Volkswagen wehrt sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtlich angeordnete Sonderprüfung, die den Abgasskandal weiter aufklären soll. Im einstweiligen Rechtsschutz hat der Konzern aber eine Schlappe kassiert.
Volkswagen (VW) wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Sonderprüfung, die das Oberlandesgericht (OLG) Celle im November angeordnet hatte. Eine erste Niederlage musste der Autokonzern jedoch schon hinnehmen: Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die verhindern sollte, dass der Sonderprüfer tätig wird, bevor über die Verfassungsbeschwerde entschieden wird, hat das BVerfG bereits vor Weihnachten als unzulässig abgelehnt (Beschl. v. 20.12.2017; Az. 1 BvR 2754/17). VW habe nicht substantiiert dargelegt, dass dem Unternehmen für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht erlassen werde, ein schwerer Nachteil drohe, heißt es in dem Beschluss.
VW-Aktionäre hatten lange Zeit erfolglos versucht, einen unabhängigen Sonderprüfer durchzusetzen, der die Geschehnisse rund um den Abgasskandal, die nach wie vor weitgehend im Dunkeln liegen, aufklärt. Umstritten ist vor allem die Frage, ob Vorstand und Aufsichtsrat bei Volkswagen in Verbindung mit den Software-Manipulationen rechtliche Pflichten verletzt und der Gesellschaft einen Schaden zugefügt haben.
Der Autobauer selbst ließ die Vorgänge intern von der US-Kanzlei Jones Day untersuchen und argumentierte unter anderem, eine zusätzliche Sonderprüfung sei deshalb nicht nötig. Die Aktionäre verfolgten ihren Antrag jedoch gerichtlich weiter und unterlagen zunächst vor dem Landgericht Hannover.
Grundrecht der Berufsfreiheit verletzt?
Das Oberlandesgericht (OLG) Celle gab den Aktionären in der zweiten Instanz Recht und ordnete die Sonderprüfung an (Beschl. v. 08.11.2017, Az. 9 W 86/17). Die dagegen gerichtete Anhörungsrüge und Gegenvorstellung von VW wies das OLG Celle mit Beschluss vom 23. November 2017 zurück. Nun folgte die Verfassungsbeschwerde, mit der sich VW gegen die Anordnung der Sonderprüfung und die Zurückweisung ihrer Anhörungsrüge wendet.
Der Autobauer sieht sich durch die Anordnung der Sonderprüfung in seinen Grundrechten verletzt, insbesondere habe das OLG Celle das Grundrecht auf Berufsfreiheit nicht ausreichend berücksichtigt, als es die Verhältnismäßigkeit der Sonderprüfung abgewogen habe.
Die Verfassungsbeschwerde sei zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, so die 4. Kammer des Ersten Senats. Die beim BVerfG recht hohen Hürden für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Konzern aber nicht genommen, der Sonderprüfer darf also seine Arbeit erst einmal aufnehmen. Die Gefahren, die VW ins Feld führte, hält das BVerfG in Teilen nur für Vermutungen, in Teilen für "allgemeines Lebensrisiko".
2/2: VW: Sonderprüfung führt zu hohen Prozessrisiken
VW hatte argumentiert, dass eine Sonderprüfung Prozessrisiken in außerordentlicher Höhe auslöse, weil Kläger auf Informationen aus einem möglichen späteren Prüfungsbericht spekulierten und deshalb – solange die Sonderprüfung andauert – nur zu Vergleichen bereit seien, die nicht vorteilhaft für VW wären. Auch könnten weitere Anleger Klage erheben.
Zudem würden Dokumente, die dem angelsächsischen "Legal privilege" unterfallen und dem Sonderprüfer zur Verfügung gestellt werden müssen, diesen Schutz "potenziell" verlieren. Sie müssten somit im Rahmen des amerikanischen Beweisverfahrens offengelegt werden. Auch dadurch drohen VW nach eigener Einschätzung Risiken und Verschlechterungen in laufenden, nicht nur auf die Dieselthematik bezogenen Klageverfahren in Milliardenhöhe.
Darüber hinaus würde die Sonderprüfung erhebliche Kosten und andere Belastungen verursachen, etwa weil sie personelle Ressourcen bindet. Auch bestehe die Gefahr, dass der Sonderprüfer bei der Auswertung interner Daten von Mitarbeitern, etwa E-Mails, private und intime Inhalte einsehen könnte.
BVerfG: Vermutungen, allgemeines Lebensrisiko, nicht eilig
Das BVerfG sieht in diesen Argumenten aber keinen hinreichend schweren Nachteil für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht erlassen würde, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte. Ein solcher wäre aber Voraussetzung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung.
Es sei eine reine Vermutung, dass die Sonderprüfung zu weiteren Klagen führe, zumal der Autokonzern die finanziellen und sonstigen Auswirkungen entsprechender Klageerhebungen nicht konkret dargelegt habe. "Abgesehen davon handelt es sich bei dem Risiko, mit unberechtigten Klagen konfrontiert zu werden, um ein hinzunehmendes allgemeines Lebensrisiko", schreiben die Richter in dem Beschluss. VW habe auch nicht überzeugend erläutert, warum die befürchteten Kosten eine "erhebliche Beeinträchtigung" für den Konzern darstellten.
Die Richter verwiesen darauf, dass sich auch Vorteile durch die Sonderprüfung ergeben können, etwa in Form von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat oder Versicherungen. Dies würde - falls Pflichtverletzungen nachgewiesen würden – die Nachteile kompensieren. Zudem könnten dem Sonderprüfer die bisherigen internen Prüfergebnisse zur Verfügung gestellt werden, was die Kosten und Belastungen reduzieren würde.
Selbst wenn VW schwere Nachteile entstünden, sei eine sofortige Entscheidung nicht erforderlich. Erst wenn der Bericht des Sonderprüfers vorliege – was Monate oder Jahre dauern könne -, sei klar, ob sich tatsächlich Nachteile für VW ergeben, so die Verfassungsrichter. Dann könnte VW die Veröffentlichung des Prüfungsberichts durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung immer noch verhindern.
Anja Hall, Niederlage für VW im Dieselskandal: Unabhängiger Sonderprüfer darf erst mal ermitteln . In: Legal Tribune Online, 29.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26231/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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