In dieser Woche erhielten wir einen Entwurf für ein Gerechtigkeitssicherungsgesetz. Überhaupt erregen der Fall Sami A. und die Rechtsstaatsdebatte die Gemüter. Aber auch zur Juristenausbildung und zu Schönheitsreparaturen kriegten wir Post.
Hier finden Sie eine kleine Auswahl von Leserbriefen, die uns in der vergangenen Woche erreicht haben. Die Auswahl ist nicht repräsentativ für das Leserecho. Wir nehmen ausdrücklich auch kritische Reaktion auf, konnten aber auch in dieser Woche das Allermeiste nicht berücksichtigen, weil viele Zuschriften nicht rechtlicher Natur sind und/oder nichts zur fachlichen Debatte beitragen. Einige Post konnten wir auch nicht veröffentlichen, weil Sie uns nicht mit Klarnamen geschrieben haben - schade, vielleicht überlegen Sie noch einmal, ob Ihre wertvollen Beiträge es nicht verdienen, auch veröffentlicht zu werden. Unsere Leserbrief-Richtlinien finden Sie hier.
Wir haben auch schon Leserpost bekommen zu unserem ersten Artikel nach der Leserumfrage "Würden Sie noch einmal Jura studieren?". Natürlich freuen wir uns weiterhin auf Ihre Post, ob nun als kommentierender Leserbrief oder als eigener Debattenbeitrag.
Rechtsstaat-Debatte um Sami A.: NRW-Innenminister bedauert Äußerung
In der Debatte um die rechtswidrige Abschiebung von Sami A. steht auch NRW-Innenminister Herbert Reul mächtig unter Beschuss. Am Freitag ruderte er zurück und entschuldigte sich für seine Gerichtsschelte – es sei alles ein Missverständnis.
Von: Sylvia Kaufhold, Rechtsanwältin
Herr Reul hat sich für nichts zu entschuldigen. Er hat nur, wenn auch in etwas ungeschickter Form, eine rechtlich in der Tat zweifelhafte Gerichtsentscheidung kritisiert. Solche – sachliche – "Gerichtsschelte" ist etwas völlig normales, die juristischen Fachzeitschriften sind voll davon. Auch die Entwicklung des Rechts lebt davon. Ein "befremdliches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit" (Barley) oder ein "gestörtes Verhältnis zur Justiz und zum Rechtsstaat" (Kutschaty) und der Meinungsäußerungsfreiheit haben vielmehr diejenigen, die jede Kritik an Gerichtsentscheidungen von vornherein unterbinden wollen – wenn es in ihre Ideologie passt. Die liberale Mitte der Gesellschaft muss sich hiergegen genauso zur Wehr setzen wie gegen eine Vereinnahmung durch die Populisten.
Problematisch wird es erst, wenn dazu aufgerufen wird, bindende Urteile nicht zu befolgen. Das hat aber keiner der Offiziellen getan, im Gegenteil. Auch ist anerkannt, dass selbst formal bindende Urteile ausnahmsweise nichtig sein können, "wenn sie an einem derart schweren Mangel leiden, dass es bei Berücksichtigung der Belange der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus schlechthin unerträglich wäre, sie als verbindlichen Richterspruch anzunehmen und gelten zu lassen" (BVerfG, NJW 1985, 125; BGH, NJW 1985, 926). Diese Schwelle ist beim Beschluss des OVG Münster ersichtlich nicht überschritten. Jedoch muss die Belastbarkeit seiner Argumentation jetzt in einer fachjuristischen Debatte überprüft werden, denn die Entscheidung ist gerade für Gefährderfälle von grundsätzlicher Bedeutung und wirft nicht nur im Verfahren (Rückholung als Folgenbeseitigung im Eilrechtsschutz gegen die Wertungen von § 58a AufentG und § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO) viele Fragen auf.
Auch im Ergebnis ist die Frage berechtigt, ob es nicht sachgerechter gewesen wäre, jetzt erst einmal im Hauptsacheverfahren zu klären, ob die aufgrund der Sachlage von vor 8 Jahren (!) unverändert angenommene Foltergefahr heute tatsächlich noch besteht; die offensichtlichen Fakten sprechen dagegen, denn Sami A. befindet sich (wohl noch in Tunesien) auf freiem Fuß. Eine von Staaten wie Tunesien zu Recht als Zumutung empfundene diplomatische Zusicherung in jedem Einzelfall ist zur Ausräumung der Foltergefahr nach der Rechtsprechung des EMGR jedenfalls nicht erforderlich. Und: Wenn Sami A. tatsächlich zurückgeholt wird, kommt er dann wenigstens in Abschiebehaft oder bekommt er nur Gelegenheit, endgültig unterzutauchen und seine Anschlagspläne zu verwirklichen? Auch diese Überlegungen hätte das OVG in die Abwägung nach § 123 VwGO einfließen lassen müssen – auch wenn sie vermutlich dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen.
Im Übrigen zeigt auch dieser Fall vor allem eins: Unser Recht und die Abläufe sind so kompliziert und verworren, dass es ein Leichtes ist, sich darin zu verstricken. Dann passieren Fehler. Auch Gerichten. Wenn das Recht schlecht ist, kann jeder nur noch alles falsch machen. Deshalb brauchen wir auch in diesem Bereich dingend ausgewogene Reformen. Sonst kommen die Populisten und machen einfach alles einfach.
Von: Günther Bauer
In der letzten Zeit sind erhebliche Zweifel an der Richtigkeit von Gerichtsentscheidungen zu Tage getreten. Insbesondere wurde moniert, dass gewisse Entscheidungen dem Gerechtigkeitsgefühl der Bürger zuwiderlaufen, man dem Bürger gegenüber gewisse Entscheidungen gar nicht recht begründen kann.
Dem muss abgeholfen werden!
Der folgende Vorschlag beinhaltet eine Ergänzung des Grundgesetzes und dann in Folge je eine Ergänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
Nach Art. 74 des Grundgesetzes (GG) wird eingefügt:
Art. 75
Bund und Länder haben bei der Gesetzgebung das Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden der billig und gerecht denkenden Bürger zu berücksichtigen.
Das ist einerseits eine Selbstverständlichkeit, es schadet jedoch nicht, diesen Gedanken in die Verfassung zur Klarstellung aufzunehmen.
Ist das GG diesem Vorschlag entsprechend ergänzt worden, dann steht dem folgenden abrundenden Vorschlag nichts mehr im Wege:
Gesetz zur Sicherung der Gerechtigkeit bei Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen – Gerechtigkeitssicherungsgesetz – (GerSichG)
1. Ergänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG)
Nach § 1 wird eingefügt:
§ 2
Die Gerichte haben bei ihren Entscheidungen das allgemeine Gerechtigkeitsgefühl der billig und gerecht denkenden Bürger zu berücksichtigen.
[So neu ist dieser Gedanke ja nicht.
§ 2 des Strafgesetzbuchs von 1935 bestimmte:
"Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft".
Dieser Grundgedanke kann – und muss! – selbstverständlich auch auf das Zivil- und Verwaltungsrecht übertragen werden, ferner auf Behörden-Entscheidungen (Verwaltungsakte).
Deswegen bestimmt das GerSichG ferner:]
2. Ergänzung des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG)
§ 40 (Ermessen) wird mit folgendem 2. Satz ergänzt:
Das Ermessen ist dahingehend auszuüben, dass es dem Gerechtigkeitsgefühl der billig und gerecht denkenden Bürger entspricht.
Damit hätten wir eine "runde Sache". Die Gerichte aller Gerichtszweige sowie die Verwaltungsbehörden haben sich nach dem Gerechtigkeitsempfinden der billig und gerecht denkenden Bürger zu richten.
Auch in der DDR war eine den Gesetzen übergeordnete Idee gang und gäbe, nämlich die Verwirklichung und Verbesserung des Sozialismus.
Der Inhalt des GerSichG knüpft also durchaus an deutsch-rechtliche Traditionen an: § 2 StGB 1935 und die Rechtswirklichkeit der Deutschen Demokratischen Republik.
Es kann doch nicht alles falsch in der Vergangenheit gewesen sein!
Anm. der Red.: Achtung, Satire ;-)
Meine Juristenausbildung: Spaß machte es erst im Referendariat
Rechtswissenschaft ohne Wissenschaft, viel Auswendiglernen und sehr formalistisch: Für Maja Mascher kam die Freude an Jura erst mit dem Referendariat. Dabei habe das Jurastudium Potenzial, meint sie – es werde nur nicht ansatzweise genutzt.
Von: Christoph Albrecht
Als bekennender und begeisterter Jurist fühle ich mich verpflichtet, hier nun zum ersten Mal einen Leserbrief zu verfassen, da mich dieser Artikel doch etwas empörte und ich ihm vor allem bezüglich der Ausführungen zum ersten Examen überhaupt nicht zustimmen kann.
Zunächst ist zu sagen, dass ich mich, was den Grund meines Jura-Studiums angeht, in die letzte von der Autorin genannten Gruppe einordnen. Weder bin oder war ich auf Karriere aus noch ging es mir um Ansehen. Ich habe Rechtswissenschaften schlichtweg deswegen studiert, weil es mir nach einem Eignungstest empfohlen wurde und ich schon immer ein sehr hohes Gerechtigkeitsempfinden besaß.
Die Autorin meint:
"Vor allem die zuletzt genannte Gruppe wird an der Juristerei wahrscheinlich weniger Freude haben"
Ganz im Gegenteil! Vielmehr habe ich die Erfahrung gemacht, dass vor allem diese Gruppe sehr viel Freude an dem Jurastudium hat. Wer Spaß und Interesse an der Materie hat, dem fällt das Verstehen leicht, dem erschließen sich die komplexen Fallgestaltungen schnell und der muss nicht den Inhalt eines Lehrbuchs auswendig lernen. Meiner Erfahrung nach sind es die "Auswendiglerner", die sich stets über mangelnde Freizeit und immensen Druck beschwerten.
Die Autorin führt weiter aus:
"Denn nur mit Denken und Verstehen ist es wohl nicht möglich, ein juristisches Staatsexamen zu bestehen"
Ich widerspreche hier vehement und behaupte vielmehr: Mit Denken und Verstehen ist das juristische Staatsexamen zum Großteil schon in der Tasche!
Mein Staatsexamen habe ich in Baden-Württemberg sehr erfolgreich abgelegt. Zu keiner Zeit während des Studiums oder während der Vorbereitung auf das Examen hatte ich das Gefühl, nur auswendig lernen zu müssen. Im Gegenteil. All das, was ich verstanden hatte, musste ich mir höchstens noch 1-2 Mal kurz wieder vor Augen führen; Auswendig lernen musste ich - bis auf wenige Ausnahmen - nichts.
Und auch wenn das nun sehr nach Eigenlob riecht, möchte ich damit nur ein Beispiel dafür nennen, dass das Jurastudium Spaß machen und trotzdem erfolgreich sein kann. Das Problem ist nämlich nicht das Studium, sondern die Herangehensweise vieler Leute an ebendieses.
Die Autorin meint dazu:
"Ein Rechtsstudent muss vor allem auswendig lernen, Streitigkeiten mit einem Argument belegen können und unter Bezugnahme auf die herrschende Meinung in der Klausur weiterschreiten können"
Auch aufgrund meiner eigenen Erfahrung durch Korrekturen von Klausuren muss ich an diesem Punkt ebenfalls entschieden widersprechen. Die meisten Professoren fordern gerade nicht, dass gängige Meinungen auswendig gelernt und runtergebetet werden. Vielmehr gibt es die meisten Punkte dafür, dass ein Problem erkannt und eine vertretbare - gerne auch eigens entwickelte - Lösung gefunden wird. Die in Lehrbüchern wiedergegebenen Meinungen muss niemand auswendig lernen, denn wer das Problem (dank des Lesens dieser Meinungen) verstanden hat, der wird auf eine der Lösungen jederzeit eigenständig kommen. Wer aber nur die herrschende Meinung zitiert, der kriegt im Zweifel überhaupt keine Punkte, weil er schlichtweg nicht das gezeigt hat, was ein Jurist können muss: nicht Auswendiglernen, sondern eigenständig Argumentieren!
Was mich daher so empörte, ist der falsche Eindruck, der angehenden Studenten durch den Artikel der Autorin vermittelt wird. Gerade denjenigen, die nicht wegen der Aussicht auf eine tolle Karriere oder weil sie sich als Anwalt richtig wichtig fühlen können, sondern wegen der Juristerei selbst Interesse an dem Fach haben, sei gesagt:
Es lohnt sich, es macht Spaß und man kann eine gute Note ohne stupides Auswendiglernen und tägliche zehnstündige "Bib-Sessions" mit passablem Aufwand erzielen.
BGH zu Schönheitsreparaturen: Wieder siegen die Mieter
Mieter müssen eine unrenoviert übernommene Wohnung auch dann nicht beim Auszug streichen, wenn sie das dem Vormieter gegenüber einmal zugesagt haben. Ein berechtigter Sieg der Mieter vor dem BGH, meint Dominik Schüller.
Von Günther Bauer
Warum so kompliziert?
Fangen wir am Anfang an und untersuchen wir den Vertrag zwischen dem Vermieter (Kläger) und dem Vormieter.
Ergibt sich hieraus, dass der Vormieter zur Renovierung verpflichtet war, dann hat der (Nach-) Mieter (Beklagter) diese Verpflichtung im Wege der Schuldübernahme übernommen.
Der Klage ist stattzugeben.
Ergibt sich hieraus aber, dass die Klausel im Vertrag zwischen Vermieter und Vormieter unwirksam war, dann hätte der (Nach-) Mieter eine Schuld übernommen, die gar nicht besteht, die „Übernahme“ ging ins Leere.
Die Schuldübernahme steht und fällt mit der Frage, ob überhaupt eine „Schuld“ bestand.
Die Umdeutung der Schuldübernahme im Verhältnis Vormieter-Nachmieter in eine Art Garantieversprechen des Mieters gegenüber dem Vermieter ginge fehl; denn ein derartiges Versprechen wurde nur abgegeben, weil der Mieter damals der irrigen Auffassung war, dass eine Verpflichtung bestünde; da sind wir dann notfalls bei 119.
Die Klage ist abzuweisen.
Es bleibt bestenfalls etwas übrig, was aber nicht Gegenstand des Rechtsstreits war:
Hat der Vormieter dem Nachmieter als Gegenleistung für die gewollte und letztendlich unwirksame Schuldübernahme etwas überlassen? ("Sie bekommen die Küche von mir, die bleibt drin, aber dafür übernehmen Sie die Renovierung")
Dann hat der (Nach-) Mieter etwas (Küche) bekommen ohne wirkliche Gegenleistung. Da denkt man an 812 bzw. daran, dass der Vormieter die Überlassungserklärung anfechten kann (119), sodass der Nachmieter verpflichtet wäre, den Wert des überlassenen Gegenstands zu ersetzen.
Eigentlich ziemlich einfach.
Leserbriefe an LTO: Ihre Kommentare in der KW 34 . In: Legal Tribune Online, 25.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30551/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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