Sawsan Chebli soll üble Beschimpfungen hinnehmen müssen, weil sie Politikerin ist und selbst einen harten Ton angeschlagen habe, meinen das LG Heilbronn und Thomas Fischer in seiner LTO-Kolumne. Felix W. Zimmermann ist anderer Ansicht.
Chebli sei ein "dämliches Stück Hirn-Vakuum", sie solle "abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie begleichen", schrieb ein Facebook-User über die SPD-Politikerin. Das LG Heilbronn sieht diese Aussagen als von der Meinungsfreiheit gedeckt an und verneinte sowohl einen Unterlassungs- als auch einen Geldentschädigungsanspruch (Urt. v. 23.02.2023, Az. Ko 8 O 85/22).
In seiner LTO-Kolumne stuft Thomas Fischer das Urteil als vertretbar ein, insbesondere da Chebli selbst den Ton der Unterhaltung gesetzt habe. Dieses Argument ist zutreffend. Chebli hatte in einem vorangegangenen Social-Media-Beitrag den Kabarettisten Dieter Nuhr als "so ignorant, dumm und uninformiert" bezeichnet. Er könne "nur" Witze über Minderheiten machen. Cheblis Reaktion auf ihre gerichtliche Niederlage – "Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass man Menschen (…)" diffamiert – ist angesichts ihrer eigenen Polemik daher nicht gerade Ausdruck von gesteigerter Selbstreflexion.
Richtig ist auch, dass auf die Rechtsfigur des "Rechts auf Gegenschlag", die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geschaffen hat, in diesem Fall jedenfalls dem Gedanken nach in Ansatz zu bringen ist. Zwar wurde der beklagte Facebook-User selbst von Chebli gar nicht angegriffen. Doch für die Frage, welche weitere Kommunikation innerhalb einer Auseinandersetzung auf Social-Media die Schwelle zur Beleidigung überschreitet, muss der gesetzte Ton selbstverständlich Beachtung finden. Wer selbst hart austeilt, muss auch mehr einstecken können.
Und doch ist die LTO vorliegende Entscheidung mit der Rechtsprechung des BVerfG nicht in Einklang zu bringen. Die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht ist fehlerhaft - und zwar aus mehreren Gründen.
1. Entmenschlichende Beschimpfung
Anders als das Gericht annimmt, ist die Äußerung "dumm und ignorant" im Gegensatz zu "dämliches Stück Hirn-Vakuum" nicht "ein vergleichbares Vokabular". Sie ist auch nicht eine bloße Steigerung Cheblis Worte, so wie Fischer es sieht. Vielmehr wird eine neue Qualität, ein anderes Beleidigungslevel erreicht.
Denn auf Chebli wird nicht als Mensch erwidert, sie wird nicht als Person beschimpft, sondern als ein Objekt beschädigter Organmasse dargestellt ("Stück Hirnvakuum"). Die Äußerung "Stück" entmenschlicht und degradiert sie zum Objekt. Sie zielt auf die Menschenwürde von Chebli.
2. Auch Mandatsträger haben Persönlichkeitsrecht
Weiter verkennt das Gericht Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts, wenn es ausführt, dass Chebli, weil sie eine bekannte Persönlichkeit ist, "naturgemäß im Rahmen von Meinungsstreitigkeiten auch heftigerer Kritik ausgesetzt ist und hiermit aufgrund ihrer Entscheidung, eine öffentliche Position zu bekleiden, leben muss." Das BVerfG hat vielmehr zum Schutz von Mandatsträgern entschieden, dass die Mitwirkung in Staat und Gesellschaft von Menschen nur erwartet werden kann, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (Beschl. v. 19.12.21, 1 BvR 1073/20, Rn. 35).
Politikerinnen und Politiker müssen nach der Rechtsprechung des BVerfG gerade nicht prinzipiell mit Beschimpfungen "leben". Das LG geht auf diese Rechtsprechung nicht ein und stellt pauschal – und damit fehlerhaft – darauf ab, dass Personen des öffentlichen Lebens mehr hinzunehmen hätten.
3. Stimmungsmache steht im Vordergrund
Richtig ist, dass Machtkritik gegenüber Politikern besonders geschützt ist und eine derartige Kritik besonders hart ausfallen darf. Doch wo genau soll jetzt eine "Machtkritik" in dem Kommentar "dümmliches Stück Hirn-Vakuum" zu finden sein? Das LG unterlässt es vollständig, die Aussage dahingehend zu bewerten, ob sie "darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten" oder eher es vielmehr "um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht".
Dieses Kriterium hatte das BVerG etwa in seiner Künast-Entscheidung und zuvor (Beschl. v. 19.5.20, 1 BvR 2397/19, Rn. 29) ebenfalls hervorgehoben. Ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung ist vorliegend nicht erkennbar, vielmehr steht die diffamierende Stimmungsmache klar im Vordergrund.
4. Sozialsphäre unpassende Kategorie
Weiter geht das Gericht davon aus, die Eingriffsintensität sei gering, da Chebli nur in ihrer Sozialsphäre betroffen sei. Begründung hierzu: Fehlanzeige. Es ist schon nicht erklärlich, was Beleidigungen mit der vom BVerfG geschaffenen Sphärentheorie zu tun haben sollte. Diese Theorie wendet die Rechtsprechung an, wenn es um die Frage geht, ob wahre Tatsachen über eine Person verbreitet oder Fotos von der Person veröffentlicht werden dürfen.
Je privater oder gar intimer Information oder Aufnahmen sind, desto eher ist dies zu verneinen. Die Kategorisierung des Gerichts, wonach "dümmliches Stück Hirn-Vakuum" nur die Sozialsphäre betreffe, passt hier schon im Grundsatz nicht. Im Übrigen wäre die logische Schlussfolgerung, dass jede auf sozialen Plattformen getätigte Beschimpfung als "nicht besonders schwerwiegend" einzustufen wäre, da sie lediglich in der "Sozialsphäre" stattfindet.
"Abhauen und Sozialschulden begleichen"
Auch mit der zweiten Äußerung, die Chebli angegriffen hat, macht es sich die Richterin des LG Heilbronn zu einfach. Der beklagte Facebook-User hatte weiter behauptet, Chebli "solle einfach abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie begleichen". Das LG meint, hierin liege keine Tatsachenbehauptung dahingehend, dass Cheblis Familie dem Staat tatsächlich irgendwelche Geldsummen schulde, sondern eine "Wertung hinsichtlich der Praxis sozialer Unterstützung von Einwandererfamilien in Deutschland an sich." Daher scheide eine üble Nachrede (§ 186 Strafgesetzbuch), die eine Tatsachenbehauptung verlangt, aus.
Eine fehlende Tatsachenbehauptung wird man angesichts des diffusen und rechtlich nicht existierenden Begriffs "Sozialschulden" noch gut vertreten können. Doch das LG prüft hiernach nicht weiter, ob die Aussage eine Beleidigung (§ 185 StGB) darstellt, die eben auch bei Meinungen vorliegen kann.
Die Einstufung des Gerichts, dass der Facebook-Nutzer mit der Aussage lediglich "die Praxis sozialer Unterstützung von Einwanderfamilien bewertet" habe, ist an Verharmlosung schwer zu überbieten. Der Nutzer will Chebli gerade aus dem sozialen Diskurs verbannen ("soll abhauen"), weil ihre Eltern – unterstellt – als Einwanderer Sozialleistungen bezogen haben, für deren Begleichung sie zumindest moralisch verantwortlich gemacht wird ("soll Sozialschulden ihrer Familie begleichen"). Mit anderen Worten: "Migrantenkinder sollen in Deutschland den Mund halten." Ein anderer Bedeutungsgehalt kann dieser Aussage schwerlich entnommen werden, sodass ein Angriff auf die Ehre von Chebli offensichtlich ist.
Insoweit ließe sich auch über die Annahme eine Schmähkritik diskutieren, da hier nicht einmal im Ansatz ersichtlich ist, was die Diffamierung von Frau Chebli in Bezug auf ihre Herkunft mit der in Rede stehenden Diskussion um die Güte des Kabarettisten Dieter Nuhr zu tun haben sollte.
Null sachliche Auseinandersetzung
Jedenfalls hätte bei Verneinung der Schmähkritik die Abwägung zugunsten der Meinungsfreiheit ausgehen müssen.
Insoweit ist sicher richtig, dass – wie auch Fischer schreibt – eine Äußerung, die von Hass geprägt ist, nicht allein deswegen zu verbieten ist. Hass ist eine Emotion. Sie in Worte zu fassen, kann von der Meinungsfreiheit durchaus gedeckt sein. Dass das Grundrecht nicht zur Voraussetzung hat, dass mit einer Formulierung irgendetwas diskursiv Wertvolles vermittelt wird, ist nach den Worten des BVerfG auch dazu da, "subjektive Emotionalität in die Welt zu tragen" (Beschl. v. 10.03.2016, 1 BvR 2844/13, Rn 24).
Doch das ändert nichts daran, dass in der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu überprüfen ist, in welche Worte der Hass gekleidet wird. Hier geht er mit einer Diffamierung von Chebli einher, der die Teilnahme am öffentlichen Diskurs mit der evident sachfremden Begründung abgesprochen wird, dass ihre Eltern Migranten waren und sie daher eine irgendwie geartete Schuld abarbeiten müsse.
Insoweit lässt sich zwangslos feststellen: Es gibt nichts an dieser Äußerung, was auch nur im Ansatz zu einer sachlichen Auseinandersetzung beitragen könnte. Mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist das vom Facebook-User erwünschte Ergebnis, dass Migrantenkinder den Mund zu halten haben, offensichtlich nicht in Einklang zu bringen. Auch hat die Frage der Herkunft von Frau Chebli mit derjenigen, ob sie möglicherweise Herrn Nuhr ungerecht behandelt hat, rein gar nichts zu tun.
Beide Äußerungen hätten daher im konkreten Äußerungskontext verboten werden müssen. Das begründungsarme Urteil des LG kann nicht überzeugen. Die Erfolgsaussichten einer etwaigen Berufung von Sawsan Chebli dürften erfolgversprechend sein.
Das ganze Meinungsspektrum bei LTO. Lesen Sie hier, warum aus Sicht von Ex-Bundesrichter Thomas Fischer die Äußerungen nicht als Beleidigungen einzustufen sind.
"Dämliches Stück Hirn-Vakuum" und "Sozialschulden": . In: Legal Tribune Online, 03.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51474 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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