Trotz Bedarfs auch an Amtsgerichten werden Gesetzesvorhaben zur Internationalisierung der Justiz stets auf höhere Instanzen beschränkt. Doch auch die untere Instanz hat schon viele Möglichkeiten, meint Maximilian von Möllendorff.
Mit dem Inkrafttreten des Justizstandort-Stärkungsgesetzes zum 1. April 2025 hat Deutschland eine längst überfällige Möglichkeit geschaffen, für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten eine echte Alternative zu englischsprachigen Schiedsgerichten anzubieten. Das Gesetz bringt einen verkürzten Instanzenzug, englischsprachige Verfahren, innovative Elemente der Schiedsgerichtsbarkeit verknüpft mit altbewehrtem Zivilprozessrecht. Zeitnah haben die ersten Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten sowie Commercial Chambers bei den Landgerichten ihre Arbeit aufgenommen und werben auf eigens dafür geschaffenen Internetauftritten um ihre ersten Fälle. Allen Befürchtungen zum Trotz gibt es sogar aus Karlsruhe positive Signale dahingehend, dass sich der Bundesgerichtshof der ihm freigestellten Möglichkeit englischsprachiger Verfahren nicht verschließen wird. Doch wie sieht es bei den Amtsgerichten aus?
Ein Blick in die Gesetzgebungsmaterialien offenbart, dass Amtsgerichte als einzige Instanz in die Erwägungen von vorherein nicht mit einbezogen worden sind. Vor dem Hintergrund, dass durch die Einführung von Commercial Courts insbesondere große Wirtschaftsverfahren zurück vor staatliche Gerichte geholt werden sollten, ist dies zwar durchaus nachvollziehbar. Dennoch macht die Globalisierung vor den vermeintlich einfachen Problemen in Deutschland lebender Menschen nicht Halt. Ob nun die Klage des Erasmus-Studenten gegen seinen im Ausland sitzenden Vermieter oder des Verbrauchers gegen einen internationalen Konzern: Nahezu jede Fallgestaltung vor deutschen Amtsgerichten lässt sich auch grenzüberschreitend denken.
Zudem dürfte auch die geplante Verdopplung der Streitwertgrenze ab dem 1. Januar 2026 an deutschen Amtsgerichten eher zu einer Steigerung von Fällen mit grenzüberschreitenden Bezügen beitragen und dabei zugleich Fälle vor Amtsgerichte bringen, die sonst möglicherweise in die Zuständigkeit wirtschaftsnaher Spezialkammern am Landgericht gelangt wären.
Gerichte können bereits in einer Fremdsprache verhandeln
Herzstück des Justizstandort-Stärkungsgesetzes ist sicherlich der neu geschaffene § 184a Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und die mit ihm eingeführte Möglichkeit, vor ausgewählten Spruchkörpern bestimmte Streitigkeiten vollständig in englischer Sprache zu führen. Was auf dem ersten Blick nach einer Revolution klingt, war jedoch schon bisher auf Grundlage des § 185 Abs. 2 GVG in Teilen möglich. Hiernach kann die Zuziehung eines Dolmetschers unterbleiben, wenn die beteiligten Personen sämtlich der fremden Sprache mächtig sind. Dies gelingt wie bei den Vorläufern der Commercial Chambers von vornherein geplant oder aber im Termin spontan. In der Praxis dürften so bereits viele Terminsverlegungen abgewendet worden sein, bei denen ansonsten ein Folgetermin mit Dolmetscher erforderlich gewesen wäre – freilich nur dann, wenn die Sprachkenntnisse aller Anwesenden auch tatsächlich für die Belange einer Gerichtsverhandlung ausreichen, wovon sich das Gericht im Zweifel selbst überzeugen muss.
Worin also liegt der Mehrwert des neuen Gesetzes gegenüber der bisherigen Rechtslage? Dieser ist vor allem darin zu finden, dass nicht nur die mündliche Verhandlung selbst, sondern das gesamte Verfahren in englischer Sprache geführt werden kann und damit nunmehr erstmals auch Schriftsätze sowie gerichtliche Entscheidungen (Beschlüsse/Urteile) umfasst.
Doch auch in diesem Zusammenhang konnte und kann die Zivilprozessordnung (ZPO) zumindest ein wenig Abhilfe schaffen. So räumt § 142 Abs. 3 ZPO Gerichten schon lange ein Ermessen ein, ob von in fremder Sprache abgefassten Urkunden eine Übersetzung beigebracht werden soll, oder die eigenen Sprachkenntnisse ausreichen. Sowohl zur Verfahrensbeschleunigung als auch zur Kostenreduzierung sollte von diesem Ermessen in der Praxis ruhig mutig Gebrauch gemacht werden. Darüber hinaus spricht nichts dagegen, bspw. umfangreichen Hinweisen unmittelbar eine unverbindliche Convenience Translation beizufügen. Die Praxis hat gezeigt, dass Parteien diese Mehrarbeit des Gerichts positiv wahrnehmen, sie die Tiefe der eigenen Einarbeitung unterstreicht und so letztlich die Vergleichsbereitschaft gesteigert wird.
Ein “vollwertig“ in englischer Sprache geführtes Verfahren i.S.e. Commercial Courts lässt sich so zwar nicht nachbilden, die hier aufgezeigten Lösungsansätze sind für die Belange amtsgerichtlicher – und der allermeisten landgerichtlichen – Verfahren jedoch mehr als ausreichend.
Was man sich sonst noch von Commercial Courts abgucken kann
Welche Neuerungen hat das Justizstandort-Stärkungsgesetz noch zu bieten und müssen Amtsgerichte auf diese verzichten? Ein durchaus unterschätztes Instrumentarium dürfte der bei Schiedsgerichten schon lange bekannte Organisationstermin sein. Während § 612 ZPO diesen für Commercial Courts nunmehr obligatorisch vorsieht, können sich Zivilgerichten schon bisher die flexiblere Norm des § 273 ZPO – die Regelung zur Vorbereitung eines Termins – nutzbar machen. Ziel eines solchen Termins ist es, den Sach- und Streitstand zeitnah mit den Parteien zu erörtern und Vereinbarungen zu Organisation und Ablauf des weiteren Verfahrens zu treffen. Und die Praxis bestätigt: Ein kurzer, frühzeitiger Termin, um das Verfahren in die richtigen Bahnen zu lenken und zugleich Vergleichsmöglichkeiten auszuloten, hat schon oft Wunder gewirkt und kann ohne Weiteres auch ressourcensparend als Videoverhandlung durchgeführt werden.
Auch die übrigen Neuerungen lassen sich mit entsprechendem personellen bzw. technischen Einsatz auch auf Ebene der Amtsgerichte spiegeln. Dies betrifft etwa die neu geschaffene Möglichkeit mitlesbarer Wortlautprotokolle von Verhandlungen und Beweisaufnahmen, wobei deren Mehrwert schon bei den Commercial Courts in vielen Fällen fraglich erscheint. Die dagegen mit dem Justizstandort-Stärkungsgesetz ebenfalls eingeführten, flankierenden Regelungen zum Geheimnisschutz sind ohnehin direkt auch auf amtsgerichtliche Verfahren anzuwenden.
Auch bei der Digitalisierung geht’s voran
Ergänzt werden deutsche Vorhaben zur Internationalisierung und Digitalisierung der Justiz von europäischer Seite, etwa durch die in der Praxis überraschend zurückhaltend angewandten Möglichkeiten der EU-Digitalisierungsverordnung. Bereits zum 1. Oktober 2024 hat Deutschland als erster Mitgliedstaat die vorzeitige Anwendung des Artikel 5 dieser Verordnung erklärt und damit grenzüberschreitende Videoverhandlungen durch deutsche Gerichte in einem anderen EU-Mitgliedstaat ermöglicht.
Sofern zugleich die Änderung des § 128a ZPO (Videoverhandlung) von einer Kann- in eine Soll-Vorschrift wirklich ernst genommen wird, ergeben sich hier insbesondere im grenzüberschreitenden Kontext bedeutende Synergieeffekte, die auch von Amtsgerichten nutzbar gemacht werden können. Vorbei sind mühevolle Diskussionen mit überraschend aus dem Urlaubsort zugeschalteten Verfahrensbeteiligten und auch die ein oder andere Terminsverlegung dürfte künftig vermeidbar sein, von (Reise-)Kostenersparnissen ganz zu schweigen.
Lediglich in solchen Fällen, in denen eine Parteianhörung zugleich auch der richterlichen Überzeugungsbildung dient, bleibt auch künftig bedauerlicherweise etwas Zurückhaltung geboten – eine informatorische Anhörung dürfte wohl wie eine Beweisaufnahme zu behandeln sein, sodass weiterhin der Rechtshilfeweg nach der EU-Beweisaufnahmeverordnung beschritten werden muss.
Weitere Vorhaben im Kontext englischsprachiger Verfahren, wie etwa Überlegungen zu einem europäischen Commercial Court nach dem Vorbild des Einheitlichen Patentgerichts, stehen dagegen auf einem anderen Blatt und dürften für die Belange von deutschen Amtsgerichten weitgehend ohne Relevanz bleiben.
Englischsprachige Zivilabteilungen an den Amtsgerichten?
Amtsgerichte können also schon jetzt auch im internationalen Kontext mit wenigen Mitteln "mithalten". Sicherlich ist die Anwendung der aufgezeigten Hilfsmittel aber nicht nur vom Willen und persönlichen Einsatz der einzelnen Richterinnen und Richtern abhängig, sondern auch von deren (Sprach-)Fähigkeiten. Beispielsweise in Großstädten mit einem erhöhten Aufkommen englischsprachiger Fälle könnten einzelne Amtsgerichte daher in Erwägung ziehen, ähnlich den Vorläufern der Commercial Chambers an diversen Landgerichten, als besonderes Angebot auch englischsprachige Zivilabteilungen in ihren Geschäftsverteilungsplänen vorzusehen. Neben einer Profilierung des eigenen Amtsgerichts könnte dies als positiven Nebeneffekt die Attraktivität für besonders qualifizierten Nachwuchs steigern.
Gleichzeitig bieten die hier aufgezeigten Hilfsmittel auch für Gerichte höherer Instanzen die Möglichkeit, möglichst breite Spektren an englischsprachigen Fallgestaltungen abzudecken – selbst dann, wenn die eigene Landesregierung die Zuständigkeit der Commercial Courts in der entsprechenden Rechtsverordnung (ggf. zu stark) auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkt hat.

Der Autor Maximilian von Möllendorff, LL.M. (LSE) ist Richter am Amtsgericht Mitte von Berlin und war zuvor u.a. als Rechtsanwalt am Berliner und Londoner Standort einer internationalen Sozietät sowie als Richter in einer internationalen Zivilkammer des Landgerichts Berlin II tätig. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
Internationalisierung der Justiz: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58310 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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