Leserbriefe an LTO: Ihre Kom­men­tare in KW 30

30.07.2018

Zum Thema Rechtsstaat in Polen

Von: Prof. Dr. Christian Rumpf, Rechtsanwalt

Das Problem ist, dass mit dem Aufkommen des „Populismus“, welches letztlich eine Verniedlichung des Begriffs „Faschismus“ oder eine Vorstufe zu dieser Ideologie darstellt, die Mentalität des „ich kann alles besser“ die Oberhand gegenüber dem permanenten Gespräch gewinnt, aus dem heraus politische Entscheidungen getroffen werden. Es ist eigentlich eine Mentalität aus dem vorschulischen Sandkasten, in dem sich regelmäßig ein „Ich-bin-der-Bestimmer“ hervorzutun sucht. Mal bekommt er eines auf die Nase, mal hat er Erfolg, der praktisch immer in Terror endet. Diese Mentalität usurpiert alle für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat wesentlichen Begriffe wie „Demokratie“, „Gerechtigkeit“, „Sozialstaat“. Das labile Verhältnis zwischen öffentlichem Interesse und Bürgerinteresse wird durch diese „Besserwisser“ erst dominiert, dann zerstört.

Speziell in der Justiz ist erschreckend, dass diese Mentalität, die man in extremer Form auch bei Präsident Erdogan findet, ausreichend viele Anhänger in der Justiz findet. Ganz im Sinne von Brechts Fleischtöpfen des Galileo Galilei wissen die „Besserwisser“ mit den existenziellen Bedürfnissen von Richtern umzugehen und generieren damit eine ausreichende Menge an Mitläufern, die letztlich – wie jetzt in der Türkei bei der Ernennung von 100 (!!) neuen Kassationsrichtern – auch oben ankommen.

Den Polen scheint die Lehre aus dem 2. Weltkrieg nicht auszureichen. Die Türken haben erst gar nicht unter dem 2. Weltkrieg gelitten, sie versuchen gerade das osmanische Desaster zu vergessen und mit Gewalt in ein neuartiges Geschichtsbild umzumodeln, um damit ihre eigene neuere Geschichte – eine Erfolgsgeschichte! – leugnen zu können: alles im Interesse eines Besserwissers, der die Definitionshoheit über alles zu erlangen sucht, was Staat und Gesellschaft ausmachen.

Auch wir in Deutschland befinden uns natürlich in permanente Gefahr, einer solchen Entwicklung anheim zu fallen. Man muss kein „linker“ Richter zu sein, um den Willen zu haben, sich gegen solche Tendenzen zu stemmen. Es ist eine existenzielle Notwendigkeit.

Zitiervorschlag

Leserbriefe an LTO: Ihre Kommentare in KW 30 . In: Legal Tribune Online, 30.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30017/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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