Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll Licht in den Fall des insolventen Wirecard-Konzerns bringen. Das Parlament war sich am Freitag einig darüber, den Finanzskandal mit einem sorgfältig aufzuklären zu lassen.
Der Skandal um den insolventen Zahlungsdiensteabwickler Wirecard wird sehr wahrscheinlich Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Bei der Debatte am Freitag im Bundestag sprachen sich nicht nur die Oppositionsfraktionen, sondern auch die Regierungsparteien für eine sorgfältige Aufklärung des Finanzskandals aus.
Die Fraktionen von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen hatten die Einsetzung des Untersuchungsausschusses beantragt. Nachdem sich am Freitag Vertreter aller Parteien im Bundestag dafür ausgesprochen haben, wurde der Antrag zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung überwiesen. Erste Sitzungen des Untersuchungsausschusses könnten im Oktober stattfinden, erste Zeugen im November angehört werden.
Bei Wirecard fehlen insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die der Konzern in seiner Jahresbilanz 2019 auf der Habenseite verbuchen wollte - das Ergebnis wahrscheinlich nicht existierender Luftgeschäfte mit Subunternehmern in Südostasien und im Mittleren Osten. Das vermisste Geld sollte sich eigentlich auf philippinischen Treuhandkonten befinden. Im Juni stellte sich dann heraus, dass weder die Milliarden noch die Treuhandkonten existierten.
Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies, und ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Der Schaden für die kreditgebenden Banken und Investoren könnte sich auf 3,2 Milliarden Euro summieren. Es handelt sich um einen der größten Finanzskandale der jüngsten Geschichte in Deutschland.
Aufsicht, Lobbyismus und die Rolle der Wirtschaftsprüfer
Der Untersuchungsausschuss soll nach dem Willen von FDP, Linken und Grünen das Verhalten der Bundesregierung und ihrer Geschäftsbereichsbehörden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen bei Wirecard untersuchen.
Geklärt werden soll, inwiefern die Bundesregierung und ihre Geschäftsbereichsbehörden über den Fall Wirecard informiert waren und ob sie ihren Aufsichtspflichten nachgekommen sind. Im Fokus wird auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stehen: Hat die Behörde strafbares bzw. manipulatives Handeln bei Wirecard erkannt oder hätte sie es früher erkennen müssen?
Weiter erhoffen sich die Politiker Aufklärung darüber, ob und wie sich die Bundesregierung für die Belange von Wirecard im In- und Ausland eingesetzt hat und ob es Verbindungen zwischen dem Konzern und staatlichen Stellen gab. Denn die Bundesregierung steht im Verdacht, Wirecard-Lobbyisten ein allzu offenes Ohr geschenkt zu haben. Das Unternehmen hatte hochkarätige Fürsprecher für sich gewonnen: Sowohl der Ex-Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, sowie der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) betrieben Lobbyarbeit für Wirecard.
Auch die Rolle der privaten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften soll im Untersuchungsausschuss thematisiert werden. EY (Ernst & Young) hat die Jahresbilanzen bei Wirecard seit 2009 geprüft und testiert. Die Abgeordneten wollen herausfinden, ob die Prüfer dabei möglicherweise gegen geltendes Recht verstoßen haben oder von Rechnungslegungs- oder Prüfstandards abgewichen sind - und ob dabei Interessenkonflikte eine Rolle spielten.
U-Ausschuss soll auch Reformen anregen
Der Untersuchungsausschuss soll nach den Vorstellungen der Opposition auch Anregungen für Reformen liefern. Der Ausschuss solle einen Beitrag zur Entstehung einer "anderen Aufsichtskultur" leisten, sagte der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion, Fabio De Masi bei der Vorstellung des Antrags.
Ähnlich wie De Masi äußerte sich Danyal Bayaz von den Grünen. Der Ausschuss werde möglicherweise im kommenden Juni seinen Bericht vorlegen, also wenige Monate vor der nächsten Bundestagswahl. Angesichts des Drucks aus der Bevölkerung für Änderungen könnten die Erkenntnisse des Gremiums dann auch in die dann anstehenden Gespräche zur Bildung einer neuen Bundesregierung einfließen.
Ermittlungen auch auf den Philippinen
Unterdessen ermitteln die Behörden auf den Philippinen im Fall Wirecard derzeit gegen 57 verdächtige Personen und Unternehmen. Strafanzeigen seien jedoch noch nicht gestellt worden, sagte der Chef der Antigeldwäsche-Agentur AMLC, Mel Gergie Racela, am Freitag bei einer Online-Pressekonferenz. Die Behörde ermittelt wegen inländischer Verstöße gegen das Anti-Geldwäsche-Gesetz und wartet auf Beweise aus Deutschland, um Anklage gegen Verdächtige erheben zu können.
Ermittelt werde unter anderem gegen Angestellte von zwei örtlichen Banken sowie gegen zwei philippinische Einwanderungsbeamte, die Reiseunterlagen des flüchtigen Ex-Wirecard-Vertriebsvorstands Jan Marsalek gefälscht haben sollen. Gleichzeitig betonte Racela erneut, dass die von dem Zahlungsdienstleister vermissten 1,9 Milliarden Euro nicht ins philippinische Finanzsystem gelangt seien und es auch keine Berichte über verdächtige Transaktionen gebe.
Insolventer Wirecard-Konzern: . In: Legal Tribune Online, 11.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42782 (abgerufen am: 09.11.2024 )
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