Der Weimarer Familienrichter und die Verantwortung der Juristen: Fas­sungslos über Fas­sungs­lo­sig­keit

Kommentar von Tanja Podolski

21.11.2024

Das Urteil gegen den Ex-Familienrichter am AG Weimar ist richtig. Das weiß jeder, der sich mit dem Fall auf dem Boden unserer Verfassung befasst hat. Doch einige unverantwortliche Juristen säen Zweifel, anstatt das Recht zu erklären.

"Fassungslos". Das Wort fiel mehrfach am Mittwoch nach der Urteilsverkündung am Bundesgerichtshof (BGH). Das Gericht hatte die Revisionen gegen das Urteil vom Landgericht (LG) Erfurt verworfen. Damit wurde die Verurteilung eines ehemaligen Familienrichters am Amtsgericht (AG) in Weimar zu zwei Jahren Freiheitsstrafe wegen Rechtsbeugung - ausgesetzt zur Bewährung - rechtskräftig. Sein Richteramt und den Anspruch auf eine Pension hat der 61-Jährige damit verloren. Ihm bliebe jetzt nur noch eine Verfassungsbeschwerde. Doch jeder Prozessverfolger mit juristischer Ahnung weiß, dass auch die scheitern würde. 

Falsch zu entscheiden, ist allein noch nicht strafbar. Doch der Weimarer Familienrichter hat eben nicht nur falsch entschieden, sondern das Verfahren erst konstruiert und dann initiiert. In den Worten der BGH-Vorsitzenden Dr. Eva Menges zog er das Verfahren planmäßig an sich, um eine "von Beginn an vorgefasste Entscheidung zu treffen". Damit "missbrauchte er die ihm als Richter durch die Verfassung zugesprochene Machtposition". 

So überzeugte er Eltern davon, bei ihm den Antrag wegen Kindeswohlgefährdung zu stellen ­ und zwar solche Eltern, deren Verfahren wegen des Nachnamens in seine Zuständigkeit fielen. Den Antrag überarbeitete er. Er traf Absprachen mit Anwälten und Sachverständigen, schon bevor das Verfahren bei ihm anhängig wurde. Dokumentiert in der Akte hat er nichts von diesen Kontakten. Kurzum: Er hat korrigiert und manipuliert, um ein Ziel zu erreichen, das er erreichen wollte. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit und richterlicher Unabhängigkeit nichts mehr zu tun.

Fassungslos über Fassungslosigkeit

Anwält:innen sollten den Menschen erklären, dass das nicht in Ordnung war; dass sich ein Richter nicht zu Ankläger und Richter in ein und derselben Person aufschwingen darf. Das wäre ihre Aufgabe. 

Stattdessen zeigten sich viele Juristen eben "fassungslos", etwa Anwälte, die z.B. auf Youtube und mit eigenem Kanal "informieren" oder ein Richter, der zur Unterstützung des Angeklagten vor Ort war. Diese Haltung macht mich selbst "fassungslos". Und wütend. Für Klicks auf Social Media säen Juristen Zweifel am Rechtsstaat und implizieren eine politische Justiz. Sie freuen sich über den billigen Beifall der Unterstützer:innen des Familienrichters, die diesen kritiklos wie einen Helden verehren. 

Konkret verschleiern derartige Juristen, dass weder das LG Erfurt noch der BGH für ihre Entscheidungen wesentlich auf die fehlende Zuständigkeit des Richters abgestellt haben, wie aber Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler bei Welt-TV anklingen lässt. Die falsche Zuständigkeit allein wäre keine Rechtsbeugung, denn darüber lässt sich zumindest diskutieren. Der Beweis ist das Verfahren gegen die Familienrichterin am AG Weilheim – das wurde eingestellt. Statt also sachfremd zu argumentieren, wie es die Strafrechtlerinnen Professorin Dr. Elisa Marie Hoven, Lehrstuhlinhaberin an der Uni Leipzig, und Professorin Dr. Dr. Frauke Rostalski, Lehrstuhlinhaberin an der Uni Köln getan haben, sollten auch diese Jurist:innen die Urteile genau lesen. Denn wenn sie darauf abstellen, dass ein Familienrichter keine Rechtsbeugung begehe, wenn er zum Schutz des Kindeswohls eine rechtlich vertretbare Entscheidung trifft, stünde bei einer Deutscharbeit am Rand: Thema verfehlt.

Politische Richtung spielt keine Rolle

Ich wurde am Mittwoch in Karlsruhe gefragt, welcher politischen Richtung die LTO angehöre. Allein die Frage zeigt, wie stark in unserer Gesellschaft inzwischen der Glaube verbreitet ist, dass Recht und Justiz nicht mehr als unabhängig von politischen Präferenzen wahrgenommen werden. Dies offenbart einen grundlegenden Zweifel dieser Menschen über die Erfüllung der Kernaufgabe von Recht und Justiz – und der Berichterstattung über diese: unabhängig und unparteiisch auf Grundlage von Gesetzen und objektiven Fakten zu urteilen. 

Jede:r einzelne Redakeur:in ist natürlich politisch interessiert und geprägt, auch bei LTO, doch wir erklären das Recht unabhängig von parteipolitischer Präferenz. Wir erklären, warum die Stadthalle in Wetzlar auch an die NPD vermietet werden musste oder die Stadthalle in Essen an die AfD. Wir lassen Professoren zu Wort kommen, die sich gegen die Kategorie des Verfassungsschutzes der "Delegitimierung des Staates" wenden. Wir versuchen zu informieren und zu erklären, so viel wir nur können. 

Und immer wieder stoßen wir auf Entscheidungen, die auch wir nicht richtig finden, und kritisieren diese mit juristischen oder auch soziologischen Argumenten. Doch es gibt eindeutige Fälle – und solche dürfen dann auch so benannt werden.

Menschlich nachvollziehbar, juristisch nicht

So ist es auch bei der Verurteilung des ehemaligen Familienrichters. Und es ärgert mich zutiefst, wenn Juristen, die es besser wissen sollten, so tun, als könnte man das anders sehen. Rein menschlich könnte es auch mir leidtun, dass jemand, der über Jahre gearbeitet hat, in der Pandemie in einen Strudel geraten ist. Vielleicht getrieben von einem falschen Geltungsbedürfnis gegenüber einem starken Kollegen am gleichen Gericht oder dem so genannten Netzwerk kritischer Juristen. Der ehemalige Familienrichter hat alles verloren und ich muss keine Psychologin sein, um zu sehen, dass er keinen objektiven Blick mehr auf das haben kann, was er getan hat. 

Die Juristen müssten das. Nicht seine Anwälte Tupat und Strate, die haben einen Job gemacht. Doch alle anderen. Denn D. hat unser Recht, mit dem wir alle gut leben, weil es ein Miteinander ermöglicht, mit Füßen getreten. Ja ein Miteinander. Denn auch in der Pandemie durften Menschen noch gegen Maßnahmen demonstrieren und wir durften und mussten (!) über Impfpflichten (für Soldaten, für das Pflegepersonal) diskutieren. Ich bin unfassbar dankbar in einem Land zu leben, in dem das möglich ist. Fand ich alles, was entschieden wurde, richtig? Nein. Aber für eine Meinung bezahle ich weder eine Geldstrafe noch muss ich ins Gefängnis. Ich weiß, gegenteiliges wird behauptet – aber bitte schicken Sie mir die Belege – ich werde sie widerlegen (Michael Ballweg wurde wegen des Verdachts des Betrugs und der Geldwäsche inhaftiert). 

D. hat als Richter die Pflicht, neutral zu sein. Wir alle – so ist es in unserer Demokratie – hatten ihm die rechtsprechende Gewalt einmal "anvertraut", Art. 92 Grundgesetz (GG). Die Regeln waren für ihn damit klar formuliert: Als Richter musste er unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sein, Art. 97 GG. Wenn ein Richter ein Gesetz falsch findet, kann er das Bundesverfassungsgericht anrufen. 

Damit alle verstehen, warum es in diesem Fall nicht auf die Kinder ankam. Denn um die kann es uns nur dann gehen, wenn auch sie in einem Rechtsstaat leben können, indem die richterliche Unabhängigkeit noch ein Wert ist, dem wir alle uns verpflichtet fühlen. 

Zitiervorschlag

Der Weimarer Familienrichter und die Verantwortung der Juristen: . In: Legal Tribune Online, 21.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55927 (abgerufen am: 07.12.2024 )

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