Linksteuer und Upload-Filter: Schlagworte massiven Protests, der die geplante EU-Copyright-Directive vorläufig stoppte. Ob die Richtlinie das freie Internet, wie wir es kennen, vernichtet, war unter Juristen auf der Gamescom umstritten.
"Diese Regelungen werden das Internet nicht zerstören", sagte Axel Voss, Mitglied des Europa-Parlaments in der EVP-Fraktion und Berichterstatter dessen Rechtsausschusses am Mittwoch auf dem Gamescom Congress. Parallel zur weltweit größten Messe für Videospiele trifft sich die Fachwelt im Rahmen dieser separaten Veranstaltung, um über aktuelle Entwicklungen zu diskutieren, die in den Bereichen Internet und Gaming zu beobachten sind.
Dass im vornehmlich von Juristen besuchten fünften Track mit dem Titel "Games & Law" die umstrittene EU-Urheberrechtsreform im Fokus stand, die nach Auffassung ihrer Kritiker die Meinungsfreiheit im Internet massiv einschränken wird, verwundert nicht. Erst am 5. Juli stimmte das Europa-Parlament mit einer knappen Mehrheit gegen die aktuelle Fassung, die der Rechtsausschuss erarbeitet und auch selbst nur mit knapper Mehrheit abgesegnet hatte. Nun müssen der Jurist und CDU-Politiker Voss und seine Kollegen in den kommenden Tagen nacharbeiten, bevor am 12. September erneut im Europa-Parlament abgestimmt wird.
Viele gar nicht mal so kleine Schlachten also, die geschlagen werden wollen, bevor feststeht, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß die Reform kommt. Die Zeit jedenfalls drängt, denn sollte das Plenum den überarbeiteten Entwurf auch am 12. September ablehnen, könnte das Mammutvorhaben insgesamt scheitern – im Mai 2019 steht die nächste Europawahl an und die Gremien wie der Rechtsausschuss werden neu zusammengesetzt.
"Linksteuer" und Upload-Filter – das Ende des Internets?
Die überaus heftige Kritik am Entwurf, die in den Wochen vor der ersten Abstimmung am 5. Juli medial ihren Höhepunkt erreichte, konzentriert sich auf dessen Art. 11 und 13. Ersterer sieht ein Leistungsschutzrecht für Verleger vor. Suchmaschinen wie Google sollen künftig nicht mehr ohne Erlaubnis Überschriften oder kurze Ausschnitte von Pressetexten in ihren Suchergebnissen anzeigen dürfen.
Das Problem, das die Reformgegner in diesem, von einigen (sachlich nicht ganz richtig) als "Linksteuer" betitelten Exklusivrecht sehen: In aller Regel enthalten Links Teile der dem Entwurf nach geschützten Texte. Auch die Metadaten oder Anreißer-Texte, die etwa beim Teilen in sozialen Netzwerken angezeigt werden, wären geschützt. Da die Suchmaschinen, sozialen Netzwerke und sonstige Plattformbetreiber wohl kaum mit allen Verlagshäusern entsprechende Lizenzvereinbarungen treffen werden, müssten sie nach der Richtlinie ihre Nutzer davon abhalten, Links über ihre Portale zu verbreiten – und damit den freien Austausch und Informationsfluss im Internet gezwungenermaßen einschränken, meinen die Kritiker.
Art. 13 sieht hingegen vor, dass bestimmte große Online-Plattformen wie Youtube, Facebook oder Instagram schon während des Hochladens von Videos, Audiodateien oder Fotos prüfen müssen, ob diese urheberrechtlich geschützt sind. Ist das so, müssten sie diese unzugänglich machen oder entsprechende Lizenzen dafür erwerben oder – und das ist nach Auffassung der Gegenbewegung ein weiterer Knackpunkt – eben für illegale Inhalte ihrer Nutzer haften. Denn die Reform sieht eine Beweislastumkehr vor, bisher haften die Nutzer noch selbst für ihre Postings auf den einschlägigen Online-Portalen.
Nun ist von Upload-Filtern in Art. 13 nicht ausdrücklich die Rede, sondern nur von der Implementierung "effektiver Technologien". Bei der Masse an Inhalten, die täglich hochgeladen wird, dürfte deren Überprüfung aber faktisch nur durch vollautomatisierte Software zu schaffen sein. Und die, so befürchten die Reformgegner, kann sich irren, Inhalte deswegen zu Unrecht sperren und so das Internet zensieren. Beispielsweise, wenn es sich um satirische Inhalte handelt, die bezugnehmend auf geschützte Werke erstellt werden, etwa die beliebten Memes (Internet-Insiderwitze).
Voss: "Kritikwelle aus einer rein emotionalen Bewegung"
Voss, der gleich die erste Keynote des Tages im Track Games & Law hielt, beklagte eine "gezielte Kampagne gegen die Urheberrechtsreform". In den zwei Wochen vor der ersten Abstimmung im Europa-Parlament hätten ihn über 60.000 Mails an seiner Abgeordneten-Adresse erreicht, die sich häufig in Form und Anschreiben ähnelten.
Er vermutet deshalb, dass viele Absender der "teils hysterischen" Aufregung verfallen seien und bloß generische Vordrucke verwendet hätten, ohne sich selbst mit dem Thema beschäftigt zu haben: "Diese Kritikwelle ist aus einer rein emotionalen Bewegung heraus entstanden", seiner Meinung nach angetrieben von Internet-Aktivisten und den großen Internetriesen, von der sich "leider" nicht nur die Medien, sondern auch viele seiner Abgeordneten-Kollegen hätten mitreißen lassen, weshalb die Reform im aktuellen Entwurf im Plenum gescheitert sei.
Er hielt den seiner Meinung nach bisweilen überreagierenden Kritikern entgegen: "Wir kämpfen für die Finanzierung einer unabhängigen Presse. Das ist gerade in Zeiten von Fake-News immer wichtiger. Damit die Presse aber wirklich unabhängig bleiben kann, muss sie Geld dafür erhalten, wenn mit der Einbindung ihrer Inhalte eben solches verdient wird. Alles andere ist inakzeptabel." Er betonte, dass die vorgesehenen Maßnahmen in ihrer Intensität "im Vergleich zur Offline-Welt schon niedrig angesetzt" seien. Man müsse auf die Natur des Internets reagieren, aus der einmal veröffentlichte Inhalte nicht so einfach wieder entfernt werden könnten, so der Abgeordnete.
Die richterliche Rechtsfortbildung regeln lassen?
Während der anschließenden Podiumsdiskussion gab es Gegenwind für Voss. Tiemo Wölken, für die SPD ebenfalls im Europa-Parlament in der S&D-Fraktion unterwegs, hielt seinem Anwaltskollegen entgegen, dass "der Ansatz in Artikel 13, schon beim Hochladen auf urheberrechtlich geschützte Werke zu prüfen, unverhältnismäßig" sei. Schließlich seien illegale Uploads ja nicht der Regelfall, sondern die Ausnahme. Ebenso stelle die Beweislastumkehr zu Lasten der Plattformbetreiber für die Inhalte der Nutzer ein existenzielles Risiko dar, mit dem die Europäische Union gerade für Neugründungen unattraktiver werde.
Den gleichen Effekt hat Wölkens Meinung nach Art. 11, da gerade kleinere Verlagshäuser auf die Listung bei Suchmaschinen angewiesen seien, um überhaupt eine Online-Leserschaft generieren zu können. Sein Vorschlag: "Man könnte versuchen, das Notice-and-Takedown-Verfahren zu optimieren und vor allem zu beschleunigen." Danach sind Plattformbetreiber erst nach einem entsprechenden Hinweis für illegal hochgeladene Inhalte in der Verantwortung und können so gezielter reagieren.
Prof. Dr. Jan-Bernd Nordemann von der Kanzlei Boehmert & Boehmert hielt es in der Gesprächsrunde auch für eine valide Alternative, weiterhin den Europäischen Gerichtshof im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung die Rechte von Urhebern erörtern zu lassen: "Die Luxemburger Richter haben in vielen wegweisenden Entscheidungen, wie zum Beispiel im Fall 'GS Media' oder dem 'filmspeler', gut vertretbar die Verantwortlichkeit für Urheberrechtsverletzungen austariert", so der auf Fragen des geistigen Eigentums spezialisierte Jurist.
Indes buhlen Befürworter wie Gegner der Reform um Abgeordneten-Stimmen im Europa-Parlament und bekommen prominente Unterstützung: Während sich namhafte Musiker wie James Blunt und Paul McCartney kürzlich wenig überraschend für das neue EU-Urheberrecht in der aktuellen Fassung aussprachen, schlugen sich der "Vater des Internets" Vint Cerf und Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales ebenso selbstverständlich auf die Seite der Internetgemeinschaft. Welche Wendung der Streit ums Internet nimmt, zeigt sich dann am 12. September.
mit Material von dpa
EU-Urheberrechtsreform auf dem Gamescom Congress: . In: Legal Tribune Online, 24.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30545 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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