb. Oder Fall einer bekannten, rechtsextremen Schöffin in Thüringen, die Anfang 2023 einem Journalisten auffiel. Ganz zu schweigen von den Problemen, entdeckte Verfassungsfeindinnen und Verfassungsfeinden im Schöffenamt wieder loszuwerden: hohe Hürden und langwierige Verfahren bis zu ihrer Entfernung, außerdem das Schicksal von bereits geführten Prozessen, an denen sie beteiligt waren - Stichwort: Besetzungsrüge, ein Revisionsgrund.
Bisher sind der Auswahlprozess und die Betreuung in den Kommunen sich selbst überlassen. Verantwortung will lieber niemand so richtig übernehmen. Da passt es gut, dass die Zuständigkeiten umständlich und luftig organisiert sind. Mit der rechtspolitischen Aufmerksamkeit für das Schöffen-Thema bleibt es deshalb dabei: Alle fünf Jahre Augen zu und durch und einfach hoffen, dass nichts allzu Schlimmes passiert. Der Rechtsstaat schlittert so unvorbereitet von einer Wahlrunde in die nächste. Das Risiko, dass sich das als verhängnisvoll herausstellt, war wohl noch nie so groß wie 2023.
Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht schon 2008 den Ländern nachdrücklich mit auf den Weg gegeben: Die Landesjustizverwaltungen müssen streng auf die Schöffenauswahl und mögliche Gefahren achten. Eine Passage, die dazu auffordert, sich über das grundlegende Konzept Gedanken zu machen. Passiert ist seitdem nichts. Dabei könnte man sich mit einer ernsthaft angelegten Untersuchung darüber vergewissern, wer eigentlich in Deutschland Schöffin oder Schöffe wird, wo die Probleme im System liegen und wie man die Kommunen und Amtsgerichte unterstützen könnte.
Bis dahin wird es auf kurze Sicht auch ab 2024 erst einmal die Aufgabe von aufmerksamen Richterinnen und Richtern, der Anwaltschaft, der Zivilgesellschaft und Journalistinnen und Journalisten bleiben, auf Störfälle beim Schöffeneinsatz zu reagieren.
Schöffen-Superwahljahr 2023: . In: Legal Tribune Online, 13.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51047 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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