Eine Richterin unter Terrorismusverdacht – für das Ansehen der Justiz eine Katastrophe. Die hatte den Extremfall wohl auf dem Schirm und sieht doch unglücklich aus. Der Fall zeigt, die Justiz muss sich vor Verfassungsfeinden besser schützen.
Sie sticht heraus aus dem Kreis der mutmaßlichen Terroristen. Als am Mittwochmorgen die Polizei bundesweit 25 Personen festnimmt, denen der Generalbundesanwalt irre Umsturzpläne vorwirft, rücken die Beamten auch in einer Villengegend beim Berliner Wannsee an. Dort verhaften sie Birgit Malsack-Winkemann, frühere AfD-Bundestagsabgeordnete, Mitglied im Haushaltsausschuss für die Justiz, und bis zum Mittwochmorgen noch mit Terminen als Richterin am Landgericht Berlin.
Erst kürzlich entschied ein Richterdienstgericht, Malsack-Winkemann dürfe trotz umstrittener Äußerungen Richterin bleiben. Die Berliner Justizverwaltung hatte versucht, sie aus dem Dienst zu entfernen – vergeblich, zu wenig verwertbares Material. Eine "Nähe zu verschwörungstheoretischen Kreisen mit rechtsextremem Hintergrund" ließ sich nicht nachweisen, dazu hatte die Verwaltung auch nichts aufgeboten. Dass das Landeskriminalamt oder der Verfassungsschutz nicht Erkenntnisse zu einer laufenden verdeckten Großoperation in ein öffentliches Gerichtsverfahren einspeisen, wird jeder und jedem einleuchten. Ob und wieviel die Justizverwaltung zu diesem Zeitpunkt bereits von den laufenden Terrorismusermittlungen wusste, darüber kann man spekulieren. Trotzdem lässt es das Verfahren gegen Malsack-Winkemann im Nachhinein unglücklich aussehen.
Justiz gegen Verfassungsfeinde unzureichend gerüstet
Die Razzien am Mittwoch haben viel Unheimliches und Ungeheuerliches aufgedeckt, mutmaßlich gewaltbereite Ex-Soldaten, ein irrlichtender Prinz – eine in Umsturzpläne involvierte Richterin im Landesjustizdienst hätte aber ihre eigene Dimension. Und die Justiz offenbar ihren nächsten Extremismus-Härtefall.
Nach den Unsicherheiten im Umgang mit dem rechtsextremen AfD-Richter-Rückkehrer Jens Maier hat die sächsische Justizministerin Änderungen der Gesetzeslage gefordert, u.a. leichtere Kürzung der Bezüge, großzügigere Fristen für die Verwertung von Äußerungen. Das ist wichtig, aber es wird nicht ausreichen, um die Justiz gegen Verfassungsfeinde besser auszurüsten.
Der Fall von Malsack-Winkemann legt eine Schwachstelle der Justiz offen, die bisher erstaunlich unterreflektiert bleibt. Wie kann die Justiz rechtzeitig Extremisten in ihren Reihen erkennen, nicht nur bei der Einstellung von Nachwuchs, sondern vor allem später, wenn sich Richter oder Staatsanwälte nach einigen Dienstjahren radikalisieren? Eine Richterin, die sich mutmaßlich an einer bundesweiten Terrorgruppe beteiligt, wird einen Extremfall darstellen, der hoffentlich früher als später die Sicherheitsbehörden auf den Plan ruft. Die AfD-Abgeordnete Malsack-Winkemann hatten die Behörden auf dem Schirm, wohl auch die Justiz.
Was ist aber mit anderen, weniger prominenten, weniger sichtbaren Fällen von Radikalisierung in den eigenen Reihen? Lange Zeit wurde diese Diskussion rechtspolitisch pauschal abgebügelt, es drohe ein neuer Radikalenerlass. Auch bereits eingeführte Mechanismen wie die starre Abfrage beim Verfassungsschutz dürften außer bei offensichtlichen Einzelfällen wenig zur Aufdeckung eines Anfangsverdachts beitragen.
Es braucht mehr Sensibilität und Recherche bei der Justiz
Die Justiz braucht eine Diskussion, wie sie aus eigenen Kräften Extremismusfällen auf die Spur kommen kann, aus eigener Sensibilität und mit eigener Recherche, Fälle, die sie dann rechtzeitig an Sicherheitsbehörden abgeben kann. Für eigene Anfangsrecherchen könnte nicht nur die einmalige Einstellung des Nachwuchses Anlass bieten, sondern auch die regelmäßig wiederkehrenden Beurteilungsrunden in einer Justizkarriere. Die rechtlichen Grundlagen sind dafür teilweise schon verankert. In NRW und Bayern sind das "Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung" und "Mäßigung und Zurückhaltung" ausdrücklich Prüfkriterien.
Was kann die Justiz in eigener Regie unternehmen? Bei irritierenden Anlässen liegen Recherchen im Netz und auf Social Media nahe, Einschätzungen aus der Kollegenschaft und von früheren Posten, die Personalakte, Anhörung der Betroffenen – alles Quellen, die für die dienstliche Beurteilung bereits vorgesehen sind, keine Spitzelbefugnisse einer Justizpolizei. Sie müssen nur angemessen ausgeübt werden. Für wirkungsvolle Recherche und Resilienz braucht es Schulung. Bei der deutschen Richterakademie, zuständig für die Fortbildung, findet sich im aktuellen Jahresprogramm nicht ein einziges Angebot dazu.
Sollten sich die Vorwürfe gegen die Richterin Malsack-Winkemann bestätigen, zeigt sich wie schnell aus einem Abdriften in krude Vorstellungswelten ganz reale Gefahren reifen. Auch die Justiz muss gewappnet sein, das frühzeitig zu erkennen.
Richterin und Reichsbürger-Razzia: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50402 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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