Schöffen sind nach der Urteilsverkündung wieder Privatpersonen – und können damit nicht die Urteilsabschrift verlangen. Für eine Ungleichbehandlung mit anderen ehrenamtlichen Richtern gibt es keine sachlichen Gründe, meint Norman Uhlmann.
Ein Schöffe stellte die Frage nach einer Urteilsabschrift – und zwar zu einem Urteil, an dem er selbst auch an der Urteilsfindung teilgenommen hatte. Was als banale Anfrage begann, wurde vom Vorsitzenden des damaligen Spruchkörpers abgelehnt, wogegen der Schöffe Rechtsmittel einlegte - der Sachverhalt landete daher zuerst beim Landgericht Berlin I und wurde dann zur Entscheidung dem Kammergericht vorgelegt. Die Erwägungsgründe des daraufhin gefassten Beschlusses (21.06.2024, Az. 3 Ws 25/24) gaben grundlegende Verständnishinweise und machten die ungleiche Teilhabe ehrenamtlicher Richterinnen und Richter verschiedener Gerichtsbarkeiten an der Rechtsprechung sichtbar, denn beim Ersuchen von Abschriften musste geklärt werden:
- Zu welchem Zeitpunkt Schöffinnen und Schöffen mit richterlichen Rechten ausgestattet sind.
- Ab wann sie nicht mehr einzubeziehen sind und sich daraus auch keine Rechte mehr ableiten lassen – also wann Schöffinnen und Schöffen wieder als Bürgerinnen und Bürger unter Gleichen gelten.
Schöffinnen und Schöffen sind in der Strafgerichtsbarkeit ein wesentlicher Bestandteil, wenn es um die Beteiligung des Volkes in der Rechtsprechung geht. Ihre Mitwirkung stellt sicher, dass die richterliche Entscheidungsfindung nicht allein den Berufsrichterinnen und -richtern überlassen bleibt, sondern auch die Lebensrealität, das Gerechtigkeitsempfinden und die gesellschaftliche Perspektive der Bürgerinnen und Bürger in das Verfahren einfließt. Damit stärken sie nicht nur die demokratische Legitimation der Strafjustiz, sondern fördern auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit und Ausgewogenheit der Rechtsprechung. Urteile ergehen "Im Namen des Volkes". Wo Schöffinnen und Schöffen beteiligt sind, stärken diese durch ihre Beteiligung auch die Akzeptanz von Urteilen und Beschlüssen in der Bevölkerung.
Keine bloßen Statisten
Ehrenamtliche Richterinnen und Richter aller Gerichtsbarkeiten sind keine bloßen Statisten in den Verfahren, in denen ihr Einsatz gesetzlich vorgesehen ist. Im Gegenteil, sie sind an allen Entscheidungen, die im Rahmen der Hauptverhandlung bis zum Urteil getroffen werden, gleichberechtigt mit den Berufsrichterinnen und -richtern beteiligt. Auf diese Weise leisten sie einen wesentlichen Beitrag zu den Ergebnissen der Rechtsprechung.
Die Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter ist grundsätzlich umfassend, jedoch wird deutlich zwischen Schöffinnen und Schöffen in Strafsachen und den ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern in anderen Gerichtsbarkeiten unterschieden. Schöffinnen und Schöffen sind nur während der Hauptverhandlung – also vom Beginn des mündlichen Aufrufs bis zum gerichtlichen Einstellungsbeschluss oder der mündlichen Urteilsverkündung – integraler Bestandteil des Spruchkörpers. Nur in diesem Zeitraum sind sie mit richterlichen Rechten ausgestattet.
Genau das hatte auch das Kammergericht klargestellt. Weil die Hauptverhandlung mit der Verkündung des Urteils schließe und damit auch das Schöffenamt im Spruchkörper für die verhandelte Sache ende, könne ein Schöffe auch keine (anonymisierte) Versendung der Urteilsgründe verlangen. Schließlich falle der Versand in einen Zeitraum, in dem der Schöffe wieder als Privatperson gelte. Daher könne er sich wie jede andere Person auch nur auf § 475 der Strafprozessordnung berufen. Diese Norm regelt, dass Privatpersonen über einen Rechtsanwalt Auskünfte aus Akten des Gerichts erhalten können, soweit hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt wird. Doch in dem konkreten Fall lag keins vor.
Keine wesentliche Reform seit sechs Jahrzehnten
Anders verhält es sich beispielsweise in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Handelssachen – an den zivilen Landgerichten. Dort wirken ehrenamtliche Handelsrichterinnen und -richter als sogenannte Fachrichter mit. Bereits vor dem Aufruf der Hauptverhandlung erarbeitet sich der Spruchkörper ein erstes Votum und sammelt gegebenenfalls Fachfragen auf Grundlage der eingereichten Unterlagen. Nach der Hauptverhandlung wirken ehrenamtliche Handelsrichter auch an der Abfassung des schriftlichen Urteils mit und zeichnen dieses sogar mit.
Hier liegt der wesentliche Unterschied zu Schöffen: Diese werden in Urteilen nicht namentlich erwähnt und sind auch nicht als Zeichnungsberechtigte vorgesehen. Sie wirken jedoch gemeinsam an der Festlegung des Strafmaßes und allen wesentlichen Bedingungen mit, die im mündlichen Urteil Berücksichtigung finden. Selbst bei der Urteilsverkündung sind Schöffinnen und Schöffen anwesend, jedoch ist die Einsichtnahme in die Verfahrensakte für sie eher eine Ausnahme. Eine schriftliche Urteilsfassung wird in der Regel zügig, jedoch nicht vor der mündlichen Urteilsverkündung, erstellt. Daher beschränkt sich der potenzielle Anspruchszeitraum eines Schöffen auf Abschriften (einschließlich Klageabschriften beispielsweise in Umfangsverfahren, sowie anderer Abschriften) auf den Zeitraum vom Beginn bis zum Ende der Hauptverhandlung.
Beschlüsse aufgrund von Rechtsmitteln von Schöffinnen und Schöffen sind äußerst selten. Aus diesem Grund ist es positiv, dass das Kammergericht eine nachvollziehbare – wenn auch für die Schöffen sicherlich unzufriedene – Lösung gefunden hat.
Ein Ergebnis, das möglicherweise die Überholungsbedürftigkeit der Schöffengesetzgebung aufzeigt; Gesetze, die über sechs Jahrzehnte hinweg nicht wesentlich reformiert wurden.
Unnötige Ungleichbehandlung zwischen Gerichtsbarkeiten
Die Landesverbände des Bundesverbandes der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter e.V. sehen in der bestehenden rechtlichen Unterscheidung eine unnötige Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen Gerichtsbarkeiten und in der Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter. Das Ziel sollte eine gleichberechtigte Beteiligung bis hin zur Urteilsverfassung sein, da es keine sachlichen Gründe für eine Unterscheidung gibt. Gerade die Digitalisierung – auch in der Judikative – ermöglicht derartige Änderungen in naher Zukunft ohne wesentliche organisatorische Aufwandssteigerung. Dies würde die Stärkung des richterlichen Ehrenamtes und dessen Außenwahrnehmung erheblich fördern.
Im Unterschied zu anderen Gerichtsbarkeiten, in denen ehrenamtliche Richterinnen und Richter das Urteil mitzeichnen – wie üblicherweise bei den Handelsgerichten – ist eine Überlassung des Urteils in der Strafgerichtsbarkeit nach geltender Rechtslage entbehrlich. Der Rechtsweg, wie ihn der Schöffe in Berlin nehmen musste, muss von den Ehrenamtlern in anderen Rechtsgebieten nicht beschritten werden, da ihnen die relevanten Informationen ohnehin vollumfänglich – einschließlich des schriftlichen Urteils – zur Verfügung stehen. Das auch für die Strafgerichtsbarkeit einzuführen, wäre eine relativ einfache Angelegenheit für den Gesetzgeber, wenn er sich endlich darum kümmert, Schöffinnen und Schöffen mit anderen ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern gleichzustellen.
Autor Prof. Dr. Norman Uhlmann ist derzeit Beauftragter des Präsidiums des Bundesverbandes der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter (Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen) e.V. und ehemaliger Vorsitzender des Landesverbandes Brandenburg-Berlin.
Schöffen haben keinen Anspruch auf Urteilsabschrift: . In: Legal Tribune Online, 10.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56979 (abgerufen am: 25.04.2025 )
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