Ab Sommer 2026 sollen innerhalb der EU neue Asyl-Regeln gelten. Der hierfür von der Bundesregierung jetzt eingebrachte Gesetzentwurf geht jedoch über die EU-Vorgaben hinaus und setzt auf Kontrolle und Ausgrenzung, meint Clara Bünger.
2024 wurde auf europäischer Ebene die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen. Nun soll diese in nationales Recht umgesetzt werden. Deutschland will dabei die erheblichen nationalen Spielräume auf besonders restriktive Weise nutzen. Mit GEAS wird nicht nur das Asylrecht verschärft. Es verändert das Verhältnis zwischen Staat und Individuum grundlegend. Schutzsuchende gelten nicht mehr als Träger von Rechten, sondern als Risiko. Das Recht begrenzt staatliche Macht nicht länger, sondern dient ihrer Legitimation.
Hier zeigt sich das Muster eines autoritären Legalismus. Macht wird nicht durch offene Rechtsbrüche ausgeübt, sondern durch formale Einhaltung und gezielte Umgestaltung. Die demokratische Fassade bleibt, ihre Schutzfunktion wird entleert. So entsteht ein System, das nach außen rechtsstaatlich wirkt, im Inneren aber auf Kontrolle und Ausgrenzung zielt. Wenn Menschen als Waffen bezeichnet werden, zeigt sich, dass sie nicht mehr als Subjekte von Schutzrechten, sondern als Mittel politischen Kalküls behandelt werden.
Im Diskurs rund um GEAS wird von Politikerinnen und Politikern zunehmend betont, Asylverfahren müssten im Einklang mit der Stimmung in der Bevölkerung stehen. So erklärte Kommissionspräsidentin von der Leyen im Oktober 2024, man müsse auf den Einsatz von Migration als "hybride Attacke" reagieren, um das Vertrauen der Bevölkerung zu sichern. Die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) rechtfertigte Gesetzesverschärfungen damit, dass man mehr Menschen abschieben müsse, um die gesellschaftliche Akzeptanz für den Schutz von Flüchtlingen zu erhalten. Die Logik hinter solchen Aussagen: Nicht mehr Grundrechte sollen den Maßstab staatlichen Handelns bilden, sondern angebliche Mehrheitsmeinungen. Rechtsstaatlichkeit wird an Akzeptanz geknüpft und verliert ihren normativen Kern.
Die geplante Umsetzung von GEAS zeigt, wohin das führt. Rechtsgarantien bleiben auf dem Papier bestehen, der Zugang zu ihnen wird aber faktisch blockiert. Der demokratische Rechtsstaat wirkt intakt, bis jene, die ihn am dringendsten brauchen, feststellen, dass er ihnen keinen Schutz mehr bietet.
Haft und Isolation als Regelfall
Diese Verschiebung zeigt sich besonders im Umgang mit der Freiheit der Person. Freiheitsentzug gilt im europäischen und nationalen Recht als letztes Mittel. Er darf nur unter engen Voraussetzungen, für kurze Dauer und unter gerichtlicher Kontrolle angeordnet werden. Die Reform kehrt dieses Verhältnis um. Freiheitsbeschränkung und Haft werden zum Standardinstrument des Asylverfahrens. Es droht die Normalisierung des Ausnahmezustands.
Ein Kernstück des in den Bundestag eingebrachten Entwurfs (BT-Ds. 21/1848) sind sogenannte Aufnahmeeinrichtungen zur Durchführung von Verfahren zur Sekundärmigration (§ 44 Abs. 1a Asylgesetz [AsylG]-E). Dort sollen Dublin-Betroffene und Personen mit Schutzstatus in einem anderen EU-Staat untergebracht werden. Für Erwachsene gilt eine Wohnverpflichtung von bis zu 24 Monaten, für Familien mit Kindern von zwölf Monaten. Dies soll Rücküberstellungen erleichtern, führt aber faktisch zu Isolation und Stigmatisierung.
Was das bedeutet, zeigt ein Blick nach Eisenhüttenstadt. Dort besteht bereits ein Dublin-Zentrum mit restriktiven Auflagen. Den Bewohnerinnen und Bewohnern ist es verboten, die Einrichtung in den Abend- und Nachtstunden zu verlassen. In einem offenen Brief im Juni 2025 berichteten Bewohner:innen von erheblichem psychischen Druck. Der Gesetzentwurf macht dieses Modell zur Regel. Erprobt wurde es bereits an den europäischen Außengrenzen, vor allem in den Hotspot-Lagern in Griechenland. Haft und andere Freiheitsbeschränkungen sind dort an der Tagesordnung.
Geschlossene Zentren und Haft für Kinder
§ 47a Abs. 2 AsylG-E sowie §§ 68 und 68a AsylG-E erlauben es, das Verlassen einer Aufnahmeeinrichtung vollständig zu untersagen. Auch für Familien und laufende Verfahren kann dies gelten, etwa nachts. Dabei wird Fluchtgefahr vermutet. Schutzsuchende müssen selbst glaubhaft machen, dass sie nicht fliehen werden. Aus einer Aufnahmeeinrichtung wird ein geschlossenes Zentrum. Selbst wenn die Türen offenbleiben, liegt rechtlich Freiheitsentzug vor. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass auch psychisch vermittelter Zwang ein Eingriff in die Bewegungsfreiheit ist (Beschl. v. 19.11.2021, Az. 1 BvR 781/21).
Neu eingeführt wird die Asylverfahrenshaft (§ 69 AsylG-E). Die Schwelle für Freiheitsentzug sinkt weiter. Der Tiefpunkt ist mit § 70a Abs. 3 AsylG-E erreicht: Minderjährige dürfen inhaftiert werden, wenn dies "ihrem Wohl dient". Damit wird das Kindeswohl in sein Gegenteil verkehrt. Haft kann nie dem Wohl eines Kindes dienen.
Die Gesetzesbegründung spricht zwar vom letzten Mittel, doch der Entwurf erweitert die Hafttatbestände erheblich. Nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention und Art. 24 der EU-Grundrechtecharta muss das Kindeswohl vorrangig berücksichtigt werden. Eine Regelung, die Kinderhaft mit Kindeswohl legitimiert, kehrt diesen Grundsatz um. § 70a Absatz 3 AsylG-E steht damit im Widerspruch zu Völkerrecht, Europarecht und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Das bisherige Flughafenverfahren wird zum umfassenden Asylgrenzverfahren (§ 18a AsylG-E) ausgeweitet. Unter der Fiktion der Nichteinreise können Schutzsuchende bis zu zwölf Wochen festgehalten werden, im Fall der Ablehnung weitere zwölf Wochen. Bis zu sechs Monate Freiheitsentzug allein wegen eines Asylantrags bedeutet faktisch Haft unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit. Und die Bundesregierung plant auch noch, schon vor Inkrafttreten der EU-Verordnungen damit zu beginnen. Selbst in anderen EU-Staaten anerkannte Flüchtlinge sollen einbezogen werden, wenn sie über deutsche Flughäfen einreisen. Das widerspricht dem unionsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit und zeigt: Das Ziel ist nicht Rechtssicherheit, sondern Abschottung.
Rechtsschutz nur auf dem Papier
Die umfassenden Freiheitsbeschränkungen werden begleitet von immer neuen Einschränkungen des Rechtsschutzes. § 12c AsylG-E begrenzt den Zugang von Rechtsberatenden zu Transitzonen und Hafteinrichtungen. § 75 AsylG-E sieht vor, dass Klagen in der Regel keine aufschiebende Wirkung haben. Damit können Betroffene abgeschoben werden, bevor ein Gericht prüft, ob die Entscheidung rechtmäßig war. Effektiver Rechtsschutz ist so nicht gewährleistet.
Der 2024 eingeführte Leistungsausschluss für Dublin-Betroffene wird fortgeführt. Ziel ist, die sogenannte freiwillige Ausreise zu erzwingen. In der Realität bedeutet das Obdachlosigkeit und Hunger, ein offener Verstoß gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ein menschenwürdiges Existenzminimum muss nach Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz jederzeit gewährleistet sein. Zwar stoppen Sozialgerichte solche Maßnahmen häufig, doch auch sie geraten zunehmend unter politischen Druck. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Gerichte den Rechtsstaat allein verteidigen.
Mit der GEAS-Reform verschiebt sich das Fundament des Rechtsstaats. Das Recht dient nicht länger dem Schutz vor staatlicher Macht, sondern ihrer Durchsetzung. Schutzsuchende werden zu Objekten exekutiver Steuerung, die Sprache des Rechts wird zur Sprache der Kontrolle. Was als Ordnungspolitik präsentiert wird, ist in Wahrheit ein politisches Projekt, das den demokratischen Rechtsstaat von innen aushöhlen soll. Wenn politische Akzeptanz zur Bedingung für den Schutz der Grundrechte gemacht wird, verliert das Recht seinen Kern.
Die Verteidigung der Menschenwürde ist jedoch keine juristische Haarspalterei, sondern Prüfstein der Demokratie. An der Migrationspolitik zeigt sich, ob die Bundesregierung diesem Anspruch überhaupt noch gerecht werden will.
Autorin Clara Bünger ist Bundestagsabgeordnete. Die Volljuristin ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke.
Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems: . In: Legal Tribune Online, 08.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58333 (abgerufen am: 14.11.2025 )
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