Der Einsatz psychotroper Substanzen zur Ermöglichung einer Sexual- oder Raubstraftat soll höher bestraft werden, fordert der Bundesrat. Reichen die vorhandenen Tatbestände wirklich nicht aus, Herr Fischer?
Mit Beschluss vom 21. März 2025 (BR-Drs. 28/25), über den LTO berichtete, hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, "welcher den Einsatz psychotroper Substanzen zur Ermöglichung einer Sexual- oder Raubstraftat einem schuldangemessenen Strafrahmen unterstellt". Er hat nämlich "festgestellt, dass eine schuldangemessene Bestrafung (solcher Taten) gewährleistet werden muss". Der Beschluss beruht auf einem Antrag Berlins vom 28. Januar 2025. Dieser beschränkte sich auf Sexualstraftaten; das wurde im federführenden Rechtsausschuss des Bundesrats auf Raubtaten (Raub, räuberischer Diebstahl, räuberische Erpressung) erweitert (Drs. 28/1/25). Hierzu noch unten.
Begründet ist die Entschließung mit einem Beschluss des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH). Dieser hat mit für die "amtliche" Sammlung BGHSt vorgesehenem Beschluss vom 8. Oktober 2024 (Az. 5 StR 382/24) entschieden:
"So genannte K.O.-Tropfen stellen weder für sich genommen noch bei Verabreichung in einem Getränk, in das sie vorher mit einer Pipette hineingetropft wurden, ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB (Strafgesetzbuch) dar" (Leitsatz des Senats).
Ziel der Verabreichung: sexuelle Enthemmung
Dem zugrunde lag ein Urteil des Landgerichts (LG) Dresden. Dieses hatte, soweit aus dem BGH-Beschluss erkennbar, den Angeklagten unter anderem wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs (§ 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 – und möglicherweise auch Nr. 3 und Nr. 5 StGB) gegen Opfer (O) 1 sowie wegen einer weiteren gefährlichen Körperverletzung (O 2) zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Den Schuldspruch und die Einzelstrafe im Fall von O 1 sowie die Gesamtstrafe hat der BGH auf die Revision des Angeklagten aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen.
Der Angeklagte hatte seiner Verlobten (O 2) und deren stark angetrunkener Freundin (O 1), die mit ihrer Lebensgefährtin beim Angeklagten und seiner Verlobten übernachtete, GBL ("K.O.-Tropfen") in ihre Getränke getropft, weil er sie "sexuell enthemmen" wollte. Eine Bewusstlosigkeit der Frauen nahm er – so die Feststellungen des LGs – billigend in Kauf, die Möglichkeit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung (durch Kombination mit Alkohol) bis hin zur Todesgefahr "war ihm bewusst".
O 1, normalerweise zurückhaltend, geriet in einen "enthemmten" Zustand und entkleidete sich (teilweise) beim Tanzen mit O 2. Zu diesem Zeitpunkt näherte der Angeklagte sich ihr, küsste sie und streichelte sie – über BH und Slip – an Brust und Vulva, was sie ohne die Berauschung nicht gestattet hätte. Später wurde die Frau schlafend und nicht ansprechbar im Garten aufgefunden. Hätte sie in diesem Zustand Erbrochenes aspiriert oder ihre Zunge verschluckt, so wäre sie in Lebensgefahr geraten.
Das LG Dresden hatte angenommen, die Substanz "GBL" sei ein "gefährliches Werkzeug", wie es als Qualifikationsmerkmal unter anderem in § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB (besonders schwerer sexueller Übergriff), in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (gefährliche Körperverletzung) und § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (schwerer Raub) vorausgesetzt ist. Damit ist ein strafrechtsdogmatischer Bereich eröffnet, der zu den verworrensten und umstrittensten des ganzen Besonderen Teils des StGB zählt – und dies, obwohl er von sehr großer praktischer Bedeutung ist. Er kann an dieser Stelle nicht in seiner Breite erklärt werden. Auch die mit einer abstrakten oder konkreten Lebensgefährdung zusammenhängenden Fragen sollen hier außer Betracht bleiben. Wichtig ist daher hier nur Folgendes:
Gesetz unterscheidet nach Mittel und Art des Einsatzes
Das Gesetz unterscheidet hinsichtlich des – tatsächlichen oder potenziellen – Einsatzes von "Gewalt" einerseits nach verschiedenen Mitteln: Das sind neben Körperteilen bei der "einfachen" körperlichen Gewalteinwirkung etwa "Waffen", gefährliche Werkzeuge", "sonstige Werkzeuge" und "sonstige Mittel". Bei der gefährlichen Körperverletzung gibt es auch noch – zusätzlich zum "gefährlichen Werkzeug" – die Mittel "Gift" sowie "andere gesundheitsschädliche Stoffe" (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Diese hat die Vorschrift nicht exklusiv (siehe § 89a Abs. 2 Nr. 1 und § 314 StGB), aber immerhin taucht hier der Begriff "gesundheitsschädlicher Stoff" (Nr. 1) ausdrücklich abgegrenzt vom "gefährlichen Werkzeug" (Nr. 2) auf. Außerdem kennen § 311 und § 328 StGB noch exotische Mittel wie ionisierende Strahlen und radioaktive Stoffe.
Andererseits wird unterschieden nach der Art des Einsatzes: "Unter Bei-/Mit-sich-Führen" (z.B. in §§ 113 Abs. 2 Nr. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1a, 250 Abs. 1 Nr. 1a, 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB) und unter "Verwenden". Ein gesundheitsschädlicher Stoff muss dem Opfer "beigebracht", ein gefährliches Werkzeug "verwendet" (§§ 177 Abs. 8 Nr. 1, § 250 II Nr. 1 StGB) oder eine Körperverletzung "mittels" eines solchen verursacht werden (§ 224 I Nr. 2 StGB), ein sonstiges Mittel mindestens (in Verwendungsabsicht) "mitgeführt" werden.
Wer die vorstehende Differenzierung nicht auf Anhieb versteht, muss sich, falls er nicht mindestens fortgeschrittener Jurastudent ist, weder schämen noch Sorgen machen: Rechtspraxis und Rechtspolitik durchdringen sie seit Längerem auch nur noch "praxisbezogen", d.h. unter Inkaufnahme von Widersprüchen. Das wird noch dadurch verschärft, dass der "Gewalt"-Begriff in der kriminalpolitischen Diskussion immer mehr ausufert und sich dem Begriff des (allgemeinen) "Zwangs" annähert.
GBL ist ein Stoff, kein Werkzeug
Die chemische Verbindung GBL ist, so hat der BGH überzeugend und in Übereinstimmung mit früherer Rechtsprechung begründet, kein "Werkzeug" (ein Gegenstand, der von außen auf den Körper des Opfers einwirkt), sondern ein "Stoff", welcher dem Opfer innerlich "beigebracht" wird. Wenn dies mittels einer Pipette (oder eines anderen Behältnisses) geschieht, ändert sich daran nichts: Wenn der Täter dem Opfer mit einem Löffel oder auf einem Teller vergiftetes Essen serviert, sind weder das Gift noch Löffel oder Teller "gefährliche Werkzeuge".
Die Sexualtatbestände § 177 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StGB bestrafen, wenn der Täter es ausnutzt, dass eine Person "aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands" keinen Abwehrwillen bilden kann oder insoweit erheblich eingeschränkt ist. Häufiger Anwendungsfall ist eine starke Berauschung des Opfers zur Tatzeit. Die Strafe ist hier Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahre. Sie erhöht sich, wenn der Täter die Berauschung selbst herbeiführt, indem er "ein Mittel mit sich führt, um den Widerstand einer anderen Person … zu überwinden", nach Abs. 7 Nr. 2 StGB auf Freiheitsstrafe von drei bis 15 Jahren. Das Mitsichführen umfasst hier auch das Verwenden. Wäre das Mittel ein "gefährliches Werkzeug“ und würde "verwendet", wäre die Strafdrohung fünf bis 15 Jahre (§ 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB).
Das LG Dresden hatte, wie der BGH zutreffend gesehen hat, mit der Anwendung von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB insoweit die Wortlautgrenze überschritten: Bloße "Gerechtigkeits"-Erwägungen sind nicht ausreichend, um den Verfassungsgrundsatz der Tatbestandsbestimmtheit auszuhebeln. Nach diesem Grundsatz müssen Strafnormen so konkret sein, dass Tragweite und Anwendungsbereich des Tatbestandes zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Ein "Werkzeug" ist aber – im allgemeinen Sprachgebrauch – etwas anderes als ein "Stoff" (oder "Gift"). Dafür spricht vor allem auch, wenn beide Gewaltvarianten ausdrücklich in unterschiedlichen Tatbeständen geregelt sind, wie es bei den Varianten der gefährlichen Körperverletzung der Fall ist. Diese Wortlautgrenze und das Analogieverbot des Strafrechts (Art. 103 Grundgesetz, § 1 StGB) lassen sich nicht mittels Empörung überwinden.
Alkoholische Getränke beim Date
Das Anliegen des Bundesrats ist ebenso offensichtlich wie anlassbezogen: Weil die Substanz GBL konkret genauso gefährlich sein könne wie ein gefährliches Werkzeug, soll auch der Strafrahmen bei ihrer Verwendung gleich sein, denn "es (könne) keinen Unterschied machen". Das klingt plausibel.
Allerdings könnte man schon fragen, warum ausgerechnet der konkrete Fall aus Dresden dem Bundesland Berlin Anlass zu der Initiative und dem Bundesrat Anlass zur Entschließung gegeben hat. Die sexuelle Handlung, welche der Täter (sich) mittels GBL ermöglicht hat, war verglichen mit anderen Sexualstraftaten nicht schwerwiegend (Berührung des mit Unterwäsche bekleideten Körpers). Warum hier eine Mindest-Strafe von drei Jahren nicht ausreichen sollte, ist schwer erkennbar, und bis zur Höchst-Grenze von 15 Jahren dürfte sich allemal eine schuldangemessene Strafe finden.
Für eine Angleichung der Strafrahmen könnte also nur die abstrakte Überlegung sprechen, dass "Stoffe" im Einzelfall genauso gefährlich sein können wie Werkzeuge. Das ist zwar richtig, allerdings mit der bisherigen Systematik des StGB schwer zu vereinbaren. Denn es gilt selbstverständlich auch für die "sonstigen Werkzeuge" und die "sonstigen Mittel", dass erst die konkrete Anwendung die Gefährlichkeit im Einzelfall bewirkt. "Psychotrope Substanz" ist ein Begriff mit annähernd abundantem Bedeutungsgehalt. Sind Schmerzmittel mit geringer Beigabe von Amphetaminderivat psychotrop? Wie sieht es aus mit den psychotropen Substanzen Alkohol und Cannabis? Erfüllt das Herbeischaffen von alkoholischen Getränken zwecks Herstellung einer "Enthemmung" des Dating-Partners den Tatbestand des "Mitsichführens" in der Absicht, den Widerstand zu überwinden"?
Abgrenzungschaos wie bei den Werkzeugen
Man müsste also wohl das Merkmal "psychotrope Substanz" wiederum differenzieren in "gefährliche" und "sonstige" – analog dem "Werkzeug". Dies hätte nach gegenwärtigem Stand der Dinge dasselbe oder ein ähnliches Abgrenzungschaos wie dort zur Folge, denn wie jeder beliebige Alltagsgegenstand im konkreten Fall "gefährlich" sein kann, so macht bei den "Stoffen" und "Substanzen" bekanntlich die Dosis die Gefahr. Auch warum etwa die "psychotrope Substanz" nicht bei der Diebstahlqualifikation des § 244 StGB oder dem Landfriedensbruch (§ 125a StGB) ebenfalls der Strafdrohung für das Mitsichführen von gefährlichen Werkzeugen unterstellt werden sollte, erschließt sich spontan nicht.
Bezeichnend erscheint es, dass erst dem Rechtsausschuss des Bundesrats auffiel, dass die Raubtatbestände (§§ 250, 252, 255 StGB) insoweit dieselben Qualifikationsmerkmale enthalten wie § 177 Abs. 7 und 8 StGB. Der Berliner Antrag war dagegen allein auf eine Verschärfung des Sexualdelikts gerichtet. Das ist zum einen ein Beispiel für die nicht seltene Anlassfixiertheit strafrechtspolitischer Forderungen. Soweit erkennbar, war binnen vieler Jahrzehnte noch nie jemandem aufgefallen, dass der schwere Raub nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB das Verwenden psychotroper Substanzen angeblich nicht ausreichend hoch bestrafe. Im Gefolge der – im Grundsatz wie im Einzelfall vollkommen zutreffenden – BGH-Entscheidung im Fall eines Sexualdelikts soll das jetzt nachgeholt werden, um einer (weiteren) Verschärfung des Sexualstrafrechts den Adel vermeintlich systematischer Durchdringung zu verleihen. Zum anderen ist der Bundesratsbeschluss ein Beispiel für das (meist) nur in eine Richtung gehende Gestaltungsinteresse des Gesetzgebers bzw. der Strafrechtspolitik: Zur Verschärfung sowie zum Entdecken und Schließen jedweder "Lücke", sobald sich irgendwo in der Praxis eine (vermeintliche) "Ungerechtigkeit" zu Gunsten von möglichen Tätern gezeigt hat.
Antworten, im Ergebnis:
- "K.O.-Tropfen", Alkohol und zahllose andere Stoffe sind "psychotrope Substanzen" und damit "sonstige Mittel" im Sinn des StGB; sie sind keine "gefährlichen Werkzeuge".
- Das strafgesetzliche Gleichsetzen psychotroper Stoffe mit gefährlichen Werkzeugen und Waffen hätte rechtsdogmatische und praktische Folgen über den Bereich von sexuellem Übergriff und Raub hinaus.
- Die derzeit geltenden gesetzlichen Strafrahmen lassen jeden Spielraum, um im konkreten Fall eine angemessene, sachgerechte und verhältnismäßige Strafzumessung vorzunehmen.
- Die Aufforderung des Bundesrats an die Bundesregierung zu einer (weiteren) Gesetzesverschärfung folgt einer Logik des (anlassbezogenen) Schließens von (vermeintlichen) Lücken, welche im Ergebnis weder zu mehr Übersichtlichkeit des Gesetzes noch zu mehr Gerechtigkeit führt.
Eine Frage an Thomas Fischer: . In: Legal Tribune Online, 02.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56912 (abgerufen am: 13.05.2025 )
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