Erste Entscheidung im KapMuG-Verfahren: Ent­täu­schung für Wire­card-Aktio­näre

von Stefan Schmidbauer

28.02.2025

Ob die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY für Kursverluste von Wirecard-Aktionären Schadensersatz leisten muss, bleibt ungeklärt. Eine Entscheidung des BayObLG dürfte die Kläger ernüchtern.

Ende November vergangenen Jahres wurde vor dem 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) in München mündlich verhandelt, am Freitag setzte das Gericht im Kapitalanleger-Musterverfahren in Sachen Wirecard (Az. 101 Kap 1/22) eine erste Wegmarke.

Ein Großteil der Feststellungsziele aus dem Vorlagebeschluss des Landgerichts (LG) München I (Az. 3 OH 2767/22 KapMuG) wurde als unzulässig zurückgewiesen. Wichtigste Botschaft für Wirecard-Anleger: Ob die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY für Kursverluste Schadensersatz leisten muss, wird das BayObLG nicht klären.

Rund 19.000 Personen sind an dem Verfahren auf der Grundlage des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) beteiligt. Sie haben im Zuge der Insolvenz von Wirecard Verluste mit Aktieninvestments erlitten und hätten gerne ihr Geld zurück. Insgesamt geht es um Forderungen in einer Größenordnung von mehr als acht Milliarden Euro. Über weitere 8.500 Klagen von Wirecard-Anlegern, die noch beim LG anhängig sind, wird erst nach dem Abschluss des Musterverfahrens entschieden.

Verstoß gegen Prüfpflichten?

In dem Verfahren mit insgesamt elf beklagten Unternehmen und Personen soll die Haftungsfrage geklärt werden. Als Musterkläger für das Verfahren wurde im März 2023 Kurt Ebert bestimmt, der mit einem Wirecard-Investment nach eigenen Angaben mehr als eine halbe Million Euro verloren hat. Vertreten wird Ebert durch die Münchener Kanzlei Mattil und Rechtsanwalt Dr. Elmar Vitt.

Die größten Hoffnungen der geschädigten Anleger ruh(t)en auf EY Deutschland. Die Gesellschaft hat in den Jahren vor der Insolvenz die Bilanzen von Wirecard geprüft. Die Anleger werfen EY vor, dabei gegen Prüfpflichten verstoßen und zu einer fehlerhaften Kapitalmarktinformation beigetragen zu haben. EY sieht die Schadensersatzklagen als unbegründet an.

BayObLG: Bestätigungsvermerke sind keine Kapitalmarktinformation im Sinne des KapMuG

In einem Teil-Musterentscheid stellt das BayObLG fest, dass EY zumindest im Musterverfahren nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Bestätigungsvermerke für eine Bilanz seien zwar eine wichtige Informationsquelle für Anleger, aber keine Kapitalmarktinformation im Sinne des KapMuG in seiner alten Fassung, so das Gericht. 

Entschieden hat der Senat auch, dass EY zunächst einmal nicht aus dem Musterverfahren ausscheidet und dass mehrere weitere Feststellungsziele aus dem Vorlagebeschluss des LG zu unbestimmt sind oder es an der Tauglichkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a. F. fehlt.

Ansprüche gegen EY in anderen Verfahren sind damit nicht ausgeschlossen. Für das laufende KapMuG-Verfahren bleiben unter anderem noch der ehemalige Wirecard-CEO Dr. Markus Braun, dessen Vermögensverwaltungsgesellschaft und die Wirecard AG selbst. Bei diesen Adressaten wird aber voraussichtlich nichts zu holen sein.

Gegen die (Teil-)Entscheidung können auch noch Rechtsmittel, in diesem Fall zum Bundesgerichtshof, eingelegt werden. Klägervertreter Peter Mattil hat das schon angekündigt. *Die Kanzlei TILP, die den Vorlagebeschluss des LG erwirkt hatte, sieht “aktuell sehr gute Ansatzpunkte für die Rechtsbeschwerde”. Die heutige Entscheidung stehe im Widerspruch zu Entscheidungen des OLG München und OLG Stuttgart, die beide den Anwendungsbereich des KapMuG bejaht hätten, heißt es in einer Mitteilung.

*Dr. Laurent Lafleur, Richter, Pressesprecher und Leiter der Pressestelle am OLG München verwies gegenüber LTO darauf, dass neben den Feststellungszielen aus dem Vorlagebeschluss, die heute in weiten Teilen für unzulässig erklärt wurden, noch über 2.000 weitere Feststellungsziele im Raum stehen, über deren Zulässigkeit der Senat zu entscheiden haben werde.

[*Anmerkung der Redaktion: Die O-Töne wurden nachträglich ergänzt.]

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Erste Entscheidung im KapMuG-Verfahren: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56703 (abgerufen am: 20.05.2025 )

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