Vertrieb im Rechtsmarkt: "Die Hürden des Kunden besei­tigen"

Interview von Dr. Anja Hall

21.12.2020

Daniel Lafrentz ist Vertriebschef eines Legal-Tech-Unternehmens. Was das Verkaufen im Rechtsmarkt von anderen Branchen unterscheidet und welche Tipps er für Gründer hat, die ihre Dienstleistung vermarkten wollen, sagt er im Interview.

LTO: Herr Lafrentz, wir wollen über Vertrieb im Rechtsmarkt sprechen. Meinen Sie damit das, was Anwältinnen und Anwälte typischerweise unter Akquise verstehen?

Daniel Lafrentz: Nein, Vertrieb geht über die klassische Akquise hinaus. Alles, was nach der Ansprache des Neukunden kommt, fällt unter den Begriff Vertrieb: Nicht nur der Vertrag, sondern auch die Einführung des "Produkts" - sei es eine Software oder eine Rechtsberatung. Als Vertriebler nehme ich auch eine beratende Rolle ein, gerade bei der Anbahnung des Geschäfts.

Daniel LafrentzDabei muss ich die Hürden vorhersehen, die der Kunde haben könnte, und auch überlegen, welche Dienstleistung für ihn wirklich Sinn macht. So kann es im Fall eines Software-Produkts sinnvoll sein, sich auf bestimmte Funktionen zu beschränken. Ähnlich ist es auch bei der klassischen Rechtsberatung: Hier benötigt die Rechtsabteilung vielleicht gar keine Rundumberatung, sondern nur Expertise in einem Rechtsgebiet.

Großer Vorteil: Direkter Zugang zu den Rechtsabteilungen

Sie waren schon in anderen Branchen tätig. Was macht Vertrieb im Rechtsmarkt so besonders?

Ich rede in der Regel zuvorderst mit Juristen - und das ist ein großer Unterschied zum Vertrieb in Bereichen außerhalb des Rechtsmarkts. Dort agiert üblicherweise der Einkauf als erster Ansprechpartner für den Vertrieb, begleitet von den Fachabteilungen. Der direkte Zugang zu den Rechtsabteilungen kann ein großer Vorteil sein, denn sie können oft autonom über ihre Budgets entscheiden – noch! Zunächst ist der Einkauf also meist nicht beteiligt, später sitzt er natürlich meistens mit am Verhandlungstisch.

Hinzu kommt: Vertriebsdenken im Rechtsmarkt ist noch unterrepräsentiert. In einer Kanzlei binden die Partner ihre Mandate an sich. Vertrieb wird eher als etwas gesehen, "das man nicht nötig hat". Außerhalb des Rechtsmarkts haben die Sales-Leute dagegen zumindest im Business-to-Business-Bereich meist die Flughoheit. Das ist ein völlig anderer Grad an Professionalisierung als im Rechtsmarkt.

"Der Einkauf wird stärker eingreifen"

Denken Sie, dass sich der Vertrieb im Rechtsmarkt ebenso professionalisieren wird?

Nun, da ist noch ein sehr breiter Graben, den es zu überwinden gilt. Aber wenn wir die Kundenseite betrachten, also die Rechtsabteilungen, dann ist absehbar, dass sich die Auswahlprozesse ändern werden. Sie werden sich früher oder später, wie andere Fachabteilungen auch, den normalen Beschaffungsprozessen des Unternehmens unterwerfen müssen. Wie lange also wird die budgetäre Flughöhe der General Counsel wohl noch bestehen?

Es ist absehbar, dass der Einkauf stärker eingreifen wird, wie er es auch in anderen Abteilungen schon tut. Wenn beispielsweise das Marketing eine neue Kampagne plant und eine Agentur beauftragen will, dann ist ihr erster Ansprechpartner im Unternehmen der Einkauf. Dort heißt es dann zum Beispiel, dass dafür eine von fünf Partneragenturen ausgewählt werden darf. Will das Marketing nun eine andere Agentur beauftragen, ist das nicht unmöglich. Aber das muss sehr ausführlich und gut begründet werden.

Natürlich kann man eine solche Situation nicht 1:1 auf die Mandatierung von Kanzleien übertragen, denn hier ist das geschäftliche Risiko einer Schlechtauswahl erheblich höher als im Marketing. Wenn eine Werbekampagne nicht funktioniert, ist das ärgerlich, aber längst nicht so dramatisch, wie wenn das Unternehmen juristisch falsch beraten wird. Trotzdem wird das die Richtung sein, in die sich auch Rechtsabteilungen bewegen.

Sollte also jede Kanzlei künftig einen Vertriebschef haben?

Das klingt im ersten Moment so weit entfernt wie eine Mondlandung. Aber wenn ich mir überlege, was sich im Rechtsmarkt in den vergangenen Jahren alles verändert hat, halte ich es durchaus für denkbar, dass es in fünf bis zehn Jahren in großen Kanzleien eine solche Funktion geben wird.

Die nächste Frage ist, ob das immer Anwälte sein müssen. Mit Blick auf typische Vertriebskarrieren eigentlich nicht. Allerdings sind Kanzleien noch sehr skeptisch, was Diversität in der Ausbildung angeht. Gerade in Deutschland bleibt man gerne unter sich. In großen Unternehmensberatungen ist das völlig anders, die stellen Menschen der verschiedensten Fachrichtungen ein.

Und was dabei oft vergessen wird: in den meisten Unternehmen wird der Vertrieb mit am höchsten vergütet. Diese Anpassung müssen Kanzleien natürlich auch vornehmen, um ein tragfähiges Modell zu entwickeln.

Kunden- statt Produktzentrierung

Für Neugründungen – sei es Kanzlei oder Legal-Tech-Start-up – ist es wichtig, Geschäft zu generieren. Was könnten sie von Vertriebsprofis lernen?

Typisch für Neugründungen ist eine ausgeprägte Produktzentrierung. Das Team ist stolz auf die Qualität seiner Rechtsberatung oder auf das Produkt, das es entwickelt hat. Darum geht es aber im Vertrieb nicht. Es geht um den Mehrwert, den der Kunde hat. Ich kann einem potenziellen Kunden beispielsweise ausführlich erklären, warum meine Kanzlei oder mein Produkt so besonders ist. Oder ich kann sagen: "Ein anderer Kunde hat so und so viel Zeit mit meiner Lösung eingespart." Das ist kundenzentriert und nicht produktzentriert gedacht.

Außerdem liegt es in meiner Verantwortung als Vertriebler, die Hürden meines Kunden zu beseitigen, die einer Auftragsvergabe entgegenstehen. Bei der Einführung einer Software beispielsweise ist das zunächst einmal eine Veränderung, die organisatorisch gestemmt werden muss. Oft spielen auch Budgetfragen, Berechnungen des "Return on Investment (ROI)" und interne Genehmigungsprozesse eine wichtige Rolle. Hier liegt es in meiner Verantwortung, einen Business Case zu erstellen und dem Kunden vorzurechnen, was er sparen kann. Und es gibt auch subjektive Hürden, die nicht zu unterschätzen sind.

Widerstände erahnen und ansprechen

Was meinen Sie damit?

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Rechtsabteilungsleiter ist bestrebt, etwas Neues auszuprobieren und bestimmte Funktionen und Arbeiten in der Rechtsabteilung automatisieren zu lassen oder an einen Dienstleister auszulagern. Objektiv betrachtet ist das eine gute Sache: Die Mitarbeitenden werden von Standardaufgaben befreit, sie müssten sich eigentlich freuen.

Aber manche Teammitglieder wehren sich womöglich dagegen, weil ihnen Arbeit vom Schreibtisch genommen wird und sie das als Bedrohung empfinden. Als Vertriebler muss ich solche Hürden erahnen und adressieren. Lösen kann ich sie nicht, das ist Aufgabe des Kunden. Aber ich kann ihn darauf aufmerksam machen und ihm helfen, sie zu lösen

Haben Sie noch einen dritten Tipp?

Ja, und der ist ganz simpel: Versprechen muss man einhalten. Wenn ich sage, ich melde mich in zwei Tagen zurück, dann muss ich das auch tun. Wenn ich sage, das Produkt oder meine Dienstleistung kostet diese und jene Summe, dann darf es nicht teurer werden.

Es kommt übrigens oft sehr gut an, wenn ich auch einmal sage, was nicht geht. Meine Kunden haben ein sehr genaues Gespür dafür, wenn ihnen etwas vorgemacht wird. Sie reagieren allergisch, wenn ein "shiny Vertriebler" ihnen das Blaue vom Himmel verspricht.

Das sind natürlich Tipps, die trivial klingen. Aber es kommt entscheidend darauf an, sie auch wirklich umzusetzen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lafrentz!

Daniel Lafrentz leitet den Vertrieb bei dem Legal-Tech-Unternehmen Bryter. Zuvor war er u.a. Sales Director bei Axiom, einem Anbieter von juristischen Dienstleistungen.

Zitiervorschlag

Vertrieb im Rechtsmarkt: "Die Hürden des Kunden beseitigen" . In: Legal Tribune Online, 21.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43800/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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