Wenn jeder Faschist genannt werden darf, fallen echte Faschisten nicht mehr auf. Der gerichtliche Erfolg einer Spiegel-Autorin gegen den AfD-Politiker Brandner ist daher auch ein Sieg für die Debattenkultur, meint Felix W. Zimmermann.
In Zeiten, in denen auf Geheimtreffen unter Beteiligung von AfD-Politikern über Massendeportationen von Ausländern sinniert wird, ist es wichtig, dass Dinge beim richtigen Namen genannt werden. Dazu gehört, faschistische Entwicklungen als solche zu benennen. Spiegel-Redakteurin Ann-Katrin-Müller berichtet seit Jahren kritisch über die AfD, bereits im Jahre 2021 hatte sie – noch vorsichtig – formuliert: "Es gibt schon faschistische Züge in der AfD, bei einzelnen Funktionären."
Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD und Rechtsanwalt Stephan Brandner wirft der Spiegel-Redakteurin unter anderem wegen dieses Zitats eine ausufernde Verwendung des Begriffs "Faschismus" vor. Er behauptet eine "Verharmlosung" und glaubt, er dürfe sie daher als Retourkutsche selbst als "Faschistin", "Oberfaschistin" und "Spiegel-Faschistin" bezeichnen. Damit liegt er sowohl inhaltlich als auch rechtlich daneben, wie nun das Landgericht Berlin entschied, das ihm die Aussagen verbot.
Auch wenn sicherlich der Begriff des Faschismus und Rechtsextremismus in Empörungsdebatten der letzten Jahre manchmal allzu schnell fällt, ist eine derartige Kritik gegenüber vielen AfD-Funktionären völlig eindeutig zulässig und berechtigt. Dafür sprechen schon seit langem zahlreiche Anknüpfungstatsachen. Der AfD-Landeschef in Thüringen Björn Höcke verwendete Nazi-Sprache wie "tausendjährige Zukunft" , "Alles für Deutschland" oder seine Forderung einer erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad. Nicht ohne Grund gelten Teilorganisationen der AfD aufgrund ihrer völkischen Programmatik als gesichert rechtsextremistisch.
"Faschist" ist kein Alltagsschimpfwort
Wenn nun Brandner die Spiegel-Redakteurin selbst Faschistin nennt, verfolgt er damit genau das, was er Müller selbst vorwirft. Nämlich eine Verharmlosung des Begriffs. Sein Vorgehen dient der eigenen Immunisierung gegen Kritik. Wenn jeder, jeden "Faschist" nennen dürfte, würde der Begriff diffus und substanzlos werden und würde daher als Kritik völlig an Bedeutung verlieren.
Das Landgericht (LG) Berlin hat dem jedoch einen klaren Riegel vorgeschoben und die simple Faschismus-Retourkutsche untersagt. Damit stärkt das LG Berlin die freiheitliche demokratische Grundordnung, in dem es einer Verwässerung des Begriffs "Faschismus" im gesellschaftlichen Diskurs entgegentritt. Der Faschismus-Vorwurf hat Gewicht. Wer grundlos als solcher bezeichnet wird, kann sich dagegen wehren. Wer hingegen etwa in der AfD Björn Höcke aktiv unterstützt oder Vertreibungspläne gutheißt, muss sich eine solche Bezeichnung gefallen lassen.
Ob allein die Mitgliedschaft in der AfD für den Faschismus-Vorwurf ausreicht, ist gerichtlich nicht entschieden. Angesichts einer Parteiführung, die sich nicht klar von Personen wie Höcke distanziert, sondern moderatere Politiker aus der Führung verdrängt hat, ist jedenfalls der Vorwurf der "Unterstützung von Faschisten" gegenüber AfD-Mitgliedern und -Wählern äußerungsrechtlich zulässig. So ein Umdenken überzeugter AfD-Wähler zu erreichen, ist allerdings illusorisch. Die jüngere Entwicklung deutet darauf hin, dass sie von vielen gerade wegen ihrer faschistischen Züge gewählt wird.
Brandners Faschismus-Retourkutsche rechtswidrig: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53670 (abgerufen am: 07.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag