Eine Studie der International Bar Association stellte fest, dass Mobbing ein massives Problem in der juristischen Arbeitswelt ist. Coach Carmen Schön erklärt, was Betroffene tun können und warum es sich lohnt, sich zu wehren.
LTO: Laut einer Studie der International Bar Association hat die Anwaltschaft ein ernsthaftes Mobbing-Problem: Fast die Hälfte der rund 7.000 Befragten gab an, im Laufe des Berufslebens schon einmal gemobbt worden zu sein. Mobben Juristen besonders gerne?
Carmen Schön: Wir sollten zunächst definieren, was Mobbing eigentlich ist. Grundsätzlich: Es ist keine einmalige Aktion, sondern kommt wiederholt und regelmäßig vor. Im Berufsleben werden Mitarbeitende oft durch Vorgesetzte oder Ranghöhere gemobbt, aber Mobbing gibt es durchaus auch unter Kollegen. Typisch ist etwa, wenn die Arbeit ständig kritisiert wird, oder man zu viel, zu wenig oder sinnlose Aufgaben zugewiesen bekommt. Insgesamt ist Mobbing ein immer wiederkehrendes Verhalten, das dem Betroffenen nicht guttut.
Das klingt so, als wäre Mobbing vor allem subjektives Erleben und kaum objektiv messbar.
Der Begriff Mobbing ist fast schon überstrapaziert und viele Menschen fühlen sich sofort gemobbt, wenn an ihrer Arbeit etwas ausgesetzt wird. Aber Kritik, die ungeschickt vorgebracht wurde, ist noch kein systematisches Mobbing.
Andererseits kommt es in der Tat immer auf den Betrachtungswinkel des Empfängers an und wie empfindsam er ist. Während dem einen Associate die Kritik gar nichts ausmacht, kann der andere am Boden zerstört sein. Allerdings sollte man sich Sprüche wie "Stell' dich nicht so an!" sparen und das Empfinden desjenigen, der sich gemobbt fühlt, akzeptieren. Vor allem wenn er krank wird und sehr unglücklich im Job ist, sollte reagiert werden.
Eine These der IBA-Studie war, dass die Struktur in den Kanzleien – eine männerdominierte Führung und starke Hierarchien – das Mobbing fördere. Teilen Sie diese Einschätzung?
Wir haben zu wenig Frauen in Führungspositionen, um mit Sicherheit zu sagen, dass es bloß an den Männern liegt. Ich glaube, dass es von der Persönlichkeit eines Menschen abhängt, als vom Geschlecht.
Allerdings gibt es schon einen strukturellen Aspekt: In vielen Kanzleien wirtschaftet jeder Bereich für sich, ein Austausch unter den Partnern findet nur selten statt. Das ist nur bedingt transparent und kann deshalb ein Mobbing-Verhalten fördern. Hinzu kommen der hohe Druck, unter dem alle stehen, und die starke Ausrichtung an den Wünschen des Mandanten. Und: Die meisten Vorgesetzten haben nicht gelernt, Mitarbeiter zu führen und richtig mit ihnen zu kommunizieren.
Was können Associates unternehmen, die sich gemobbt fühlen?
Der erste Schritt ist, zu bemerken, was eigentlich los ist. Betroffene sollten sich bewusst machen, was gerade passiert. Eine Leitfrage wäre etwa: Was genau ist es, das mir schadet? Im zweiten Schritt sollten sie versuchen, von der Opfer- in die Täterrolle zu wechseln. Es gibt Personen, die im Laufe ihres Lebens immer wieder unfreiwillig in der Opferrolle landen. Das hat meist biographische Gründe und hängt mit Erlebnissen in der Kindheit zusammen. Wer in jungen Jahren schon einmal eine Situation erfahren hat, in der er Opfer war, wird auch als Erwachsener dazu tendieren, passiv zu bleiben, wenn er angegriffen wird. Besser wäre es aber, in die aktive Rolle zu wechseln.
Was raten Sie jemandem, der sich aus der Opferrolle befreien will?
Er könnte beispielsweise mit einem Kollegen sprechen, zu dem er ein besonderes Vertrauensverhältnis hat. Der wird das Problem zwar auch nicht lösen können. Aber er kann als Reflexionsfläche dienen und der Austausch über das Erlebte kann helfen, klarer zu sehen.
Im zweiten Schritt sollte man den "Mobber" - oft ist das ja eine Führungskraft - direkt auf sein Verhalten ansprechen. Wichtig dabei ist allerdings, dass man die sogenannten Feedback-Regeln anwendet. Das bedeutet: Keine Vorwürfe machen, sondern aus der Ich-Perspektive sprechen. Betroffene sollten das Verhalten des Vorgesetzten zunächst neutral und ohne Bewertungen schildern, dann aber sagen, dass es ihnen nicht gut dabei geht. Am Ende sollte die Bitte stehen, gemeinsam zu überlegen, ob und wie sich etwas an der Situation ändern lässt.
Manchmal reagieren die Vorgesetzten auch völlig überrascht, wenn sie darauf angesprochen werden, wie negativ ihr Verhalten auf die Mitarbeitenden wirkt. Womöglich haben sie ihr schädliches Verhalten gar nicht beabsichtigt. Dann sind sie froh, eine Rückmeldung zu bekommen, und stellen es ab.
Wenn das nichts hilft, könnte ein Betroffener sich auch an die Personalabteilung wenden oder seinen Mentor ansprechen, den es ja in vielen Kanzleien gibt. Aber auch dort wird er nicht immer Unterstützung bekommen. Im Gegensatz zu Unternehmen sind die HR-Abteilungen in Kanzleien nicht immer im Bereich Mobbing geschult. Und auch ein Mentor könnte auf dem Standpunkt stehen, dass man "da eben durchmuss", wenn man in der Kanzlei Karriere machen wolle. Man sollte sich also vorher gut überlegen, wem man sich anvertraut.
Und wenn alles nichts hilft?
Im schlimmsten Fall – also wenn sich herausstellt, dass man es nicht allein schafft - sollte man sich Hilfe suchen. Das kann eine Vertrauensperson innerhalb der Kanzlei sein, aber es gibt auch externe Stellen, die weiterhelfen, etwa Vereine, Verbände oder Selbsthilfegruppen und Therapeuten.
Betroffene fragen sich natürlich, ob es wirklich sinnvoll ist, in solch einer Situation in der Kanzlei zu bleiben oder ob sie nicht doch lieber einfach den Job wechseln sollen. Aber ich denke, sie sollten den Kampf ausfechten und sich wehren. Das kann eine wertvolle Erfahrung für das ganze Leben sein.
Wann lohnt es sich zu bleiben und wann sollte man lieber kündigen?
Die entscheidende Frage ist: Nehmen meine Ansprechpartner – der Vorgesetzte und die Personalabteilung – mein Anliegen ernst? Oder herrscht eine Kultur, in der unausgesprochen gilt: "Freu' Dich, dass Du hier arbeiten darfst! Wir dürfen vieles mit Dir machen!"
Eine solche Haltung in Kanzleien ist ein großes Problem - und sie kommt häufig vor. Viele vor allem ältere Partner stellen sich auf den Standpunkt, dass nun mal hart gearbeitet wird – und wer das nicht aushält, sei eben zu schwach und sollte lieber gehen.
Einem ähnlichen Muster folgen übrigens auch die sexistischen Sprüche gegenüber Frauen, die vielerorts immer noch an der Tagesordnung sind, wie die eingangs erwähnte Studie ebenfalls erfasst. Frauen nehmen solche Sprüche oft hin, aber sie können sie unglaublich verunsichern. Es herrscht nicht immer Bewusstsein dafür, wie mit Menschen umgesprungen wird.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schön.
Die Volljuristin und ehemalige Rechtsabteilungsleiterin Carmen Schön berät und coacht Juristen, Führungskräfte und Anwaltskanzleien zu Themen wie Geschäftsaufbau, Führung, Auftritt und Wirkung.
Mobbing in der Anwaltschaft: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36033 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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