Leserbriefe an LTO: Ihre Kom­men­tare in KW 30

30.07.2018

Zum Artikel EuGH zu Genscheren in der Pflanzenzüchtung: Wenn Gerichte über Gentechnik entscheiden

Von: Markus Wolter, Berlin

Mit Interesse habe ich den Artikel von Herrn Beck zum Urteil des EuGH gelesen. Leider sind doch einige Fragen offengeblieben:

1. Jeder der sich in der Gentechnik [https://de.wikipedia.org/wiki/Gentechnik] ein bisschen auskennt, hat von der Asilomar-Konferenz 1975 gehört. Dort hat man eine Art Gentechnik-Selbstbeschränkung beschlossen, bis die möglichen Risiken besser eingeschätzt werden können. Das ist nun über 40 Jahre (!) her. Bisher konnten keine überraschenden, negativen Auswirkungen der Gentechnik selbst gefunden werden. In vielen Ländern dürfen gentechnische Experimente auch an Schulen und von Laien zu Hause durchgeführt werden. Daher verwundert es mich als Naturwissenschaftler, dass man nach 40 Jahren, ohne dass man irgendwelche Beweise gefunden hätte, sich auf das Vorsorgeprinzip berufen kann. Wie lange möchte man denn noch warten? Insbesondere ist das verwunderlich, da die EU in den letzten Jahrzehnten Hunderte an Forschungsprojekten zu Gentechnikrisiken mit vielen Millionen EUR finanziert hat, von denen kein einziges bedenkliche Ergebnisse erbracht hat. Ist das Vorsorgeprinzip so beliebig anwendbar oder erweiterbar? Warum ignoriert das EuGH diese europäischen Projektergebnisse? Nach meiner Interpretation verstößt diese undefinierte Anwendung des Vorsorgeprinzips in vielfacher Weise den Mitteilung der Kommission vom 2. Februar 2000 zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips.

2. Zudem möchte ich einen gewissen Bias des Autors in den Raum stellen. Es ist zwar sehr löblich, dass LTO die Finanzierung durch die Bundesstiftung Umwelt transparent deklariert hat; das löst den Interessenkonflikt aber nicht. Die politische Ausrichtung der DBU möchte ich hier nicht vertiefen. Das kann jeder im Internet nachlesen www.dbu.de. Vielleicht können Sie zur Balance noch einen zweiten Kommentar veröffentlichen, der z.B. von einem Autor verfasst wurde, der auch einen naturwissenschaftlichen Hintergrund hat. Der würde sicherlich zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Die Formulierung "Pflanzenforscher fühlen sich dagegen missverstanden ..." ist schon ziemlich abwertend und einseitig. Es geht hier wirklich nicht um persönliche Befindlichkeiten der Biotechnologen und Pflanzenforscher. Es geht um Fakten oder "alternativen Fakten", bei denen sie keinen Naturwissenschaftler von Rang finden werden, der sich diese zu eigen machen würde.

3. Gut, Juristen sind keine Naturwissenschafter. Es erscheint mir dennoch fehlerhaft, wenn das EuGH und Herr Beck sich auf eine formaljuristische und scheinbar "faktenfreie" Lesart zurückziehen. Den schwarzen Peter dem Gesetzgeber zuzuschieben ist zwar nicht ganz unbegründet. Aber jedes Gericht muss davon ausgehen, dass ein Gesetzestext der Lebensrealität immer (!) mehr oder weniger hinterherhinkt. In der Wissenschaft und modernen Technik mit ihren immer schnelleren Innovationszyklen ist das besonders kritisch. Besonders bei den höchsten Gerichten sind kompetente Juristen gefragt, die auch den Sinn der Materie verstehen, über die sie urteilen, da sie ja auch zur Weiterentwicklung des Rechts beitragen sollen: Wir sind nicht mehr im Jahr 1975.

Zitiervorschlag

Leserbriefe an LTO: Ihre Kommentare in KW 30 . In: Legal Tribune Online, 30.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30017/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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