Juristen diskutieren seit geraumer Zeit über Künstliche Intelligenz, aber kaum jemand weiß so recht, was sich hinter diesem Begriff genau verbirgt. Ein Beitrag zur Entmystifizierung vom Peter Huber und Nico Kuhlmann.
Ein Gespenst geht um in der Rechtsbranche - das Gespenst der Künstlichen Intelligenz. Dabei wird sie nicht morgen oder in absehbarer Zeit vollständig den Job eines Juristen übernehmen: Denn auch wenn Illustrationen diverser Veröffentlichungen etwas anderes suggerieren, wird demnächst kein Roboter in schwarzer Robe und Aktentasche im Gerichtssaal plädieren. Bei Künstlicher Intelligenz im Recht geht es nicht um Hardware, sondern größtenteils um Software. Zudem sind wir von einer starken und generellen Künstlichen Intelligenz noch Jahrzehnte entfernt - wenn es die Menschheit überhaupt jemals schaffen sollte, eine solche zu kreieren.
Gegenwärtig ist die zur Verfügung stehende Künstliche Intelligenz – nicht nur im Recht - vielmehr schwach und begrenzt. Dies bedeutet, dass Programme nicht dieselben Fähigkeiten einer menschlichen Intelligenz haben, sondern lediglich einzelne und eng definierte Anwendungsbereiche in nur bestimmter Art und Weise meistern können. So können diese Programme dann durchaus erfolgreich Schach oder das zweieinhalb tausend Jahre alte chinesische Brettspiel Go spielen, aber eben nichts anderes.
Beispiele gibt auch der Alltag genug her: Ein Taschenrechner kann zwar besser multiplizieren als jeder Mensch, aber das Gerät weiß nicht, mit welchen Zahlen es überhaupt rechnen soll und was anschließend mit dem berechneten Ergebnis anzufangen ist.
Deshalb würde auch niemand auf die Idee kommen, einen Taschenrechner als Künstliche Intelligenz zu bezeichnen. Dieser Begriff wird nur solange verwendet, bis die Allgemeinheit in etwa grob verstanden hat, wie etwas funktioniert und sich dann irgendwann mit der Existenz eines solchen Programms abgefunden hat. Danach ist es nur noch gewöhnliche Software.
Was Künstliche Intelligenz im Inneren zusammenhält
Künstliche Intelligenz ist dabei ein Oberbegriff mit einer Vielzahl von Unterkategorien. Dazu zählen beispielsweise Machine Learning, Natural Language Processing und Predictive Analytics.
Regelbasierte Systeme sind bisher der Normalfall, also solche, bei denen im Vorhinein der Programmierer an jede Eventualität denken und eine entsprechende Regel aufstellen muss. Mittlerweile lernen die Computer aber auch dazu und werden mit jeder Lernschleife besser darin, die vorgegebene Aufgabe zu lösen. Bei einem modernen Ansatz des Machine Learning, dem Deep Learning, kommen dafür künstliche neuronale Netze zum Einsatz, die die Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachahmen.
Im Gegensatz dazu beschreibt das sogenannte Natural Language Processing die Fähigkeit von Programmen, Texte in natürlicher menschlicher Sprache zu lesen und in bis zu einem bestimmten Grad auch zu verstehen. Das geht immerhin weit über die klassische Schlagwortsuche hinaus. So kann der Inhalt von Texten unabhängig von der konkreten Formulierung unter Beachtung des Kontextes ausgewertet und verarbeitet werden.
Predictive Analytics umschreibt schließlich die Auswertung großer Datenmengen und darauf aufbauende Vorhersagen. Ziel einer solchen Datenanalyse ist es, durch statistische Auswertung Korrelationen und damit Muster zu erkennen. Basierend auf diesen Mustern kann dann eine Vorhersage in Form einer Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen eines bestimmten Ereignisses getroffen werden.
Diese Methoden, oder zumindest einige davon, liegen den meisten Programmen zugrunde, die heutzutage als Künstliche Intelligenz beworben werden. Alle diese Methoden haben ein nicht zu unterschätzendes Potenzial, aber eben auch alle ihre Grenzen. Bereiche, in denen sich die Künstliche Intelligenz unter anderem sehr schwer tut, sind schlussfolgerndes Denken und das Treffen von wertenden Entscheidungen.
Vertragsüberprüfung, rechtliche Recherche und ein Blick in die Glaskugel
Juristen haben einen komplexen Beruf. Die Gesamtheit der sich stellenden Aufgaben und der abzuarbeitenden Schritte mit Hilfe einer einzigen Künstlichen Intelligenz abzubilden, wird auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Aber mehrere Einzelaspekte können schneller, präziser und damit oft günstiger durch ein entsprechendes Programm erledigt werden. Dies gilt beispielweise für einzelne Teile der Vertragsüberprüfung und der rechtlichen Recherche.
Moderne Programme etwa können tausende umfangreiche Verträge nach bestimmten Klauseln oder wesentlichen Informationen durchsuchen und diese dann strukturiert auflisten. Sie können auch anzeigen, ob konkrete Regelungen, die normalerweise bei Verträgen dieser Art vorkommen, vollständig fehlen. Dies spart Zeit und der Anwalt kann direkt mit der rechtlichen Einordnung begingen, ohne vorher stundenlang händisch Aktenordner zu wälzen.
Auch die rechtliche Recherche wird durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz optimiert werden. Das zeitaufwändige Durchsuchen von Ergebnislisten nach einschlägiger Rechtsprechung oder Literatur nach der Eingabe einzelner Schlagwörter wird wegfallen. Moderne Suchmaschinen werden direkt die zwei oder drei wichtigsten Fundstellen und die darin relevanten Absätze anzeigen. Erste Programme können auch bereits darauf aufbauend Memos zu abstrakten Rechtsfragen schreiben.
Zudem werden Juristen auch völlig neue Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Im Rahmen der Prozessvorbereitung können beispielsweise verschiedene Vorhersagen die Informationsgrundlage für diverse Entscheidungen verbessern. Die Auswertung von Gerichtsentscheidungen kann etwa dabei helfen besser einzuschätzen, wie die konkreten Richter entscheiden, welche Argumente rein statistisch die aussichtsreichsten sind und wie hoch die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Klage ist.
Qualität hoch, Bearbeitungsdauer runter
Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz werden den Juristen also hilfreiche Werkzeuge zur Verfügung stehen, die unabhängig vom Rechtsgebiet verwendet werden können. Anwälte werden in Zukunft immer weniger Zeit mit Routinetätigkeiten verbringen und damit mehr Zeit haben, auf besserer Grundlage den Mandanten zu beraten und gemeinsam Strategien zu entwickeln. Die Qualität der Beratung wird sich bei gleichzeitiger Zeitersparnis weiter erhöhen.
Daneben wird Künstliche Intelligenz auch bereits vermehrt eingesetzt, um rechtliche Bedürfnisse der Rechtssuchenden direkt zu befriedigen. Besonders beliebt sind zum Beispiel Legal Chatbots. Diese Programme verbessern den Zugang zum Recht in bestimmten Bereichen, die bisher unterversorgt waren, und führen somit dazu, dass sich der Rechtsmarkt im Endeffekt vergrößert.
Der Anwendungsbereich von Künstlicher Intelligenz liegt darum vorerst vor allem in der Auswertung von großen Datenmengen für den Juristen oder der Erstbearbeitung von Rechtsproblemen, für die sich der Weg zum Anwalt bisher nicht gelohnt hat. Somit gibt Künstliche Intelligenz lediglich Empfehlungen ab, die Entscheidungen treffen aber immer noch die Juristen. Ob Künstliche Intelligenz langfristig das Potenzial hat, um in den Kernbereich der juristischen Dienstleistungen vordringen, muss die Zeit zeigen.
Bis auf absehbare Zeit geht es somit nicht um die Frage, wann der Computer den Juristen ersetzt. Es geht vielmehr darum, wie sich die juristische Arbeit durch den sinnvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz verbessern und ergänzen lässt.
Der Autor Peter Huber ist Partner bei Hogan Lovells International LLP in München. Sein Beratungsschwerpunkt liegt auf den Bereichen M&A, Private Equity und Venture Capital.
Der Autor Nico Kuhlmann (@NicoKuhlmann) ist Rechtsreferendar bei Hogan Lovells US LLP im Silicon Valley und Blogger für den Legal-Tech-Blog.de.
Nico Kuhlmann, Künstliche Intelligenz im Recht: . In: Legal Tribune Online, 07.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27907 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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