Die Türkei ist nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Wirtschaftskanzleien ein attraktiver Markt. Allerdings ist es nicht leicht, dort Fuß zu fassen. Henning Zander über drei Kanzleien, denen es gelungen ist.
Die Türkei ist für viele Deutsche, die dort arbeiten, zuerst eines: Eine Überraschung. "Wer in die Türkei geht, wird feststellen, dass viele seiner Vorstellungen, von der Art wie gelebt und gearbeitet wird, nicht stimmen, und er sie neu formulieren muss", sagt Dr. Frauke Bemberg, Rechtsanwältin und Mitglied des Turkish Desk bei CMS. Zum Beispiel die große Bedeutung von Frauen im dortigen Rechts- und Wirtschaftsleben, die sich so gar nicht mit dem Klischee einer muslimisch geprägten, patriarchalen Gesellschaft verträgt. "Als ich nach Istanbul ging, war ich überrascht, wie viele Frauen in Führungspositionen arbeiten."
Die türkische Gesellschaft ist jung und gut ausgebildet. Zwar hat sich die wirtschaftliche Situation zuletzt eingetrübt: Die Lira hat an Wert verloren und das Wirtschaftswachstum ist gedämpft. Zudem sind Konflikte mit der kurdischen Bevölkerung wieder aufgebrochen – und auf der anderen Seite der Grenze herrscht Krieg. Der Bürgerkrieg in Syrien, und der Krieg gegen die Truppen des IS. Dennoch: Die Türkei hat enormes Potenzial: Als Brückenkopf in die arabische Welt und als Wirtschaftsstandort leistungsfähiger Industrien.
Frauke Bemberg hat die Boomjahre zwischen 2005 und 2010, damals noch als Mitarbeiterin einer anderen Kanzlei, in Istanbul verbracht und dort gearbeitet. Inzwischen ist sie von München aus im Türkei-Geschäft von CMS aktiv. "Wir sehen, dass trotz der politischen Unwägbarkeiten nach wie vor noch viele Unternehmen aus Deutschland den Markteintritt in die Türkei suchen", sagt Dr. Dirk Jannott, Partner bei CMS und verantwortlich für den Turkish Desk der Kanzlei in Deutschland.
Seit 2013 hat CMS ein eigenes Büro in Istanbul. Von hier aus berät sie zu internationalen Rechtsfragen. Insbesondere in den Branchen Energie, Gesundheitswesen und Automobilindustrie herrsche eine große Dynamik, sagt Jannott. Eine Privatisierungswelle vor rund drei Jahren hat ebenfalls Bewegung in den Markt gebracht.
Riesige Infrastrukturprojekte sorgen für Beratungsbedarf
Die türkische Regierung setzt weiterhin auf wirtschaftliches Wachstum. Viele Projekte fokussieren sich auf den Jahrestag des 100jährigen Bestehens der Republik im Jahr 2023. Eine dritte Bosporusbrücke, die noch in diesem Jahr fertiggestellt werden soll, der neue Flughafen Istanbul, der einmal der größte Flughafen der Welt werden und jährlich 150 Millionen Passagiere abfertigen soll. Und das gigantische Projekt eines Kanals parallel zum Bosporus.
Es sind Vorhaben, mit denen Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Aufstieg unter die Top 10 der Wirtschaftsnationen schaffen will. Und die gegen die derzeitige Eintrübung der Konjunktur wirken sollen.
"Der Markt hat sich lange Zeit sehr gut entwickelt. Jetzt haben wir es gerade mit einer gewissen Delle zu tun", sagt Dr. Timo Engelhardt von Linklaters, Partner und Co-Head des Turkey Desk. "Für eine Wirtschaftskanzlei wie unsere ist der Markt noch sehr volatil." Linklaters legt beim Türkei-Geschäft den Schwerpunkt auf Cross-Border-M&A und Finanzierungen. Im Vergleich zu Deutschland sei der Markt nach wie vor unverhältnismäßig viel kleiner, sagt Engelhardt.
Damit habe sich von Anfang an die strategische Frage gestellt: Ist ein eigenes Büro und eine eigene Mannschaft vor Ort sinnvoll, oder geht es viel eher um ein Projektgeschäft, bei dem von Fall zu Fall die Unterstützung von lokalen Partnerkanzleien eingeholt wird, bei deren Auswahl man individuelle Stärken berücksichtigen kann. Linklaters hat sich für den zweiten Weg entschieden.
Ein guter Zeitpunkt zum Investieren
Die Aussichten betrachtet Engelhardt positiv. "Da die Lira kräftig abgewertet wurde, sehen wir gerade einen guten Zeitpunkt zum Investieren. Denn die Rahmendaten sind sehr gut." Der Vorteil der Türkei sei die zentralistische Struktur, meint der Rechtsanwalt. "Istanbul ist das wirtschaftliche Herz. Hier trifft man die wichtigen Anwälte und General Counsel der großen Firmen." Hinzu komme die geographische und kulturelle Brückenfunktion der Türkei.
Die persönliche Vertrauensbeziehung sei in der Türkei sehr wichtig. Es dauere lange, diese Beziehung aufzubauen, sagt Engelhardt. "Mit türkischen Partnern muss man einen langen Atem haben. Aber dann ist diese Beziehung auch sehr stark." Man müsse viel Zeit investieren, regelmäßig vor Ort sein, um dieses Vertrauen herzustellen. Eine viel größere Bedeutung haben zudem mündliche Vereinbarungen. Manche Beziehungen seien nachhaltig beeinträchtigt worden, weil auf eine Verschriftlichung beharrt wurde. "Unseren Mandanten bereitet das verständlicherweise zuweilen ein gewisses Unbehagen", sagt Engelhardt.
Die Justiz hat sich ihre Unabhängigkeit bewahrt
Für ausländische Kanzleien ist es nicht leicht, in der Türkei Fuß zu fassen. Zum türkischen Recht dürfen nur türkische Kanzleien beraten. Die Lösung sind mehr oder weniger enge Kooperationen. "Meine Kanzlei hat den traditionellen Weg gewählt, ein Beratungsunternehmen zu gründen und deren Räumlichkeiten einer türkischen Kanzlei zur Verfügung zu stellen", sagt Prof. Dr. Christian Rumpf, Inhaber der Kanzlei RRLex Rumpf Rechtsanwälte. "Im Kern ist die Absprache, dass von uns in Deutschland akquirierte Mandate von der türkischen Kanzlei in enger Absprache mit uns bearbeitet werden."
Seine Kanzlei hat sich auf die heiklen Fälle spezialisiert: Schadensersatzprozesse, Fälle im türkischen Arbeitsrecht. Aber auch Firmengründungen vor Ort oder Unternehmenskäufe und Verkäufe gehören dazu. Rumpf hat schon in seiner Jugend viele Jahre in der Türkei verbracht. Da lag es nahe, sich später auf das türkische Recht zu spezialisieren. Seit 1989 betreut er Mandanten bei Fragen zum türkischen Recht. Dabei hat er immer wieder auch Änderungen der politischen Rahmenbedingungen erlebt.
"Grundsätzlich kann man sagen, dass die Verlässlichkeit der Justiz in den vergangenen Jahren zugenommen hat", sagt er. Auch die Einflussnahme durch den früheren Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, etwa durch die Umbesetzung großer Teile der Justiz, habe daran nichts geändert. "Die Richter haben sich ihre Unabhängigkeit bewahrt. Urteile sind in sich konsequent."
Modernes Rechtswesen mit europäischen Zügen
Defizite hingegen könne man bei der Verfahrensdauer sehen. Aber auch eine weitere Praxis kritisiert Rumpf: "Als schlimm kann man aus deutscher Sicht auch die durch den Kassationshof überwiegend abgesegnete Praxis bezeichnen, sich die Entscheidung durch Gutachten vorbereiten zu lassen." Dies habe einen unnötigen Zeitverlust und unnötige Kosten für Dinge zur Folge, die in Deutschland das Gericht aus eigener Sach- und Rechtskenntnis beurteile und entscheide.
Seit der Republikgründung hat die Türkei die Nähe zu Europa gesucht. Dies wird auch in der Gesetzgebung deutlich. Viele europäische, aber auch deutsche Normen wurden in türkisches Recht übernommen. Gleichzeitig gibt es viele Einflüsse durch den arabischen Raum. Die Krisen dort überschatten allerdings derzeit die wirtschaftlichen Erfolge der Türkei in den vergangenen Jahren. Viele Unternehmen setzen darauf, dass sich eines Tages die Lage wieder entspannen wird. Und mit ihnen natürlich auch Kanzleien aus Deutschland, die sie bei ihren Aktivitäten beraten wollen.
Henning Zander, Rechtsmarkt Türkei: Das schmale Tor zum Nahen Osten . In: Legal Tribune Online, 09.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16823/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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