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Legal Tech: Vor­sicht vor dem Hype

von Konstantin Filbinger

11.12.2017

Zwei süße Roboter

(c) besjunior - stock.adobe.com

Legal Tech sei die Zukunft, heißt es allerorts, der Mensch sei Geschichte. Doch führen Computer bald zum Massensterben in der Anwaltszunft? Konstantin Filbinger glaubt das nicht und erklärt, was Vogel Sträuße mit Legal Tech zu tun haben.

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Legal Tech – das neue Glaubensbekenntnis

Kaum eine Woche vergeht, ohne dass in der Fachpresse mantrahaft das neue Glaubensbekenntnis erklingt: Computer verdrängen die Anwälte. Schon bald überlebt in der Rechtsbranche nur, wer nicht nur den Palandt zitieren, sondern auch in Java programmieren kann. Survival of the Nerdiest sozusagen. Auf den ohne schuldhaftes Zögern schockierten Leser wird sodann mit einer Tirade aus Buzzwords eingedroschen: Blockchain, Artificial Intelligence, Smart Law, Coding und Digitalisierung schimpft sich eine Auswahl dieser verbalen Wurfgeschosse.

Doch bei genauem Hinsehen zeigt sich: Nichts Genaues weiß man nicht.  

Dieser Beitrag soll einen Kontrast zum teilweise substanzlosen Treiben sein und anhand der Definition von Legal Tech aufzeigen, was neue Entwicklungen in diesem Bereich wirklich bewirken können und wen diese Veränderungen tatsächlich betreffen. Vorab sei verraten: Es ist alles nicht so schlimm.

Legal Tech wird viel zu weit verstanden

Zunächst fehlt es an einem einheitlichen Verständnis davon, was Legal Tech eigentlich ist. Man würde ja gerne wissen, was genau den Juristen von heute schon morgen ersetzt. Indes bleiben die meisten Beiträge eine Antwort auf diese Frage schuldig.

So genügt manchen der argumentative Rückzug auf die Bedeutung von Technik im Allgemeinen und nicht selten lautet der Tenor: Wir wissen nicht, was kommt. Aber Outlook, Excel und digitale Aktenführung sind schon ein bisschen wichtig. Besonders bahnbrechend ist diese Erkenntnis kaum. Außerdem können Outlook und Co. kaum als Legal Tech bezeichnet werden. Oder würde man behaupten, die Outlook-Nutzung durch Ingenieure mache dieses Programm zu Engineering Tech? Und wird der Scanner zu Legal Tech, sobald sein Sucher über einen Schriftsatz surrt? Natürlich nicht.

Richtigerweise handelt es sich bei Legal Tech nur um technische Anwendungen, die sich bestimmungsgemäß nur für juristentypische Tätigkeitsfelder eignen. Denken wir an unsere wertvollen digitalen Werkzeuge wie Beck-Online und Juris oder an Wissensdatenbanken in größeren Sozietäten, so wird schnell klar: Das gibt es alles schon. Neu an Legal Tech ist also vor allem der Begriff.

Sicherlich gibt es in diesem Bereich jüngere Entwicklungen, deren Dimensionen neu sind und einen Teil des Rechtsmarkts nachhaltig verändern können. Dazu zählen vor allem Anwendungen künstlicher Intelligenz, Smart Contracts und die Blockchain-Technologie. Doch auch hier gibt es etwas zu bedenken.

Wen betrifft Legal Tech angeblich?

Wer gehört nun bald zum leidtragenden Kreis der  Ausgelöschten? In manchen Beiträgen liest man davon, nicht weniger als ein Großteil der Anwaltschaft werde im Laufe der nächsten Jahre verschwinden. Das ist eine kühne Aus- und Ansage, denn die Bundesrechtsanwaltskammer zählt für das Jahr 2017 immerhin stolze 154.000 Mitglieder (abgerundet). Die allermeisten davon dürften als Einzelkämpfer oder in kleineren Sozietäten tätig sein. Die Brötchen verdient man hier zumeist auf Basis des RVG. Heißt: Mal ein Erbstreit, mal eine Scheidung. Hin und wieder Kaufrecht, viele Wohnungsmietsachen oder Verkehrsunfälle.

Dazu kommt der Mandant persönlich vorbei oder ruft an. Dann ein kurzer Conflict-Check und Fragen: Was ist gewollt, was ist passiert? Eine Akte wird angelegt, ein bisschen notiert, ein wenig überlegt und ein bisschen mehr besprochen. Nicht selten ist die Rechtslage klar, es geht nur um Beweis(mitt)e(l) und Beweislast, zwei Blicke in den Palandt und Zöller genügen.

Spezifisch anwaltliche Tätigkeit läuft also in drei Stufen ab: zuhören, bewerten, beraten.

Zunächst hört man zu. Wie stellt sich der Sachverhalt aus Sicht des Mandanten dar und was will er eigentlich? Dann folgt, ausgehend von diesem Begehren, die rechtliche Subsumtion unter diesen Sachverhalt. Was sagt das Recht? Abschließend werden tatsächliche und rechtliche Risiken transparent gemacht, abgewogen und bewertet: Es folgt eine risikosensible Handlungsempfehlung.

Und nun zurück zur Ausgangsfrage: Wird sich der Anwaltsmarkt künftig auf einen kleinen Kreis von Jura-Nerds beschränken? Die Antwort hängt davon ab, ob und inwieweit Legal Tech diese juristischen Arbeitsabläufe beschleunigen und einnehmen kann.

Legal Tech, ein Vogel Strauß und spätrömische Dekadenz

2/2: Was kann Legal Tech?

Bei der Sachverhaltsdarstellung im Transaktionsgeschäft können intelligente Programme die Arbeit von Immobilienrechtlern teilweise entbehrlich machen. Ein Gerät scannt Grundbuchauszüge nebst Mietverträgen und stellt möglicherweise deal-relevante Informationen binnen Minuten übersichtlich dar. Der Mandant spart Geld, die Kanzlei Associates.

Auf Seiten wie flightright.de oder geblitzt.de übernimmt der Computer die rechtliche Würdigung. Das Programm verschafft sich alle für den Sachverhalt relevanten Informationen, wie die Zuverlässigkeit des jeweiligen Blitzgeräts oder die Verspätung des Fluges. An dieser Stelle zeigt sich interessanterweise eine Parallele zwischen den Rechtsfragen, welche die genannten Seiten automatisiert beackern: Die rechtliche Struktur ist simpel, der Sachverhalt ist gerichtsfest.

Die sogenannte Blockchain kann etwa dazu eingesetzt werden, digital kommunizierende ("smarte") Verträge zu vollziehen. Was komplex klingt, ist eigentlich ganz einfach. Ein über die Blockchain abgewickelter Autokauf schaltet zum Beispiel den digitalen Autoschlüssel für den neuen Eigentümer frei, wenn ein innerhalb der Chain definierter Preis auf dem Verkäuferkonto landet. Hier kommen Informatiker ins Spiel: Denn die müssen korrekt programmieren, welche Aktion ein bestimmtes Ereignis auslösen soll.  

Welche Bedingungen aber gelten, muss trotzdem verhandelt werden – und dazu braucht es Menschen. Die Blockchain schaut nämlich nicht von alleine in die Köpfe der Beteiligten. Darüber hinaus kann sie Informationen (großvolumiger) Transaktionen dokumentieren und manche Leistungen automatisiert vollziehen.

Computerprogramme können also bestimmte Prozesse des Zuhörens und des Bewertens übernehmen.

Warum es doch Menschen braucht

Für die allermeisten Tätigkeiten sind aber Menschen unabdingbar. Nur ein Anwalt erkennt etwa auch missverständlich kommunizierte Begehren und trennt daraufhin Wesentliches von Unwesentlichem. Wirklich gut zuhören können Computersysteme einfach nicht.

Dasselbe gilt für die rechtliche Bewertung. Simpel strukturierte Anspruchsgrundlagen mögen den Einsatz automatisierter Systeme begünstigen. Allerdings setzt dies auch einen gerichtsfesten Sachverhalt voraus. Von öffentlich dokumentierten Flugverspätungen abgesehen erweist sich der Anwendungsbereich als überschaubar.

Nicht unbedeutend ist in diesem Zusammenhang auch die Funktion des Rechts. Rechtsfrieden schaffen kann nur Recht, das in der Praxis zu gerechten Ergebnissen führt. Im besten Fall passt kein Blatt zwischen Recht und Rechtsgefühl. Menschliches Gerechtigkeitsempfinden lässt sich aber schwer in einen Algorithmus packen. Und an dieser Stelle kommt der Vogel Strauß ins Spiel:

Im alten Rom musste wie heute der Halter dafür haften, wenn das eigene Haustier einem Dritten Schaden zufügte. Da die Römer meist Hunde, Katzen oder Pferde besaßen, sprach das damalige Recht von "Vierbeinern". Besonders wohlhabende Römer leisteten sich exotische Tiere, etwa einen Vogel Strauß. Irgendwann biss ein solcher während eines Gartenfests die Frau eines ehemaligen Konsuls. Hätte eine Klage hier Aussicht auf Erfolg? Die Ratio der Norm leuchtet uns Anwälten unmittelbar ein: Der Halter soll für von seinem Tier verursachte Schäden haften. Ein "Vierbeiner" kann deshalb auch mal nur zwei Beine haben. Ob ein Computer dies ähnlich sehen würde?

Es darf bezweifelt werden, ob ein Watson naheliegende Analogien erkennt oder die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorhergesagt hätte. Und es wird vermutlich noch ein wenig dauern, bis Alexa inhaltlich substanziiert beantwortet, wem die Fräsmaschine gehört.

Auch das Abwägen von häufig nicht quantifizierbaren Risiken bleibt Anwaltssache. Insbesondere erweist sich menschliches Einfühlungsvermögen gepaart mit Kreativität häufig als guter Ratgeber: So mancher Gesellschafterstreit wurde nicht mit Paragraphen ausgefochten, sondern mit weisen Worten und guten Gesten beigelegt.

Wen betrifft Legal Tech wirklich?

Die neuen Möglichkeiten im Legal Tech-Bereich betreffen daher vor allem Großkanzleien und vereinzelte, kleinere Rechtsbereiche. Die Anwendungen ersetzen nicht, sondern ergänzen nur.
Das Brot-und-Butter-Geschäft der allermeisten Anwälte ist nicht in Gefahr, weil innovative Programme deren typische Arbeitsschritte kaum gleichwertig imitieren können.

Trotz der begrenzten Einsatzmöglichkeiten müssen sich Anwälte irgendwann damit auseinandersetzen, wie sie digitale Technologie zur Automatisierung betrieblicher Abläufe einsetzen: Für welche Vertrags- oder Klagearten lohnt sich die Erstellung von Vorlagen, mittels derer die Copy-Paste-Funktion zur Allzweckwaffe juristischer Effizienz wird? Wie kann ich Beratungsprodukte standardisieren und skalieren, die am Ende trotzdem zum individuellen Bedürfnis des Mandanten passen? Ein kreativer Jurist findet hier neue Wege, die Zeit sparen, Kosten senken und dadurch Wettbewerbsvorteile verschaffen. Die blinde Anwendung von Formeln und Formularen verbietet sich aber, der menschliche Verstand bleibt unabdingbares Korrektiv in einer am Mandantenbegehren orientierten Beratung.

Neue Technologien können und werden zu einer erheblichen Zeitersparnis bei genuin juristischen Arbeitsabläufen führen. Vor allem im Transaktionsgeschäft von Großkanzleien wird der Einsatz spezieller Software relevant und bewirkt Kosteneinsparungen.

Die neueren Aspekte der Digitalisierung berühren die allermeisten Anwälte jedoch kaum. Binärkodierte Denker ersetzen wohl keine 150.000 Juristen, sondern eher nur ein Prozent davon. Es besteht also Grund zur Hoffnung auf das Überleben der Anwaltszunft. Wenn an Heiligabend dann kein Programmierlehrbuch unter dem Christbaum liegen sollte, ist das vielleicht gar nicht so schlimm.  

Der Autor Konstantin Filbinger ist Rechtsanwalt bei Theopark Rechtsanwälte Steuerberater in Nürnberg. Er hat unter dem Label Jura Digital Lehrbücher zum Zivilrecht verfasst. *

*Anm. d. Red.: Hier waren zunächst zwei inhaltslose Domains angeführt.

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Konstantin Filbinger, Legal Tech: Vorsicht vor dem Hype . In: Legal Tribune Online, 11.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25949/ (abgerufen am: 09.08.2022 )

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