Eine Prozesspartei spielt den Medien Schriftsätze aus dem Verfahren zu. Die Gegenseite hält das für geschäftsschädigend und klagt auf Schadensersatz. Ob diese Art der Litigation-PR zulässig ist, erörtern Oliver Löffel und Armin Sieber.
Gerichtsverhandlungen müssen öffentlich sein! Das gehört in Deutschland zu den grundlegenden Maximen der demokratischen Rechtspflege. Das Kontrollrecht der Öffentlichkeit ist im Gerichtsverfassungsgesetz (§169 GVG) und sogar in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 Abs. 1) verankert.
Wie viel Öffentlichkeit kann man aber einem Prozess tatsächlich zumuten? Über diese Frage gehen die Meinungen auseinander. In dem Zusammenhang wird unter anderem auch die Frage gestellt, ob die Parteien Verfahrensunterlagen gezielt an Medien weitergeben dürfen. Das ist nicht unüblich. Aber widerspricht diese Praxis geltenden Regeln? Hat die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf, anhand von objektiven Dokumenten zu erfahren, worüber vor Gericht gestritten wird?
Bird & Bird klagt wegen Weitergabe der Klageschrift
Nach einem Bericht des Branchendienstes Juve ist die Anwaltskanzlei Bird & Bird wegen angeblicher Pflichtverletzung bei der Beratung des Fondshauses Wölbern mit einer Schadensersatzklage in Millionenhöhe konfrontiert. Wie Juve am 18. März 2016 berichtete, macht die Anwaltskanzlei im Rahmen einer Widerklage nun selbst einen Schadensersatzanspruch in Millionenhöhe geltend. Bird & Bird greift darin die Kläger - verschiedene Fonds sowie einen Insolvenzverwalter - an, weil aus diesem Kreis die Klageschrift und weitere Schriftsätze an wichtige Wirtschafts- und Fachmedien weitergegeben worden seien.
Die Presse hätte in ihrer Berichterstattung falsche Behauptungen aus diesen Schriftsätzen aufgenommen und veröffentlicht. Dadurch sei Bird & Bird ein substanzieller Schaden entstanden. Unter anderem, so berichtet Juve weiter, seien Bird & Bird "durch üble Nachrede Mandate entgangen".
Die rechtliche Sicht
Ist die Weitergabe von Verfahrensdokumenten im Rahmen der Litigation-PR also nicht rechtmäßig? Eine pauschale Antwort ist schwierig. Für den Strafprozess ist ausdrücklich geregelt, dass bestimmte Verfahrensdokumente eines Strafverfahrens nicht veröffentlicht werden dürfen, bevor sie in öffentlicher Hauptverhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen worden ist (§ 353d Nr. 3 StGB).
Außerhalb des Anwendungsbereichs können Dokumente und Informationen zu einem Strafverfahren durchaus veröffentlicht werden, wie die umfangreiche Dokumentation des Strafverteidigers Gerhard Strate auf seiner Internetseite zum Fall Mollath anschaulich zeigt.
"Öffentlichkeitsarbeit" ist erlaubt…
Auch im Zivilprozess ist es grundsätzlich das gute Recht jeder Partei, im Rahmen eines Prozesses Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und hierzu Informationen aus dem Prozess etwa an die Presse weiterzugeben.
Ohnehin ist im Zivilprozess – wie es das OLG Frankfurt/Main einmal ausgedrückt hat – "eine wirkliche Geheimhaltung im Bereich der gewöhnlichen Prozesse so gut wie ausgeschlossen (...), weil die hier grundsätzlich gesetzlich garantierte Öffentlichkeit des Verfahrens jedermann in die Lage versetzt, sich von den wesentlichen Bestandteilen eines Prozesses Kenntnis zu verschaffen" (20 VA 5/07). Kurzum: An sich ist der gesamte Prozessvortrag der Parteien so oder so öffentlich.
…doch es gibt Ausnahmen
Es gibt allerdings Umstände, die es den Parteien verbieten, Prozessunterlagen und Informationen zum Verfahren, insbesondere solche die noch nicht Gegenstand einer öffentlichen Gerichtsverhandlung waren, an Dritte weiterzugeben.
Eine Grenze kann das Urheberrecht sein. So darf ein Kläger nicht ohne weiteres einen urheberrechtlich geschützten Schriftsatz der Anwälte des Beklagten veröffentlichen. Denn Anwaltsschriftsätze können urheberrechtlich geschützt sein, wenn sie das Alltägliche, das Handwerksmäßige, deutlich überragen (BGH, I ZR 213/83).
Auch die Veröffentlichung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB), die noch nicht Gegenstand einer öffentlichen Gerichtsverhandlung waren, oder die Weitergabe von Know-how bzw. Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen im Rahmen von Prozessunterlagen kann unzulässig sein (§ 17 UWG). Der Geheimhaltungsschutz kann im Einzelfall Vorrang vor den Interessen Dritter und der Öffentlichkeit haben: Dritte dürfen die Prozessakten nur dann einsehen, wenn die Parteien zustimmen oder wenn die Dritten ein rechtliches Interesse an der Einsicht darlegen können (§ 299 II ZPO).
Weitergabe von Verfahrensunterlagen kann geschäftsschädigend sein
Das Gericht kann beschließen, dass ein Zivilprozess nicht öffentlich geführt wird und die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausschließen, z.B. wenn ein wichtiges Geschäftsgeheimnis zur Sprache kommt, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden (§ 172 Nr. 3 GVG). Darüber hinaus kann ein Gericht sogar die Geheimhaltung anordnen, damit die in einer öffentlichen Verhandlungen anwesenden Personen Tatsachen nach der Verhandlung nicht ausplaudern (§ 174 III GVG).
Praxisrelevante Grenzen für die Weitergabe von Verfahrensunterlagen sind sodann Persönlichkeitsrechte, z.B. Unternehmenspersönlichkeitsrechte, die durch die Veröffentlichung einer Klageschrift verletzt werden können. Wenn absehbar ist, dass die Presse Tatsachen aufgrund der in einem Schriftsatz enthaltenen unsachlichen, falschen oder missverständlichen Behauptungen in der Öffentlichkeit verfälscht oder aus dem Zusammenhang gerissen darstellt, kann die Weitergabe solcher Verfahrensunterlagen an Dritte für die betroffene Prozesspartei geschäftsschädigend sein.
2/2 Prozessrechtsverhältnis ist Schuldverhältnis
Drohen einer Prozesspartei dadurch wirtschaftlich erhebliche Nachteile, kann die andere Prozesspartei verpflichtet sein, mit parteibezogenen Tatsachen und Wertungen bei der Öffentlichkeitsarbeit zurückhaltend umzugehen. Denn das Prozessrechtsverhältnis zwischen den Prozessparteien ist ein Schuldverhältnis (BGH, I ZR 30/08).
Aus diesem Schuldverhältnis resultieren wechselseitige Schutzpflichten der Prozessparteien, insbesondere bei Prozesshandlungen. Ob das Prozessrechtsverhältnis aufgrund dieser Schutzpflichten im Einzelfall auch zur Zurückhaltung bei der Öffentlichkeitsarbeit im Umgang mit parteibezogenen Tatsachen und Wertungen verpflichtet, ist – soweit ersichtlich – höchstrichterlich zwar nicht entschieden. Unabhängig davon kann aber jedenfalls in Wirtschaftsprozessen die Weitergabe oder Veröffentlichung von Schriftsätzen, welche unwahre Tatsachen enthalten, rechtswidrig sein, insbesondere wenn die Reputation des Prozessgegners dadurch geschädigt wird.
Klageschriften sind nicht immer objektiv
Denn Klageschriften und einzelne Schriftsätze der Streitparteien sind nicht immer objektive Darstellungen des Sachverhalts. Durch ihren oft hohen (rechts-) technischen Hintergrund, durch prozesstaktische Erwägungen und rechtliche Wertungen geben die Klageschrift oder die Klageerwiderung für sich gesehen oft eine einseitige Sicht auf den Fall wieder.
Wer nicht das ganze Bild, sondern nur einen Ausschnitt kennt, kann durchaus zu unrichtigen Schlüssen über die Streitfrage kommen. So gesehen kann die unkommentierte Weitergabe von Prozessdokumenten aus dem Kontext heraus durchaus sinnentstellend sein.
Wenn damit eine Seite billigend in Kauf nimmt, dass die wirtschaftliche Wertschätzung der anderen Partei durch Verbreitung unwahrer oder missverständlicher Behauptungen geschädigt wird, muss sie damit rechnen, dass der Prozessgegner sie erfolgreich auf Schadenersatz in Anspruch nimmt.
Im Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Reputationsschutz
Sollten daher Klageschriften und prozessrelevante Schriftsätze vorsichtshalber grundsätzlich nicht an die Medien weiter gegeben werden? Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten, denn von Prozessen betroffene Unternehmen und Manager haben auch ein Interesse daran, den eigenen guten Ruf zu schützen. Negative Berichterstattung im Verlauf des Prozesses bedroht die Reputation des Unternehmens und kann für die Betroffenen manchmal gefährlicher sein als der eigentliche Rechtsstreit selbst.
Für die Prozessparteien entsteht daher ein wachsender Kommunikationsbedarf, denn den Vertretern von Medien und Öffentlichkeit fehlt es oftmals an Ausbildung, Zeit und Infrastruktur, um sich mit den immer komplexer werdenden Prozessfragen auseinander zu setzen. Professionelle Gerichtsreporter, die es früher bei jeder Regionalzeitung gab, wurden wegrationalisiert. Darauf müssen sich Gerichte, Staatsanwaltschaft und die Streitparteien einstellen.
Transparenz schaffen, Komplexität verringern
Um diesen wachsenden Anforderungen gerecht zu werden, ist in den letzten Jahren von Kommunikationsprofis und Anwälten unter dem Schlagwort Litigation-PR ein Methodenarsenal entwickelt worden, mit dem sie Mandanten in Krisensituationen und bei gerichtlichen Auseinandersetzungen beraten wollen.
Dabei geht es vor allem darum, Reputationsschäden von den Mandanten fernzuhalten und den Einfluss einer möglicherweise überhitzten öffentlichen Diskussion auf den Prozessverlauf zu verringern oder in eine bestimmte Richtung zu lenken. Auch außergerichtliche Einigungen können durch den nötigen medialen oder politischen Rückenwind vorbereitet und ermöglicht werden.
Das entsteht allerdings sicher nicht durch das unkommentierte Verschicken von Schriftsätzen an die Medien, sondern durch sachgerechte begleitende Erläuterung. Denn Litigation-PR will vor allem Transparenz schaffen, indem komplexe juristische Zusammenhänge einfacher, übersichtlicher und verständlicher gemacht werden. Von der korrekten "Übersetzung" durch die Litigation-PR-Experten hängt oftmals ab, ob ein Fall in den Medien im Sinne des Unternehmens gesteuert werden kann oder nicht.
Einzelfallentscheidung, rechtlich und taktisch
Die Frage, ob man Klageschriften oder andere Schriftsätze an die Medien weitergeben darf, ist damit sowohl rechtlich als auch taktisch immer eine Einzelfallentscheidung. Oft erhöht sich für die Journalisten die Glaubwürdigkeit einer Prozesspartei, wenn sie mehr Transparenz durch die Einsicht von Originalquellen zulässt.
Solche Dokumente sollte man allerdings stets in den Gesamtkontext stellen und zutreffend erläutern. Unternehmensbilanzen oder beispielsweise Analysetabellen aus Teilchenbeschleunigern gibt schließlich auch niemand unkommentiert an die Medien weiter. Anwälte und PR-Profis müssen gemeinsam entscheiden, ob ein Dokument missverständlich sein kann, ob es aus dem Zusammenhang gerissen Fehleinschätzungen Vorschub leistet oder ob es dazu beiträgt, gerechtfertigte Positionen besser zu verstehen und damit mehr Transparenz in der Öffentlichkeit zu schaffen. Das gilt nicht nur für den Rechtsstreit um die Wölbern-Fonds sondern grundsätzlich.
Oliver Löffel ist Partner bei der Kanzlei Löffel Abrar in Düsseldorf und auf Prozessführung und Gewerblichen Rechtsschutz spezialisiert.
Armin Sieber ist Gründer und Geschäftsführer der PR-Agentur Sieber Advisors, die unter anderem in den Bereichen Krisen- und Litigation-PR tätig ist.
Oliver Löffel, Weitergabe von Verfahrensunterlagen: Wie öffentlich darf ein Gerichtsprozess werden? . In: Legal Tribune Online, 15.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19103/ (abgerufen am: 08.06.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag