Nach siebenwöchigem Prozess hat die Jury am Mittwoch Johnny Depp über zehn Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen. LTO-Chefredakteur Felix W. Zimmermann hält das für eine falsche Entscheidung.
Die juristischen Fragen des Prozesses Amber Heard vs. Johnny Depp wurden von Anfang an von einer boulevardesken Schlammschlacht überlagert, die sich beide Parteien vor Gericht lieferten. Den Anwaltsteams ging es jeweils darum, die andere Partei als Monster zu beschreiben: Lügen wurden aufgedeckt, intime schmutzige Details und Beziehungsstreits der Weltöffentlichkeit per Video oder Tonaufnahme vorgespielt, um den Gegner zu diskreditieren. Johnny Depp hat diesen Sympathiekampf in den sozialen Medien und wohl auch vor der Jury gewonnen. 10,35 Millionen Schadensersatz für Depp, zwei Millionen für Heard. Ein klares Ergebnis.
Juristisch ging es dagegen nicht um die Frage, in welchen Fällen Heard überall gelogen hat und wer der bessere bzw. schlimmere Mensch ist. Sondern darum, ob Heard in einem Artikel in der Washington Post diffamierende Unwahrheiten über Depp äußerte und hierbei "bösartig" handelte, also mit sog. "actual malice", auf den das US-Rechtssystem abstellt.
Konkret ging es um die Äußerungen von Heard, selbst eine Person zu sein,
- "die sich gegen sexuelle Gewalt ausgesprochen hat"
- "die eine Berühmtheit ist, die häuslichen Missbrauch/Gewalt ('domestic abuse') erlebt hat"
- "die gesehen habe, wie Institutionen Männer schützen, die des Missbrauchs beschuldigt werden."
Dass Depp von den Äußerungen betroffen ist, war eine richtige Annahme der Jury. Denn der Durchschnittsleser bezog diese auf Depp, obwohl er selbst nicht namentlich genannt wurde.
Der Begriff des "Missbrauchs"
Die Annahme der Jury aus fünf Männern und zwei Frauen, dass diese Behauptungen falsch sind, ist jedoch nicht haltbar. Zunächst ist die erste Äußerung schlicht die Wahrheit, da sich Heard gegen sexuelle Gewalt ausgesprochen hat. Die zweite und auch dritte Aussage implizieren allerdings, dass Heard tatsächlich durch Depp häusliche Gewalt bzw. Missbrauch erlebt hat.
Für die gerichtliche Klärung dieser Frage ist wichtig, dass nach dem Recht in Virginia, wo die Verhandlung stattfand, Depp die Beweislast für die Unwahrheit dieser Behauptungen trägt (burden of proof) – anders übrigens als im deutschen Recht, in dem für ehrenrührige Behauptungen eine Beweislastumkehr derart gilt, dass der Äußernde die Wahrheit derselben beweisen muss.
Hat Depp also im Prozess beweisen können, dass Heard durch ihn keinen häuslichen Missbrauch erlebt hat? Dazu ist vorab die Frage zu klären, ob überhaupt allgemeingültig definierbar ist, was unter häuslichem Missbrauch zu verstehen ist. Vertritt man, dass dies möglich ist und sich hierunter kein diffuser Begriff - also eine Meinungsäußerung - versteckt, gibt das Recht aus Virginia Anhaltspunkte für eine solche Definition.
Wie Rechtsprofessor Kirk W. Junker, renommierter Kenner des US-Rechts, gegenüber LTO mitteilt, ist häusliche Gewalt demnach eine Handlung, die mit Gewalt, Zwang oder Drohungen verbunden ist und zu körperlichen Verletzungen führt oder ein Familienmitglied in die begründete Angst vor Tod, sexuellen Übergriffen oder Körperverletzungen versetzt. Es kommt hiernach also nur auf die begründete Angst vor Verletzungen an, nicht darauf, ob die auch tatsächlich eingetreten sind.
Einschüchterungswirkung nicht von der Hand zu weisen
Heard selbst gab an, geschlagen worden zu sein. Die Jury glaubte ihr nicht. Doch auch die unstreitigen Fakten belegen, dass Depp sich zu Hause als Person zeigte, vor der Heard zumindest und berechtigt Angst haben konnte, körperlich misshandelt zu werden. So wurde im Prozess Bild- und Videomaterial vorgespielt, dass zeigt, wie Depp ausrastet, Gläser zerschmeißt, Heard anschreit, im Drogenrausch bewusstlos* darniederliegt. Es wurden Textnachrichten von ihm verlesen, wonach er einem Freund in Bezug auf Heard schrieb: "Lass uns sie ertränken, bevor wir sie verbrennen. Ich werde ihren verbrannten Leichnam f***en, um sicherzugehen, dass sie tot ist."
Vor so einer Person soll Heard keine berechtige Angst vor Misshandlung gehabt haben dürfen? Ist diese psychologische Tortur nicht bereits ein Missbrauch? Noch dazu: Wie will Depp bei dieser Sachlage bewiesen haben, dass kein Grund bestand, vor ihm Angst zu haben?
Die Jury verstand den Begriff "domestic abuse" möglicherweise* enger als das Gesetz, nämlich als tatsächliche Gewalthandlung. Auch insofern ist jedoch angesichts der Ausbrüche von Depp die Annahme der Jury, dass er bewiesen hat, nicht gewalttätig zu sein, kaum nachvollziehbar. Insofern ist der nun erhobene Einwand, dass der Prozess Opfer häuslicher Gewalt einschüchtert, gegen ihre Peiniger:innen vorzugehen, nicht von der Hand zu weisen. Wenn selbst Depp trotz seiner schlimmen frauenverächtlichen Aussagen und Anfälle für die Jury seine Gewaltlosigkeit bewiesen hat, wird dies ein sich brav gebender "Anzugträger" erst recht können.
Nicht ohne Grund scheiterte Depp mit einer Klage gegen die Zeitung "The Sun" vor einem britischen Gericht, die in einem Artikel behauptet hatte, er habe Amber Heard körperlich misshandelt und das obwohl hier "The Sun" in der Beweispflicht war.
Es spricht viel dafür, dass die Jury Heards Lügen und den Umstand, dass sie gegenüber Depp gewalttätig war, so gewichtete, dass Heard Depp keine häuslichen Missbrauch vorwerfen durfte. Allein richtig wäre bei dieser Sachlage allerdings gewesen, beide Parteien der toxischen Beziehung ohne Geldansprüche nach Hause zu schicken.
* Depp hat zwar im Prozess selbst eingeräumt, sich öfter übergegeben zu haben, auf Bildmaterial ist dies jedoch nicht dokumentiert, daher in diesem Kontext missverständlich. Weiter wurde an einer Stelle der Begriff "sexualisierter Gewalt" mit "häuslicher Gewalt" ersetzt und "offenbar" mit "möglicherweise" (4. Juni 2022).
Johnny Depp vs. Amber Heard: . In: Legal Tribune Online, 02.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48643 (abgerufen am: 14.10.2024 )
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