Nicht nur Recht sprechen, sondern es auch so erklären, dass es alle verstehen. Und zwar dort, wo es auch alle mitbekommen. Jonathan Schramm findet, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften mehr für die Vorzüge des Rechtsstaats werben sollten.
Gerichte sprechen durch ihre Entscheidungen. Dieser Satz ist normativ so richtig wie faktisch unvollständig. Nicht erst seit der US-Vizepräsident oder anlässlich ihrer strafrechtlichen Verurteilung auch Le Pen offen davon sprechen, dass politisch instrumentalisierte Richter:innen nicht die legitime Macht der Exekutive kontrollieren dürften, ist klar: Die Autorität von Gerichten und die Akzeptanz rechtsstaatlicher Prinzipien sind nicht länger selbstverständlich, sondern werden strategisch nicht nur inhaltlich, sondern vor allem auch kommunikativ angegriffen.
Jede:r Jurist:in sollte deshalb heutzutage erklären (können), warum Gerichte, Rechtsstaat und Rechtsbindung staatlichen Handelns kein überflüssiger Luxus und schon gar nicht undemokratisch sind, sondern im Interesse jedes und jeder Einzelnen – und das auf den Kanälen und in der Sprache, die dem Recht Unterworfene nutzen bzw. verstehen. So zeigt die kürzliche Reaktion des Präsidenten des Supreme Courts auf exekutive Drohungen gegen Richter beispielhaft, wie zukünftig öfter kommuniziert werden muss.
Welches Narrativ sich in Deutschland zu Rechtsbindung, Rechtsstaat und unabhängigen Gerichten durchsetzt, wird auch davon abhängen, ob sich Justiz, Rechtswissenschaft und rechtliche Institutionen weiter ausschließlich als normative Entscheider:innen und passive Beobachter:innen verstehen oder beginnen, zusätzlich (!) öffentlich deutlicher für Rechtsstaatlichkeit einzustehen.
Recht nicht nur machen, sondern auch erklären
Richter:innen, Juraprofessor:innen und Jurist:innen im Allgemeinen beschränken sich heute noch überwiegend darauf, Entscheidungen und Ansichten normativ zu begründen und rechtlich zu argumentieren – so wie sie es eben in Studium und Referendariat über viele Jahre gelernt haben.
Im Kern nicht als ihre Aufgabe sehen es die meisten von ihnen an, für die faktische Akzeptanz von Entscheidungen und die Akzeptanz des Gesamtsystems "Rechtsstaat" zu sorgen. Ausnahmen bestätigen die Regel, wenn zum Beispiel in Israel Richter:innen Widerstand gegen Justizreformen organisieren oder deutsche Juraprofessor:innen fordern, die Politik möge Völkerrecht respektieren. Insoweit sollte die Ausnahme zur Regel werden.
Pressestellen haben – auch hier gab es anfangs Bedenken – mittlerweile auch Gerichte und Staatsanwaltschaften. Jedoch ist deren Tätigkeitsbereich primär die passive Reaktion auf Presseanfragen. Bei aktiver Kommunikation müsse die Abgrenzung von eigennütziger Öffentlichkeits- einerseits zu kritischer Pressearbeit parallel zur Exekutiven andererseits neu geklärt werden. Die dabei wichtige Frage des faktischen Wie (machen) und normativen Ob (dürfen) wird hier nur angedeutet. Auch die Verteilung der Aufgaben betreffend eine moderne Rechtskommunikation zwischen Justiz und Rechtswissenschaft einerseits und der Stiftung Forum Recht – ursprünglich gerade gegründet, um den Rechtsstaat einer breiten Öffentlichkeit zu erklären – andererseits gilt es zwischen den Beteiligten zu klären.
Normatives Recht lebt von faktischer Anerkennung
Jurist:innen sollten fähig sein und es als immanenten Teil der Rollenerwartung ansehen, die Vorteile von Rechtsstaatlichkeit zu vermitteln, statt auf die normative, nicht faktische Geltung des Rechts zu vertrauen.
Überlassen Justiz und Rechtswissenschaft die Einordnung der eigenen rechtlichen Entscheidungen und Funktionen außerhalb der Fachöffentlichkeit anderen, bliebe die normative Rechtsgeltung zwar unberührt. Im Fall von Qualitätsjournalist:innen mit juristischem Fachwissen ist das unproblematisch. Fehlt es in kleineren Gerichtsbezirken hingegen an Qualitätsmedien könnten sich wenig qualifizierte und Eigeninteressen verfolgende Personen zu alternativen Erklärpersonen aufschwingen. Die drohende Dynamik beschrieb die Journalistin Damita Pressl im Jahr 2023 auf der Plattform X wie folgt: "Überlasst den öffentlichen Diskurs nicht den Ahnungslosen! Personal Branding, Medienarbeit, Sprechen vor Kamera kann man LERNEN – betrachtet diese Skills nicht als überflüssig und 'Ablenkung von der Wissenschaft', sondern als Teil davon!"
Nichts anderes muss für Justiz und Rechtsstaat gelten. Justiz und Rechtswissenschaft sollten weniger Zurückhaltung dabei üben, das verständliche Bedürfnis juristischer Laien nach Einordnung zu befriedigen, sondern diese Aufgabe vielmehr selbstbewusst für sich (re-)klamieren.
FAZ, ZEIT und ZDF statt AöR, NVwZ und JöR
Volkswirt:innen und Politikwissenschaftler:innen machen auf ihrem Gebiet vor, wie das aussehen könnte, und verfassen regelmäßig populärwissenschaftliche Leitartikel. Mit Ausnahmen (z.B. hier und hier) nutzen Jurist:innen hingegen noch meist überwiegend Formate wie wissenschaftlicher (Archiv-)Aufsatz oder Festschriftbeitrag für die Verbreitung ihrer Ansichten – mit der eigenen „Community“ als Zielgruppe.
Bereits junge Rechtswissenschaftler:innen zögern daher oft, darüber hinaus Kapazitäten zu binden; wird Marketing für den Rechtsstaat doch in Berufungsverfahren folglich meist nur als ein "nice to have on top" statt als "conditio sine qua non" der rechtswissenschaftlichen Tätigkeit angesehen.
Dabei zeigt gerade das Bundesverfassungsgericht, dass es anders geht. Im März 2022 stellte sich ein Richter des Gerichts erstmals in aller Öffentlichkeit den Fragen einer TV-Moderatorin zur Notbremsen II-Entscheidung. Auch einen Instagram-Kanal startete das Gericht, doch stellte ihn kurz darauf wieder ein.
Natürlich sind solche neuen Formate für Jurist:innen ungewohnt, mit einem Kontrollverlust hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung verbunden und werfen neue normative Fragen auf: Dürfen solche Erklärungen im TV, auf sozialen Netzwerken oder zukünftig sogar aus Talkshows zur Auslegung von Entscheidungen herangezogen werden? Und welche normative Bedeutung hat der über Monate oder Jahre am Gericht abgestimmte Urteilstext dann noch?
In jedem Fall zeigt der Auftritt von BVR Prof. Dr. Radtke, dass auch das höchste deutsche Gericht die Macht des Faktischen neuer Formen der Kommunikation neben dem Recht braucht.
Recht braucht Rechtskommunikation
Hinter Rechtskommunikation steht letztlich die Frage, was ein normativ geltendes, faktisch aber falsch verstandenes oder nicht akzeptiertes Urteil ist: Ein Gericht kann zwar durch seine Entscheidungen sprechen. Darüber, ob ihm jemand – und wer eigentlich (noch) – zuhört, ist damit hingegen nichts gesagt.
Soziale Netzwerke im Internet sind als Kommunikationsraum Realität. Wer dort nicht stattfindet, findet das auch nicht im Alltag vieler – nicht mehr nur junger – Menschen. Dafür kann sich ein seinen normativen Geltungsanspruch betonender Rechtsstaat entscheiden – sollte es dann jedoch bewusst tun.
In jedem Fall sollten junge Jurist:innen neben juristischen Inhalten die faktischen Grundlagen ihres normativ geprägten Fachs erkennen, um schon aus Eigeninteresse Verständnis für die eigene Tätigkeit vermitteln zu können. Regelmäßige Besuche von Richter:innen in Schulklassen, professionelle (nicht "cringe") Präsenz von Gerichten auf den sozialen Netzwerken und die Teilnahme von Juraprofessor:innen (und Richter:innen?) an Talkshows zu Rechtsthemen, bei Instagram Lives oder in Kommentarspalten sind nur einige Beispiele dafür, wie Rechtskommunikation 2025 aussehen könnte.
Gleichzeitig sind die mit einer über wissenschaftliche Beiträge und einer noch immer keineswegs selbstverständlichen Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen hinausgehende Rechtskommunikation einhergehenden Gefahren nicht zu unterschätzen. Die Akzeptanz von Recht gegenüber Politik lebt von einer akzeptanzunabhängigen, politisch neutralen Arbeitsweise.
Bei Rechtskommunikation darf es daher nicht darum gehen, akzeptiertere Entscheidungen oder Ansichten zu produzieren, sondern allein akzeptanzunabhängiges Recht so zu kommunizieren, dass es verständlich wird – in Zeiten populistischer Zuspitzung eine umso größere Herausforderung, die schnelle, aber deshalb nicht weniger gut überlegte Reaktionen von Justiz, Rechtswissenschaft und jeder Jurist:in im Großen und Kleinen erfordert.
Jonathan Schramm ist Volljurist und seit 2020 Pressesprecher der Bucerius Law School in Hamburg.
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Rechtskommunikation als essenzielle Aufgabe: . In: Legal Tribune Online, 07.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56945 (abgerufen am: 21.05.2025 )
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