Prozess in München: Wire­card-Ange­klagter laut Gut­achten kein Autist

06.05.2024

Drei ehemalige Spitzenmanager stehen im Wirecard-Prozess vor Gericht: Zwei beschuldigen sich gegenseitig, der dritte schweigt bisher. Doch nun könnte Bewegung in das Mammutverfahren kommen.

In einem wichtigen Zwischenschritt des Münchner Wirecard-Prozesses haben Fachleute den dritten Angeklagten Stephan von Erffa für psychisch unauffällig erklärt. Der 49 Jahre alte frühere Chefbuchhalter des 2020 zusammengebrochenen Dax-Konzerns ist nach Einschätzung der beiden Gutachter Norbert Nedopil und Maximilian Wertz weder autistisch veranlagt noch anderweitig psychisch auffällig. Das sagten die beiden Wissenschaftler am Montag, dem 122. Prozesstag des seit Dezember 2022 laufenden Mammutverfahrens (Az. 4 KLs 402Js 108194/22). Eine psychische Auffälligkeit wäre möglicherweise für die Beurteilung der Schuldfähigkeit von Bedeutung gewesen.

Erffa könnte eine Schlüsselrolle für den weiteren Prozessverlauf spielen: Er ist der einzige der drei Angeklagten, der im Verfahren schweigt. Bislang steht Aussage gegen Aussage. Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun bestreitet sowohl den Hauptanklagepunkt des Milliardenbetrugs als auch sämtliche weiteren Vorwürfe. Der ehedem in Dubai für den Konzern tätige Manager Oliver Bellenhaus hingegen hat als Kronzeuge sowohl Braun als auch Erffa beschuldigt, Mittäter gewesen zu sein.

Mittlerweile denkt Erffa jedoch über ein Geständnis nach. In den nächsten Wochen soll es dazu ein weiteres Rechtsgespräch seiner Verteidiger mit der Kammer geben. Der Spross eines alten Adelsgeschlechts hatte die Gutachten selbst beantragt, um eine mögliche autistische Störung klären zu lassen. 

Keine hinreichenden Hinweise auf Autismusspektrumsstörung

"Er war weitgehend unauffällig, unauffällig gekleidet, unauffällig im Verhalten", sagte der psychiatrische Sachverständige Nedopil. Psychologe Wertz bescheinigte Erffa einen IQ von 110 im oberen Normbereich und "keine hinreichenden Hinweise auf eine Autismusspektrumsstörung". Im Laufe des Verfahrens hatten viele Zeugen den langjährigen Leiter der Wirecard-Buchhaltung als kundigen und kompetenten Finanzmann beschrieben, mit Hang zu Wutausbrüchen. 

Laut Anklage war Erffa gemeinsam mit dem früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und dem Kronzeugen Oliver Bellenhaus Mitglied einer Betrügerbande in der Wirecard-Chefetage, die über Jahre nicht vorhandene Scheinumsätze in Milliardenhöhe erdichtete. Im Gerichtssaal hat Erffa sich bislang mit keinem Wort zur Anklage geäußert. Im Gespräch mit dem Psychologen hat der frühere Chefbuchhalter jedoch den Vorwurf, er sei Mitglied einer kriminellen Bande gewesen, als "abstrus" und "völligen Quatsch" zurückgewiesen, wie Gutachter Wertz sagte. 

Psychiater Nedopil jedoch gab eine Aussage Erffas wieder, derzufolge der Chefbuchhalter im Auftrag des Vorstands Datensätze "rekonstruierte", aber "besten Wissens und Gewissens". Dabei geht es um die Frage, ob der Buchhalter an der Kreation erfundener Geschäftszahlen beteiligt war.

Das Landgericht München I hat Erffa für den Fall eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe zwischen sechs und acht Jahren in Aussicht gestellt. Sollte Erffa ein volles oder Teil-Geständnis ablegen, stünde Braun als einziger Angeklagter da, der sämtliche Vorwürfe kategorisch bestreitet. Anders als seine beiden auf freien Fuß gekommenen Mitangeklagten sitzt der Ex-Vorstandschef und einstige Milliardär auch weiter in Untersuchungshaft – seit bald vier Jahren.

dpa/sts/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Prozess in München: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54493 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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