Auf den meisten Legal-Tech-Konferenzen kratzt die Männerquote hart an der 100-Prozent-Marke. Das soll sich ändern, haben sich jetzt ausgerechnet drei Männer vorgenommen. Einer von ihnen, Nico Kuhlmann, über die Gründe seiner Initiative.
LTO: Herr Kuhlmann, Sie haben sich kürzlich auf einer Tagung auf der Bühne öffentlich darüber aufgeregt, dass unter den Vortragenden keine einzige Frau war. Warum ist das ein Problem?
Nico Kuhlmann: Ich habe kürzlich einige Monate beruflich im Silicon Valley verbracht und mein Eindruck war, dass Frauen in der Legal-Tech-Szene dort sehr viel sichtbarer sind als in Deutschland. Deutsche Konferenzen sind extrem männerlastig, obwohl doch auch hier immer mehr Frauen in Legal Tech sehr aktiv sind. Viele scheint das nicht zu stören, aber ich halte das im Jahr 2018 für nicht mehr hinnehmbar.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Frauen nicht so sichtbar sind?
Über sozio-kulturelle Fragen will ich nicht spekulieren. Aber die Geschlechterverteilung an den Lehrstühlen, in den Kanzleien und Rechtsabteilungen ist eben bei weitem noch nicht ausgeglichen. Und wer wird zu Konferenzen eingeladen? Natürlich die, die man von anderen Konferenzen ohnehin schon kennt. Männer sind vielleicht auch eher bereit, "Hier!" zu rufen, wenn sie gebeten werden, Vorträge zu halten oder an Podiumsdiskussionen teilzunehmen.
Jetzt wollen Sie die "Women in Legal Tech" auszeichnen, gemeinsam mit Michael Grupp und Micha-Manuel Bues – ausgerechnet drei Männer…
Die Idee zu dem Award spukte mir schon eine Weile im Kopf herum. Als ich mich fragte, wen ich ins Boot holen will, sind mir sofort die beiden, mit denen ich auch gut befreundet bin, eingefallen. Michael Grupp und Micha-Manuel Bues haben – der eine durch sein Unternehmertum im Legal Tech-Bereich, der andere mit dem Legal-Tech-Blog – eine hohe Reichweite, das fand ich gut für ein Organisationsteam. Ich musste die zwei auch nicht groß überzeugen. Sie haben mich gar nicht ausreden lassen und sofort zugesagt.
In der Jury sind die Frauen in der Mehrheit
Sitzen Sie drei auch in der Jury?
Nein, selbstverständlich nicht. Wir sammeln lediglich die Nominierungen und Begründungen und übergeben diese an die Jury. Die besteht aus drei Personen, zwei Frauen und einem Mann, aus verschiedenen Bereichen des Rechtsmarkts. Die Namen möchte ich im Moment aber noch nicht verraten.
Wie soll der Award konkret aussehen?
Wir wollen nicht "Die beste Frau in Legal Tech" auszeichnen. Es soll eine Liste entstehen nach dem Vorbild der "Women of Legal Tech" der American Bar Association. Wir haben weder eine Ober- noch eine Untergrenze für die Zahl der Nennungen festgelegt, aber Qualität geht vor Quantität.
Wir verzichten auch bewusst auf Kategorien, weil es oft schwierig ist, die einzelnen Tätigkeitsfelder sauber abzugrenzen und eindeutig zuzuordnen. Und wir halten die Liste offen für Nominierte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – egal ob aus dem Rechtsmarkt, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Politik. Es ist auch nicht entscheidend, ob ein Produkt entwickelt wurde, das kommerziell nutzbar ist oder nicht. Die Idee ist, Stimmen und Vorbilder zu sammeln. Im Endeffekt stelle ich mir ein schön gestaltetes Dokument vor, mit Fotos, Namen und zwei bis drei Sätzen über die Frauen.
"Hilfreich, um die Diversity in der Szene zu erhöhen"
Was soll solch eine Liste bewirken?
Von der Liste verspreche ich mir, dass sie einen Beitrag leistet, die Sichtbarkeit der vielen beeindruckenden Frauen im Legal Tech zu erhöhen. Die nächste Generation soll zudem eine transparente Auswahl an Vorbildern erhalten. Meine Idee wäre, die Liste jährlich zu publizieren, ähnlich wie die Liste der American Bar Association. Wenn wir in zehn bis 15 Jahren dann soweit sind, dass wir ein solches Projekt nicht mehr brauchen, dann können wir die Liste auch gern wieder einstampfen. Aber im Moment halte ich sie für hilfreich, um die Diversity in der Szene zu erhöhen.
Ich habe dabei durchaus eine egoistische Perspektive: Ich will nicht in einer Folge von Mad Men leben mit ausschließlich älteren weißen Männern in dunkelblauen Anzügen, die sich fortwährend gegenseitig applaudieren - und die Frauen dürfen nur auf die Bühne, um die Blumen zu bringen. Das ist nicht meine Vorstellung von der Welt in der ich leben möchte.
Wäre eine Selbstverpflichtung der Konferenz-Veranstalter zu einer gewissen Frauenquote nicht hilfreicher als ein Award?
Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit. Ich habe mich kürzlich persönlich dazu entschlossen, in Zukunft weder als Referent noch als Teilnehmer an Konferenzen teilzunehmen, bei denen nicht mindestens 20 Prozent Frauen auf der Bühne stehen. Dies ist immer noch viel zu wenig, aber es stellt meine absolute Schmerzgrenze dar. Aber es muss jeder selbst entscheiden, wie wichtig das Thema Vielfalt für einen ist, wenn es bedeutet, auch das eigene Verhalten zu ändern.
Den meisten Veranstaltern ist es im Übrigen schon bewusst, dass sie ihre Panels nicht ausgewogen besetzen. Aber es ist auch schwierig gegenzusteuern. Wenn ich für Konferenzen angefragt werde, weise ich die Veranstalter regelmäßig darauf hin, dass sie doch auch Frauen einladen sollen. Dann kommt oft die Gegenfrage, ob ich denn welche kennen und empfehlen würde. Meine Vorstellung ist, dass ich den Veranstaltern in Zukunft einfach diese Liste zuschicken kann.
"Wir hoffen auf möglichst viele Nominierungen"
Gibt es überhaupt genug Frauen unter den Legal Techies? Reicht das für eine ausreichend hohe Zahl?
Mein erstes Brainstorming hat 15 Namen ergeben – und das sind nur die Frauen, die ich persönlich kenne. Aber es gibt noch viel mehr da draußen. Die Ausschreibung ist seit diesem Monat online, und wir hoffen auf möglichst viele Nominierungen bis zum Ende der Frist am 31. Juli. Das Feedback, das mich erreicht, ist ausschließlich positiv. Es scheint so zu sein, dass bislang schlicht viele nicht darüber nachgedacht haben, warum es so wenige Frauen auf den ganzen Legal-Tech-Veranstaltungen gibt. Viele sagen jetzt: "Ja, stimmt. Eigentlich hat er recht."
Wann wissen wir, wer die "Women of Legal Tech" in Deutschland sind?
Wir werden die Liste am 14. September, beim Finale der deutschlandweiten Legal-Tech-Competition für Studierende in Düsseldorf, veröffentlichen. Für die Laudatio konnten wir übrigens die ehemalige Justizministerin Brigitte Zypries gewinnen.
Nico Kuhlmann (@NicoKuhlmann) ist Volljurist, Legal Tech-Enthusiast, Blogger für den legal-tech-blog.de und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hogan Lovells in Hamburg. Die Kanzlei verlieh ihm jüngst die interne, weltweite Auszeichnung "Master of Innovation 2018".
Anja Hall, Neue Auszeichnung für weibliche Legal-Techies: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29715 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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