Gerade erst hat sich die Branche mit dem Begriff Legal Tech arrangiert, da tritt bereits ein neuer auf den Plan: Legal Design. Was das ist und wie Juristen ihre Arbeit verständlicher machen können, darüber sprachen wir mit Astrid Kohlmeier.
LTO: Frau Kohlmeier, "Legal Design" – was verbirgt sich hinter dem Begriff, nachdem sich die Branche sozusagen gerade erst an "Legal Tech" als halbwegs gängigen Terminus gewöhnt hat?
Kohlmeier: Das Thema Legal Design ist als Begriff immer noch relativ neu. Grob definiert versteht man darunter die Übertragung der Methode des sogenannten Design Thinking auf die Herausforderungen, die sich gerade im Rechtsmarkt stellen. Design Thinking wiederum ist eine der erfolgreichsten Innovationsmethoden schlechthin, die in fast allen anderen Industrien längst zum Einsatz kommt.
Die Herausforderungen, die wir heute im Rechtsmarkt haben, ergeben sich aus drei Punkten: Das ist zum einen ein immer stärker werdender Veränderungs- und Kostendruck auf Kanzleien und Rechtsabteilungen, zum anderen natürlich die Disruption von Rechtsdienstleistungen durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und damit häufig zusammenhängend eine sich permanent und rasant verändernde Erwartungshaltung der Nutzer.
Legal Design ist also vereinfacht gesagt auf das Recht angewandtes Design Thinking. Ein Designer fokussiert sich dabei darauf, was der Nutzer möchte und wie er mit welchen Dritten auf dem Weg dahin zu tun hat. Wo ist der Unterschied zu Anwälten, die ja auch eine Dienstleistung erbringen und sich dazu nach ihren Kunden bzw. Mandanten richten?
Kohlmeier: Der Unterschied ergibt sich vor allem aus den unterschiedlichen Herangehensweisen an Problemstellungen. Ein Jurist versucht in der Regel, zügig das Problem zu erfassen und dann dafür eine am Gesetz orientierte Lösung zu finden, die auf dem schnellsten Weg von A nach B führt. Das ist sehr einseitig.
Ein Designer hingegen nimmt Aufgabenstellungen erst einmal nur als Annahme hin und untersucht die Fragestellung viel intensiver und nicht nur aus der juristischen Fachperspektive.
Er analysiert vielmehr, welche Beteiligten es an einer Problemstellung gibt und in welchem Gesamt-Ökosystem sich die Fragestellung befindet. Dann geht es darum, sich intensiv mit den unterschiedlichen Blickwinkeln der einzelnen am Prozess Beteiligten zu beschäftigen. Dabei versucht der Designer, sich auf die in einer sogenannten Journey ergebenden Einzelsituationen zu konzentrieren und herauszufinden, welche Bedürfnisse sich an jeder Stelle einer Fragestellung ergeben.
Genau auf diese Bedürfnisse stellt sich der Designer dann ein und versucht, bessere Lösungen zu finden, die den Bedarf optimal treffen. Der Nutzer tritt so in den Mittelpunkt aller Untersuchungen - und eben nicht nur das Gesetz als Leitfaden für juristische Fragestellungen.
"Legal Designer beraten längst Rechtsabteilungen und Kanzleien"
Okay. Aber so wirklich angekommen ist Legal Design in der Branche offenbar noch nicht.
Kohlmeier: Da haben Sie Recht, es ist immer noch ein junges Angebot. Aber es tut sich was und zwar nicht mehr nur international. Dort hat es im vergangenen Jahr mit dem Legal Design Summit in Helsinki übrigens begonnen. Circa 600 Gleichgesinnte haben sich da getroffen und eine neue Community gegründet.
Aus diesen Begegnungen haben sich sehr viele anhaltende Verbindungen ergeben und wir sind alle in unseren Märkten unterwegs und sprechen nicht nur bloß über Legal Design, sondern beraten längst Rechtsabteilungen und Kanzleien auf diesem Gebiet.
Den Kinderschuhen entwachsen ist Legal Design aber schon: Im Juni fand etwa die Konferenz Design Legal 2018 in München statt, bei der Sie auch als Referentin auftraten. Wer nahm daran teil und was haben Sie dort gemacht?
Kohlmeier: Gemeinsam mit deren Initiatoren der Veranstaltung Carsten Reimann und Dr. Sascha Theissen haben wir, das sind vier Legal Designer und Facilitatoren aus verschiedenen Orten der Welt, den Prototypen einer neuen Konferenzform formiert. Wir haben uns überlegt, dass Konferenzen, auf denen man nur passiv zuhört, zwar spannend und lehrreich sein können, die Vorträge aber oft nicht den Mehrwert bringen, den sich Teilnehmer erhoffen.
So kam die Idee, dass sich General Counsels aus der Rechtsbranche mit aktuellen und echten Herausforderungen aus dem Themenkreis Legal Tech, Transformation und Innovationskultur an die Veranstalter wenden können, um an zwei Tagen von interdisziplinären Teams, die die Teilnehmer bilden, erste Ideen für eine Problemlösung zu erhalten.
Im Grunde lässt sich das mit einem Hackathon vergleichen, allerdings gab es jetzt gerade in München die Option, sich schon im Vorfeld mit Fragestellungen zu bewerben, auf deren Grundlage dann geeignete Teams zusammengestellt wurden. Wir Facilitatoren haben dann jeweils eine Gruppe betreut und dabei Legal-Design-Thinking-Methoden praktisch vermittelt und gemeinsam angewendet.
"Juristen sollten sich fragen: Wie wird meine Arbeit angenommen?"
Das heißt, als Legal Designer arbeiten Juristen interdisziplinär mit anderen Fachleuten zusammen. Was kann ein Jurist tun, um seinen "Designer-Blick" zu schärfen?
Kohlmeier: Er kann sich Problemstellungen anders stellen und andere Blickwinkel einnehmen, sich mehr auf die Bedürfnisse der am Problem beteiligten Personenkreis orientieren und vor allem: Fragen stellen und Feedback von Klienten einholen. Er sollte sich nicht ausschließlich auf die juristisch korrekte Lösung eines Problems fokussieren, sondern sich auch überlegen: Sind meine Texte und Verträge, die ich verfasse, verständlich und visuell so gefasst, dass sie leicht aufgenommen werden können? Wie sehen die internen Strukturen bei Mandanten aus? Wie kann ich als Jurist dazu betragen, Abläufe zu vereinfachen und nicht zusätzlich zu verkomplizieren?
Letztlich geht es darum, sein Gegenüber mit seinem Bedarf ernst zu nehmen und Lösungen anzubieten, die einen echten Mehrwert bieten - und nicht "nur" eine juristisch korrekte Lösung zu liefern. Sie muss darüber hinaus auch nutzerzentriert sein. Das gilt für analoge Lösungen im Übrigen genauso wie für digitale Angebote: Nur wenn der Nutzer einen echten Vorteil durch den Einsatz von digitalen Instrumenten erfährt, die ihm im besten Fall das Leben erleichtern, wird die Anwendung auch als hilfreich empfunden und eingesetzt.
Die letzte Frage: Haben Sie ein anschauliches Beispiel, wo und wie Legal Design bereits erfolgreich eingesetzt worden ist?
Kohlmeier: Ein gutes Beispiel ist die Varma, eine große Pensionskasse in Finnland. Dort hat man die Vertragsgestaltung für die Empfänger der Pensionsbriefe komplett umgestaltet. Die waren zwar immer juristisch korrekt formuliert und gaben auch den richtigen Rentenbetrag an, mit dem der Adressat bei Eintritt in das Rentenalter rechnen durfte. Trotzdem waren die Empfänger mit den Schreiben höchst unzufrieden, weil Ihnen die juristischen Formulierungen zu kompliziert waren und sie überhaupt nicht einschätzen konnten, ob der angegebene Betrag im Alter zum Leben reichen würde und wie man ihn gegebenenfalls erhöhen könnte.
Nachdem sich die Varma-Geschäftsführung nicht nur mit Anwälten, sondern auch mit einer Service-Design-Agentur zusammengetan hatte, erkannte man das Problem, weil endlich mal jemand diejenigen gefragt hat, an die die Schreiben verschickt werden: die künftigen Rentner.
In der Folge wurde innerhalb der Pensionskasse die zuständige Abteilung umstrukturiert und in eine Serviceabteilung umgewandelt, an die sich Renter wenden können, um über kumulative Rentenoptionen beraten zu werden. Gleichzeitig wurde die gesamte Kommunikationskette optimiert und die Schreiben verständliche gefasst und nutzerfreundlich visualisiert. Alleine dieser Schritt ist einfach und einleuchtend – aber Juristen achten einfach zu wenig darauf. Jeder ist froh, wenn komplizierter Juristenjargon in verständliche Sprache gefasst wird. Denn werden Texte nicht verstanden, nützt die ganze Arbeit nichts. Und die Juristerei ist nun mal eine Textwissenschaft.
Ein anderes Beispiel aus dem Bereich DSGVO hat die Firma Juro kürzlich veröffentlicht. Sie hat es u.a. durch den Einsatz von einfachen Infografiken geschafft, eine komplizierte Datenschutzerklärung sehr leicht verständlich zu machen.
Es gibt natürlich viele weitere Angebote, wie etwa flightright.de oder geblitzt.de. Das sind perfekte Beispiele, bei dem der Nutzer bei der Entwicklung der (Rechts-)Dienstleistung absolut in den Mittelpunkt gerückt ist. Das Ergebnis ist eine einfache Verständlichkeit des Systems, der Inhalte und der Bedienung der Plattformen. Und ob es Juristen wollen oder nicht: Diese Einfachheit und Nutzerzentriertheit begründet gerade einen neuen Standard, der auch immer mehr im Business-to-Business-Bereich erwartet wird. Mit Legal Design bekommen Juristen genau dafür eine Methode, denn damit lässt sich die Frage des "wie komme ich dahin" erfolgreich beantworten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Astrid Kohlmeier ist Director Legal Design & Legal Tech bei der IXDS GmbH und seit Kurzem Mitgründerin des Non-profit-Vereins "Liquid-Legal-Institute e.V.". Seit über 18 Jahren arbeitet sie beruflich daran, die Themen Recht und Design miteinander zu verbinden.
Legal Design: . In: Legal Tribune Online, 27.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30013 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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