Eine Frage an Thomas Fischer: Sind höhere Geld­bußen bei Rot­licht­ver­stoß mit SUV rech­tens?

Kolumne von Prof. Dr. Thomas Fischer

03.07.2022

Wegen besonderer Gefährlichkeit von SUV's sollen nach Ansicht des AG Frankfurt Rotlichtverstöße ein erhöhtes Bußgeld zur Folge haben. Thomas Fischer hält es hingegen für willkürlich, die Gefährlichkeit des Verstoßes nach dem Autotyp zu bemessen.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat in einem Ordnungswidrigkeiten-Verfahren wegen eines Rotlichtverstoßes eine Geldbuße verhängt (Urt. v. 03.06.2022, Az. 974 OWi 533 Js-OWi 18474/22, nicht rechtskräftig). Grundlage war, dass die betroffene Fahrerin eine rote Ampel überfuhr, obwohl diese bereits länger als eine Sekunde "Rot“ zeigte. Nach dem geltenden Bußgeldkatalog beträgt die Regelgeldbuße für diesen Verstoß 200 €; dazu gibt es 2 Punkte und ein Fahrverbot von einem Monat. Dieser Regelsatz gilt für Pkw und Lkw gleichermaßen. Das Amtsgericht hat die Geldbuße im Einzelfall auf 350 € erhöht, u.a. weil die von dem Verstoß ausgehende abstrakte Gefährdung besonders hoch gewesen sei. Es habe sich nämlich um ein "Sports Utility Vehicle" (SUV) gehandelt, im konkreten Fall der Marke BMW. Das SUV habe typenbedingt eine "kastenförmige" Gestalt und eine gegenüber dem Durchschnittsauto höhere Front. Daher gehe von diesem bei möglichen Kollisionen eine gegenüber dem Durchschnittsauto erhöhte Gefahr aus.

Die Gesetzessystematik zur Höhe von Geldbußen

Geldbußen in Ordnungswidrigkeitensachen werden nicht wie die Geldstrafen des Strafrechts nach Tagessätzen festgesetzt (§ 40 Strafgesetzbuch (StGB)), sondern in einer festen Summe innerhalb gesetzlicher Rahmen (vgl. § 17 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)). Das beruht auf dem Charakter der OWiG-Verfolgung als Ahndung von Verwaltungsunrecht, bei der schon im Hinblick auf die Massenhaftigkeit der Verstöße individuelle Zumessungsgesichtspunkte hinter die Anforderungen der Generalprävention und der Gleichmäßigkeit zurücktreten. Trotzdem sind auch die Höhen von Geldbußen nicht als fixe Summen im Gesetz vorgeschrieben; vielmehr werden sie innerhalb von Rahmen festgesetzt. Für diese Rahmen bietet § 17 Abs. 1 OWiG eine Grundnorm mit einer Spanne der Geldbuße zwischen fünf und höchstens eintausend Euro. In zahllosen Gesetzen mit OWi-Tatbeständen sind Rahmen abweichend geregelt. 

Eine nochmalige Schematisierung der Zumessung ergibt sich aus "Katalogen", deren bekanntester die Bußgeldkatalog-Verordnung "über (…) Regelsätze für Geldbußen (…) wegen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr" (BKatV) ist. § 1 Abs. 2 BKatV bestimmt: "Die im Bußgeldkatalog bestimmten Beträge sind Regelsätze. Sie gehen von gewöhnlichen Tatumständen (…) aus"; in § 3 BKatV sind einzelne Abweichungen geregelt. Für nicht "gewöhnliche Tatumstände" wird für die Bemessung der Geldbuße auf § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG zurückgegriffen: Danach ist Grundlage für die Zumessung der Geldbuße zum einen "die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit" und zum anderen "der Vorwurf, der den Täter trifft".  

SUV-Fahren keine Frage der persönlichen Schuld 

Mit dem "Vorwurf, der den Täter trifft" ist nicht eine Gesamtbewertung von Unrecht und Schuld gemeint, sondern der individuelle Schuldvorwurf, so dass insoweit die Kriterien des § 46 StGB über die Grundsätze der Strafzumessung anzuwenden sind. Dieser Vorwurf betrifft im Fall des Rotlichtverstoßes vor allem die Dauer der beim Verstoß bereits vorliegenden Rotlichtphase, im Übrigen etwaige konkrete Gefährdungen, Vorsatz-/Fahrlässigkeitsfragen usw. Das Fahren eines bestimmten Kfz-Typs ist keine Frage der persönlichen Schuld; das Führen eines Lieferwagens ist als solches nicht vorwurfsbegründender als etwa das Führen eines Sportwagens. 

Es geht hier also um das Kriterium "Bedeutung der Ordnungswidrigkeit". Insoweit nimmt die Einordnung des Verstoßes in die Systematik des Bußgeldkatalogs eine schematische, am Regelfall orientierte Einordnung vorweg und ordnet die "durchschnittliche" Bedeutung der Ordnungswidrigkeit verbindlich ein. Daher darf z.B. eine Geldbuße für einen Rotlichtverstoß unter einer Sekunde (nach Bußgeldkatalog: 90 €) nicht ausschließlich deshalb auf die erst für einen Rotlichtverstoß von mehr als eine Sekunde vorgesehenen 200 € Geldbuße erhöht werden, weil 0,9 Sekunden nach Ansicht des Gerichts "genauso schlimm" seien wie 1,1 Sekunden. 

Viele Kriterien beeinflussen die Gefährlichkeit 

Bei der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit kommt es vor allem auf das Ausmaß der durch den Verstoß verursachten (abstrakten oder konkreten) Gefährdung oder eines eingetretenen Schadens an. Im vorliegenden Fall kommt nur eine abstrakte Gefährdung in Betracht. Hier könnte man argumentieren, dass jeder einzelne Rotlichtverstoß eine jeweilige Besonderheit ist, weil niemals alle Bedingungen und Umstände übereinstimmen. Dabei kann es sich um Verschiedenheiten aus und in ganz verschiedenen Sphären handeln, die durchaus Einfluss auf das Maß einer abstrakten Gefahr haben können:  

Unterschiede können in den konkreten Umständen der Verkehrssituation bestehen: Nächtlich leere Straße oder dichter Innenstadtverkehr; Ampel an übersichtlicher, in alle Richtungen weit einsehbarer Kreuzung oder an unübersichtlicher Einmündung; Ampel innerorts oder außerorts; Kreuzen von Fußgänger- oder Fahrradverkehr, usw. 

Unterschiede können in objektiven Bedingungen des Betroffenen liegen: Alter, Reaktionsgeschwindigkeit, Fahrerfahrung. 

Und schließlich können die Unterschiede sich aus technischen Gegebenheiten ergeben: Typ, Gewicht, Form, Wartungszustand, Bremsleistung, Übersichtlichkeit des geführten Fahrzeugs; Geschwindigkeit, mit welcher der Rotlichtverstoß begangen wird.

SUV-Fahren ist heutzutage Durchschnitt

Bei allen genannten (und anderen) möglichen Besonderheiten ist davon auszugehen, dass ihre Möglichkeit dem Verordnungs- und Kataloggeber bekannt war. Wenn er gleichwohl von einem "Regelfall" und vom "Durchschnitt" spricht, ist damit nicht ein rechnerischer Durchschnitt aus qualitativ unterschiedlichen Merkmalen gemeint: Es gibt keinen "Durchschnitt" von Gewicht und Kreuzungsübersichtlichkeit. Es kann auch nicht sinnvoll ein "Durchschnitt" der Höhe aller zugelassenen Fahrzeuge ausgerechnet und als "Regel" zugrunde gelegt werden. Zwar ist SUV-Fahren heute so verbreitet (jede dritte Neuzulassung in Deutschland ist ein SUV), dass es weit mehr dem „Durchschnitt“ entspricht als manche andere Fahrzeugtypen. Aber es lässt sich angesichts der extremen Modelldifferenzierung kaum von einem „durchschnittlichen SUV“ sprechen. 

Hier wurde vom Amtsgericht das Kriterium "Typ des Kfz" herangezogen. Das ist nicht von vornherein abwegig, wie es andere Kriterien wären (Form der Felgen; Farbe des Kfz). Vielmehr haben Vergleichsstudien der Versicherungswirtschaft gezeigt, dass von sog. SUV bei Kollisionen eine erhöhte Verletzungsgefahr für die Insassen anderer beteiligter Fahrzeuge, Radfahrer und Fußgänger ausgeht, wenn und weil regelmäßig die "Stoßstangen" höher über dem Boden liegen, das Gewicht der Fahrzeuge und damit die kinetische Energie bei Aufprall hoch ist und nicht selten auch die Gestaltung der Fahrzeugfront schwere Aufprallfolgen begünstigt. Zugleich belegen diese Studien, dass für die Insassen der SUVs die Verletzungsgefahren gemindert sind.

Dieses Ergebnis muss man allerdings sogleich wieder relativieren: "SUV’s" werden heute in praktisch jeder Größe angeboten, inzwischen hat sich auch schon ein Typ "SUV-Coupé" etabliert. Das gilt sowohl für die äußere Gestalt als auch für das Gewicht der Fahrzeuge: zwischen 1.000 und 3.000 kg Leergewicht ist alles zu haben. Die Grenzen zwischen klassischen "Kombis", sog. "Kombilimousinen", "All-Terrain-Kombis" und "SUV’s", die ausschließlich für den normalen Straßenverkehr geeignet sind und keine "Sport"- oder Geländequalitäten aufweisen, sind fließend. 

Selbst für Lkw ist kein höheres Bußgeld vorgesehen

Insbesondere das Gewicht der Fahrzeuge ist kaum sinnvoll nach dem Kriterium "SUV" abzugrenzen. Eine Mittelklasse-Limousine mit Elektroantrieb wiegt aufgrund der Größe der Batterien durchweg mehr als ein "SUV" der unteren Klassen; überdies bauen die reinen Elektro-Fahrzeuge häufig deutlich höher, weil die Batterien im Unterboden verbaut sind. 

Besonders eklatant wird die Problematik einer Differenzierung nach Kfz-Typ bei der Behandlung von Lkw-Verstößen. Die Regelgeldbuße für Rotlicht-Verstöße von vier Meter hohen, senkrechten 40-Tonnen-Lkw’s ist genauso hoch wie für 800 kg schwere Kleinwagen. Insoweit kann man auch nicht argumentieren, der Verordnungsgeber habe die möglichen Unterschiede übersehen oder nicht bedacht. Dies spricht gravierend dafür, dass die "Regelfälle", welche der Bußgeldkatalog mit dem Rotlichtverstoß erfasst, Typ und Form des jeweiligen Kfz außer Betracht lassen sollen.

Gefährlichkeit nur am SUV-Fahren zu messen, bedeutet Willkür 

Entscheidend gegen eine individuelle Berücksichtigung spricht der Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Es wäre grob gleichheitswidrig und objektiv willkürlich, bei der Bestimmung der abstrakten Gefahr im Einzelfall den Typ des verwendeten Fahrzeugs, nicht aber die Tageszeit, die Verkehrsdichte oder die Übersichtlichkeit des Ortes zu berücksichtigen, ebenso nicht die Geschwindigkeit. In diesem Fall müsste man eine individualisierte Bewertung des Verstoßes in jedem Einzelfall vornehmen: Ist ein Rotlichtverstoß einer Luxuslimousine mit 70 km/h genauso gefährlich wie der eines Klein-SUV mit 40 km/h? Kompensiert die Geschwindigkeit von 20 km/h eines SUV beim Rotlichtverstoß sein Gewicht von 2,8 Tonnen?

Damit würde man Zweck und Vorteil des Bußgeldkatalogs als schematische Ahndungsanleitung für Massenverstöße ab absurdum führen. Es würde auch in großer Zahl Einsprüche und Rechtsbeschwerden von Betroffenen provozieren, die ihren eigenen Verstoß als willkürlich geahndet ansehen, weil sie bestimmte gefahrsenkende Merkmale vorweisen können. Im Übrigen müsste eine solche Zumessungspraxis selbstverständlich auch für alle anderen Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten des Katalogs gelten. Die unvermeidliche Folge wäre, was gerade vermieden werden soll: Rechtsunsicherheit, extremer Aufwand und Geldbußen nach subjektiv richterlichen "Überzeugungen". 

Antwort, im Ergebnis:

Die Entscheidung des AG Frankfurt/M überzeugt – soweit die Begründung bekannt ist – nicht. Sie setzt an einer populären Stimmung an, ist aber einfachrechtlich kaum begründbar und verfassungsrechtlich fragwürdig. Wenn die "durchschnittliche" abstrakte Gefahr bestimmter Verstöße steigt, kann man die Regel-Geldbuße anheben. Eine Differenzierung der Geldbußen nur nach dem Typ des geführten Kfz bei Rotlicht-, Geschwindigkeits- oder sonstigen abstrakt gefährlichen Verkehrsverstößen ist nicht nur unzulässig, sondern angesichts einer Vielzahl weiterer Faktoren, die die (abstrakte) Gefährlichkeit bestimmen, auch evident unzweckmäßig. 

Prof. Dr. Thomas Fischer ist Rechtsanwalt in München und Rechtswissenschaftler. Er war von 2013 bis 2017 Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof. Für LTO schreibt er die Kolumne "Eine Frage an Thomas Fischer".

 

Zitiervorschlag

Eine Frage an Thomas Fischer: . In: Legal Tribune Online, 03.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48922 (abgerufen am: 07.10.2024 )

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