Wie viel ist mit der neuen Einstufung der AfD rechtlich schon vorentschieden für ein Parteiverbot? In der Diskussion gerät aus dem Blick, dass Einstufung und Verbotsverfahren unterschiedliche Voraussetzungen haben, meint Markus Sehl.
Nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft hat, ist die Diskussion um die Folgen in vollem Gange. Schon vor Veröffentlichung der Behördeneinschätzung war absehbar, dass dieser Schritt eine Verbotsdiskussion wieder entfachen würde. Daran ändert auch die aktuelle Stillhaltezusage des Verfassungsschutzes nichts, die keine Rücknahme der Einstufung, sondern nur eine Aussetzung bis zum Abschluss des Eilverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Köln darstellt.
Für die Frage, ob eine Partei als verfassungsfeindlich nach Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verboten werden kann, werden Erkenntnisse und Einschätzungen des Verfassungsschutzes eine Rolle spielen. Für seine Einstufung sammelt der Nachrichtendienst Nachweise, dass die Partei sich gegen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip, den Rechtsstaat und seine Institutionen richtet. Insofern könnte man sagen, die Verfahren bauen aufeinander auf.
Dennoch handelt es sich um ganz unterschiedliche Verfahren. Das Verbotsverfahren hat eigene Voraussetzungen, die über die Verfassungsschutz-Einstufung "gesichert extremistisch" hinausgehen. Und deshalb scheinen Argumente in der Diskussion um ein Parteiverbotsverfahren, man müsse zunächst die (jahrelange) gerichtliche Klärung zur Einstufung abwarten – alles andere als zwingend. Genauso wenig wie umgekehrt politische Forderungen, aus der Einstufung müsse geradezu zwingend ein Verbotsverfahren folgen.
BVerfG prüft eigenständig
Für ein Parteiverbot ist allein das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zuständig. Auch für das Karlsruher Gericht ist es ein besonderes Verfahren. Denn es ist hier nicht nur verfassungsrechtlicher Überprüfer in letzter Instanz, sondern erste und erst mal letzte Instanz.
Parteien werden als verfassungswidrig verboten, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden (Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz).
Auf der anderen Seite bestimmt das Gesetz für den Verfassungsschutz, Bestrebungen, also auch Parteien, ins Visier zu nehmen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung "richten" (z.B. § 3 Bundesverfassungsschutzgesetz).
Den Unterschied macht also das "darauf ausgehen" aus. Was darunter näher zu verstehen ist, hat das BVerfG im NPD-Verbotsverfahren 2017 ausgeführt. Dort heißt es, das "darauf ausgehen" setze "ein planvolles Handeln voraus, das im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder auf die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist". Anfang 2024 hat das Gericht diesen Maßstab noch einmal bestätigt.
Verletzung der Menschenwürde durch Äußerungen reicht nicht
In der Formulierung des Gerichts stecken zwei zentrale Voraussetzungen, die so bislang für die AfD weder in den Einstufungen durch den Verfassungsschutz noch in den sich angeschlossenen Gerichtsverfahren eine Rolle gespielt haben.
Denn aus der Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich, dass es für ein Parteiverbot, nicht ausreicht, verfassungsfeindliche, etwa menschenwürdefeindliche, Inhalte zu verbreiten. Es muss eine planvolle Umsetzungsdimension hinzukommen. Darin steckt, erstens, dass einzelne einschlägige Aussagen auf eine Strategie, einen Plan verweisen müssen. Und zweitens muss zur Umsetzung eben genau dieses Plans angesetzt werden, die Partei muss sozusagen dabei sein, ins Handeln zu kommen.
Inhaltlich werden der AfD Stand jetzt vor allem verfassungsfeindliche Aussagen zur Menschenwürde vorgeworfen, bei Demokratie und Rechtsstaat ist die Materiallage offenbar dünn.
Es bräuchte dann im Verbotsverfahren Nachweise, dass es die Partei darauf anlegt, in einer Machtposition eine Politik zu betreiben, die die Menschenwürde verletzt. Also sehr grob als Beispiel: Menschen mit abscheulichen Aussagen herabzuwürdigen, mag Auskunft über die verfassungsfeindliche Einstellung in der Partei geben. In einem Verbotsverfahren müsste der Nachweis hinzukommen, dass die AfD an solche Aussagen auch konkrete Maßnahmen knüpfen wird, etwa die Gesetzeslage ändern will, sodass Staatsbürgern, die ihnen nicht Staatsbürger genug sind, rechtliche und tatsächliche Nachteile drohen.
Im NPD-Verbotsverfahren hatte das BVerfG mit dieser Bewertung keine großen Schwierigkeiten. Die inhaltlichen Aussagen und Beweislage sprachen für sich. Schon das NPD-Parteiprogramm schloss alle von Sozialleistungen aus, die es nicht zu einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft der Deutschen zählte. Auch sollten deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund nicht für politische Ämter kandidieren dürfen.
Der AfD müssten solche Aussagen nachgewiesen werden können, die auf eine Politik rechtlicher Ausgrenzung zielt.
Wollen nicht alle Parteien an die Macht
Wie steht es mit dem Aktivitätsmoment, das im "darauf ausgehen" steckt. Hier scheinen die Anforderungen des BVerfG erstaunlich deckungsgleich mit den regelmäßigen Aktivitäten einer jeden Partei, die über aussichtsreiche Unterstützung und Wählerschaft verfügt und an die Macht will. Das BVerfG schaut auf Finanz- und Organisationsstrukturen einer Partei, ihre Beteiligung an Wahlen. Voraussetzungen, die bei der AfD ohne Weiteres erfüllt sind.
Das BVerfG verlangt für ein Verbot darüber hinaus, dass das verfassungsfeindliche Konzept strategisch und planvoll in Richtung Umsetzung vorangetrieben wird. Bei einem Blick in die Prüfung im NPD-Verfahren fallen die dort angeführten Aktivitäten wenig spektakulär aus. Für maßgeblich hielten die Karlsruher Richter: die bundesweite Durchführung von Veranstaltungen, etwa Schulungen und Anwerbeveranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit für politische Parteiziele, unterschiedliche, auch anpassungsfähige Wege der Umsetzungsstrategie, die Vernetzung mit nationalen und internationalen rechtsradikalen Strukturen. Auch diese Voraussetzung dürfte bei der AfD gegeben sein.
Nicht ankommen wird es für ein Verbot dagegen auf die Mittel von Umsturz oder Gewalttätigkeiten, wie es zuletzt von Unions-Landesinnenminister Armin Schuster wieder zu lesen war. Dazu das BVerfG: "Eine Partei kann auch dann verfassungswidrig sein, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausschließlich mit legalen Mitteln und unter Ausschluss jeglicher Gewaltanwendung verfolgt." Das Parteiverbot stelle gerade auch eine Reaktion auf die von den Nationalsozialisten verfolgte Taktik der „legalen Revolution“ dar. Und so ist die Einschätzung Schusters vielleicht am ehesten Ausdruck einer aufgeregten und unsortierten Diskussion um das Parteiverbot.
Doch eine weitere Unsicherheit bleibt. So gut wie alles, was wir an Rechtsprechung zum Parteiverbot kennen, stammt aus dem Verfahren gegen die NPD. Auch damals schärfte das BVerfG seine Maßstäbe, mutmaßlich auch unter dem Eindruck einer strengeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Das Karlsruher Gericht fasste die Verbotsvoraussetzungen für Parteien in Deutschland restriktiver. Und so bleibt offen, ob das BVerfG mit einem AfD-Verbotsantrag konfrontiert, seine Grundsätze konkretisieren würde.
Feststehen dürfte aber eins. Mit einem Verbotsantrag befasst, wird das BVerfG hineingezogen in eine breite gesellschaftliche Debatte um die "Politisierung" des Gerichts. Natürlich kann ein solches Risiko umgekehrt kein Grund sein, es nicht mit seinen Aufgaben zu befassen. Sie sollten nur gut vorbereitet und überlegt sein.
Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57170 (abgerufen am: 14.05.2025 )
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