Financialright machte im Zuge des Abgasskandals vor dem LG Braunschweig gegen VW Schadensersatzansprüche geltend – allerdings ohne Erfolg. Dennoch enthält das Urteil gerade für die Klägerin erfreuliche Elemente, erläutert Volker Römermann.
Der Rechtsdienstleister Financialright, der die Plattform myright.de betreibt, ist ein Inkassounternehmen und folgt einem heute durchaus verbreiteten Geschäftsmodell: Sich Ansprüche abtreten zu lassen, Übernahme aller Prozesskosten und –risiken, Vergütung über Erfolgsbeteiligung.
Wenn es Financialright sinnvoll erscheint, darf auch ein Vergleich geschlossen werden. Im vorliegenden Fall kam eine Besonderheit hinzu: Die ursprünglichen Anspruchsteller leben in der Schweiz und dortiges Recht entscheidet über die in Deutschland anhängig gemachte Klage. Nachdem das Gericht in nahezu allen Punkten der Argumentation Financialrights folgte, stützte es sich am Ende auf genau diese Besonderheiten, um die Klage abzuweisen.
Keine Sittenwidrigkeit wegen Armut der Klägerin
Das Gericht entkräftete zunächst den Einwand von VW, dass die Abtretung wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig sei, weil mit Financialright als Zessionarin eine vermögenslose Partei vorgeschoben werde. Die Klägerin hatte nämlich gleich zwei Zusagen Dritter vorgelegt, für die Kosten aufzukommen.
Die Einziehung bestrittener Forderungen durch Financialright ist nach Ansicht des Landgerichts unproblematisch. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe schon am 14. August 2004 (1 BvR 725/03) festgestellt, dass die Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen auch bei Zahlungsverweigerung des Schuldners bestehe. Wäre es anders, so merkten die Braunschweiger Richter an, dann würde die Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen vom Verhalten des Schuldners abhängen – ein wenig sinnvolles Ergebnis.
Wider LG München I – myRight/Lkw-Kartell
Dem tritt das LG Braunschweig nun entschieden entgegen. Ob die zugrunde gelegte Annahme überhaupt zutreffe, könne dahinstehen. Jedenfalls würde die sich nach dem LG München I ergebende Verpflichtung zur planmäßigen vorgerichtlichen Durchsetzung im Fall eines erkennbar zahlungsunwilligen Schuldners darauf hinauslaufen, dass der Inkassodienstleister "aus reiner Förmelei" wirtschaftlich sinnlose Maßnahmen ergreifen müsste, was mit den Vorgaben des BVerfG schwerlich in Einklang zu bringen sei.
Keine Beschränkung auf "Jura light"
Weiter ließ sich das LG Braunschweig auch nicht von dem Argument der Beklagten überzeugen, die Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen werde generell überschritten, wenn schwierige Rechtsfragen zu klären seien. Dem Gesetz sei – zumal bei der gebotenen, eher großzügigen Betrachtung – eine derartige Eingrenzung nicht zu entnehmen (das LG beruft sich in diesem Zusammenhang auf das LexFox-Urteil des BGH vom November 2019).
Andernfalls würde, so das LG Braunschweig, die Situation drohen, dass ein Schuldner – diesmal durch Aufwerfen von rechtlichen Problemen – die Befugnisse eines Inkassodienstleisters "steuern" und sich selbst damit vor berechtigter Inanspruchnahme "schützen" könnte.
Wertungswidersprüche?
Laut LG Braunschweig führt auch der Umstand, dass die Klägerin zur eigenständigen Steuerung des Prozesses der Rechtsdurchsetzung, insbesondere zur Entscheidung über den Abschluss eines Vergleiches befugt sei, nicht zu einem Wertungswiderspruch. Auch in diesem Punkt bezieht sich das LG auf den BGH.
Zu einem Wertungswiderspruch führe genauso wenig das vereinbarte Erfolgshonorar. Vergleiche mit Rechtsanwälten, die nach wie vor praktisch kein Erfolgshonorar vereinbaren und keine Prozesskosten übernehmen dürfen, gleichzeitig aber erheblich weitergehenden Berufspflichten unterliegen, führten nach Ansicht des Landgerichts nicht weiter. Registrierte Personen übten eben keinen mit einem Rechtsanwalt vergleichbaren Beruf aus.
An dieser Stelle operiert das LG Braunschweig in Übereinstimmung mit dem LexFox-Urteil des BGH etwas hilflos, indem es den insoweit nichtssagenden Topos des Organs der Rechtspflege bemüht. Tatsächlich ist der Wertungswiderspruch unübersehbar und kann sinnvoll nur so gelöst werden, endlich die Zulässigkeit anwaltlicher Erfolgshonorare anzuerkennen.
Massenprozess ohne Musterfeststellungsklage
Volkswagen hatte argumentiert, die von Financialright betriebene Form des "Masseninkassos" bzw. der "Massenbündelung" sei vom Gesetzgeber nicht gebilligt worden, insbesondere auch wegen der Verbindung mit einem Erfolgshonorar. Dazu stellte das LG nüchtern fest: Das Geschäftsmodell der Klägerin zeichne sich durch die zulässige Übernahme von Prozesskosten und die ebenso zulässige Vereinbarung einer Erfolgsprovision aus. Die Bündelung von Ansprüchen schließlich sei in § 260 Zivilprozessordnung gesetzlich ausdrücklich vorgesehen. Um dem einzelnen Zedenten gerecht zu werden, könne auch eine abgetrennte Verhandlung angeordnet werden.
Das LG Braunschweig erwähnt lediglich in einem Klammerzusatz das Argument des LG München I, wonach die Effizienz der gerichtlichen Durchsetzung der jeweiligen Einzelansprüche durch eine solche Häufung beeinträchtigt sei, würdigt es aber keiner weiteren Kommentierung. Zu Recht, denn wenn die Gerichte Schwierigkeiten haben, einen umfangreichen Prozess zu bewältigen, führt das nicht dazu, dass umfangreiche Prozesse rechtswidrig würden – sondern in einem Rechtsstaat doch nur dazu, dass die Gerichte ihre Kapazitäten und Abläufe neu zu strukturieren hätten.
Keine Interessenkollision
Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, dürfen nach § 4 Rechtsdienstleistungsgesetz nicht erbracht werden, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird. Auch auf diese Norm hatte sich der Autokonzern gestützt und die streitgegenständliche Abtretung für nichtig gehalten, weil sich aus der Prozessfinanzierungspflicht neben der Pflicht zur Rechtsdienstleistung eine Interessenkollision ergebe. Der Zedent und die Klägerin wollten zwar grundsätzlich dasselbe – möglichst viel Geld. Der Zedent aber wolle dies – da ihm die Kosten egal seien – anders als die Klägerin "um jeden Preis".
Das LG Braunschweig hielt dagegen. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars bewirke schließlich ein beträchtliches eigenes Interesse der Klägerin an einer möglichst erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche. Schon der damit – jedenfalls weitgehend – vorhandene prinzipielle Gleichlauf der Interessen der Klägerin und der Zedenten stehe der Annahme einer Interessenkollision entgegen. Dieser prinzipielle Gleichlauf der Interessen bestehe im Übrigen auch im Verhältnis der Zedenten zu dem hinter myRight stehenden Prozessfinanzierer: Beide möchten möglichst viel Geld.
Knackpunkt: Befugnis für ausländisches Recht
Indes: Nachdem das LG Braunschweig all diese Argumente abgewogen und eigentlich jeweils zugunsten der Klägerin bewertet hatte, kommt es am Schluss doch noch zur Abweisung der Klage. Durch ihre Rechtsdienstleistungen im Schweizer Recht überschreite Financialright ihre Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen. Zum Verständnis dieser Argumentation muss man sich die Struktur des § 10 Abs. 1 Satz 1 RDG vor Augen führen. Diese Norm kennt drei Varianten von Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde: (1.) Inkassodienstleistungen, (2.) Rentenberatung und (3.) Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht.
Das Gericht postuliert hier ein von ihm sogenanntes "Grundprinzip" des RDG: "Befugnis besteht nur, soweit Kenntnisse verlangt, überprüft und für genügend befunden wurden." Inkassodienstleister würden aber nicht im ausländischen Recht geprüft, da für sie die Ziffer 1 und nicht die Ziffer 3 gelte.
Rechtsposition von myRight gestärkt
Der vorliegende Verstoß sei schwerwiegend und führe gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der Abtretung. Für den Zedenten sei die Nichtigkeitsfolge auch deshalb nicht unzumutbar, weil für ihn im Falle eines damit verbundenen Rechtsverlustes die Möglichkeit bestehe, bei der Klägerin, die über eine Berufshaftpflichtversicherung verfügen müsse, Regress zu nehmen. Dieses Ergebnis führe nicht dazu, dass einem im Inland registrierten Inkassodienstleister das Inkasso von ausländischen Forderungen grundsätzlich untersagt sei. Er müsse nur über beide Befugnisse verfügen.
Damit sind die Weichen gestellt: Holt sich myRight nach Prüfung der Kompetenzen die Befugnisse für Inkasso und ausländisches Recht, wird sie beim nächsten Mal auch bei Berührung Schweizer Rechts in Braunschweig den Sieg davontragen – jedenfalls in erster Instanz. Und für Fälle, die nach deutschem Recht zu entscheiden sind, hat das LG Braunschweig jetzt klar Position zugunsten von myRight bezogen, und zwar unter allen relevanten berufsrechtlichen Aspekten. "Noch so ein Sieg, und wir sind verloren", hätte Pyrrhus vermutlich auf Seiten Volkswagens angemerkt.
Der Autor Prof. Dr. Volker Römermann ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG, Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin und President der German Speakers Association (GSA). Er war in einem anderen Verfahren im Auftrage von myRight als Gutachter für die auch hier relevanten berufsrechtlichen Fragen tätig.
LG Braunschweig zur Abtretung an Financialright: . In: Legal Tribune Online, 07.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41547 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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