General Counsel sind sich sicher, dass ihre Abteilungen von Legal Technology profitieren. Aber sie haben noch keinen Plan, wie und wo sie die Anwendungen strategisch sinnvoll einsetzen. Das ergibt eine Studie, die am Freitag vorgestellt wird.
Legal Technology ist wichtig für die Rechtsabteilungen – das ist den Unternehmensjuristen klar. Aber was sie damit anfangen sollen, wissen sie im Moment noch nicht so recht. So zugespitzt lässt sich das Ergebnis einer repräsentativen Studie formulieren, die am Freitag auf dem Kongress des Bundes der Unternehmensjuristen (BUJ) vorgestellt wird. Corporate Legal Insights und Wolters Kluwer Deutschland, zu der auch LTO gehört, hatten im Herbst vergangenen Jahres mehr als 100 Rechtsabteilungen zu ihrem Umgang mit neuen Technologien befragt.
Wenn man unter Legal Tech versteht, dass juristische Fachdatenbanken durchsucht oder Dokumente digital verwaltet werden, dann ist das bei Deutschlands Unternehmensjuristen längst Alltag. Die meisten der befragten Rechtsabteilungen nutzen Software-Lösungen der sogenannten ersten Legal-Tech-Generation, also IT-Systeme zur digitalen Dokumentenverwaltung, elektronische Rechnungsstellung, juristische Fachdatenbanken und Software für das Workflow-Management. Rund 85 Prozent der Studienteilnehmer sagen, ihre Abteilung habe bei der Arbeit mit diesen Anwendungen einen mittleren bis hohen Reifegrad.
Legal Tech kommt - wenn auch nicht so schnell
Bei Legal Tech 2.0 und Legal Tech 3.0, also bei teil- und vollautomatisierten Rechtsdienstleitungen, ist die Lage aber schon ganz anders: Für nur rund drei Prozent der Befragten spielen Blockchain, Smart Cards oder eDiscovery im Berufsalltag schon eine Rolle. Und etwa jeder sechste Leiter Recht gibt an, gar keine Legal-Tech-Services aus dieser Generation zu nutzen.
"Legal Tech kommt aber ohne jeden Zweifel", ist Ralph Vonderstein, Geschäftsführer und Leiter des Geschäftsbereiches Legal Software bei Wolters Kluwer Deutschland, überzeugt. Allerdings werde das nicht so schnell und umfassend geschehen, wie es die Fachabteilungen in den Unternehmen gerne hätten. "Sie wünschen es sich aus Kostengründen, aus Zeitgründen und weil die Digitalisierung neue Services in Aussicht stellt, die heute weder durchführbar noch abrechenbar sind - zuweilen noch nicht einmal vorstellbar", sagt Vonderstein.
General Counsel sehen Chancen, aber auch Risiken
Grundsätzlich stehen die meisten General Counsel den neuen Anwendungen durchaus aufgeschlossen gegenüber. Sie sind überzeugt davon, dass Legal Tech ihren Abteilungen nützt. Software-Lösungen sollen Arbeitsabläufe effizienter sowie Kosten transparenter machen und letztere senken. Das zumindest erwarten die Rechtsabteilungsleiter beim Einsatz von Legal Tech vorrangig.
Wie groß die Erleichterungen tatsächlich sind, darüber sind sich die Befragten allerdings uneins: Mehr als drei Viertel der Studienteilnehmer geben an, dass die eingesetzten Legal Tech-Anwendungen ihren Arbeitsalltag erleichtern. Acht Prozent sprechen sogar von "großer" bis "sehr großer" Erleichterung. Im Gegensatz dazu sagen aber 14,5 Prozent, also etwa jeder Siebte, dass Legal Tech ihre Arbeit überhaupt nicht oder nur wenig leichter von der Hand gehen lässt.
Auch dass die Digitalisierung Risiken birgt, ist den General Counsel durchaus bewusst. "Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Rechtsabteilungen ein sehr realistisches Bild von den auf sie zukommenden Herausforderungen haben", beobachtet Prof. Dr. Peter Körner, der die Studie als Director von Corporate Legal Insights verantwortet. Als ihre wichtigste Aufgabe sehen die Unternehmensjuristen das Managen der Schnittstelle zwischen IT und Rechtsberatung. Zudem gehen sie davon aus, dass die Arbeitsabläufe in der Rechtsabteilung neu organisiert und definiert werden und die Syndizi im Hinblick auf IT-Fachwissen weitergebildet werden müssen.
Tiefe Programmierkenntnisse nicht notwendig
Rechtsabteilungen brauchen in Zukunft zwei Dinge, ist Körner überzeugt: "Verantwortliche, die den Bedarf an neuen Qualifikationen und Kompetenzen erkennen, und Mitarbeiter, die juristisches Wissen und zumindest eine informationstechnologische Grundausbildung mitbringen."
Das bedeute nicht, dass nun Informatiker mit juristischen Kenntnissen rekrutiert werden müssten. "Es genügt, wenn sie ausreichend Juristen finden, die in Sachen Legal Tech aufgeschlossen über den engen Tellerrand der bisherigen Juristenausbildung blicken", glaubt Körner. Tatsächlich beklagten im Rahmen der Studie viele der befragten Rechtsabteilungsleiter, dass die fehlende Akzeptanz der Mitarbeiter den Einsatz von Legal Tech oft erschwere.
Unternehmensjuristen sollten erkennen können, wann Technologieeinsatz sinnvoll ist und wo die Technologie an ihre Grenzen stößt, sagt Körner, der auch an der Hochschule für Ökonomie und Management in Frankfurt Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Turnaround Management sowie Artificial Intelligence lehrt. Dazu seien keine fortgeschrittenen Programmierkenntnisse nötig. Aber die Juristen sollten zumindest ein Verständnis fürs Programmieren und für technologische Zusammenhänge haben.
Strategien fehlen
Die Aufgaben, die auf die Rechtsabteilungen warten, sind also zahlreich. Eigentlich sollten die General Counsel deshalb mithilfe einer Strategie festlegen, welche Ziele sie mit Legal Tech erreichen wollen und welche Maßnahmen dafür ergriffen werden müssen. "Und an dieser Stelle hapert es noch", sagt Körner. Denn die Studie zeigt deutlich: Eine Planung für den Einsatz von Legal Tech hat bislang fast keine Abteilung: Nur zwei der 62 teilnehmenden Rechtsabteilungen haben eine Strategie. Im Umkehrschluss: 96,8 Prozent haben noch keinen echten Plan für den Umgang mit den Software-Diensten - allerdings hat mehr als jedes dritte Unternehmen immerhin damit begonnen, eine Strategie zu erarbeiten.
Dieser Befund überrascht Körner nicht. "Es ist typisch für Juristen, dass sie Veränderungen Schritt für Schritt angehen und nicht disruptiv, indem sie alles einreißen", sagt er. "Juristen müssen sich bei jedem neuen Fall erst ein Bild von der Lage machen, den - bildlich gesprochen – 'Elefanten in Scheiben schneiden' und den Mehrwert jeder Scheibe ermitteln. 'Scheiben' werden priorisiert angegangen und dann erst die endgültige Strategie entwickelt", meint Körner.
Bislang sei der Veränderungsdruck auch noch nicht so hoch gewesen, als dass die Juristen dringend hätten aktiv werden müssen, sagt Körner. Viele haben zunächst überlegt, welche Einzelmaßnahmen sie mit ihren Bordmitteln stemmen können, ohne eine große Strategie zu entwickeln. "Allerdings wird sich das ändern", ist er überzeugt. Er ist sicher, dass in diesem Jahr in sehr vielen Rechtsabteilungen und Wirtschaftskanzleien eine konkrete Digitalisierungsstrategie ausgebildet werden wird.
Unterschiedliche Ansätze je nach Abteilungsgröße
Wie die Abteilungen vorgehen, wenn sie Legal-Tech-Strategien entwickeln, wird auch von ihrer Größe abhängen, meint Ralph Vonderstein von Wolters Kluwer: "Manche Konzerne mit großer Rechtsabteilung nutzen ein Legal Ticketing und analysieren auf Basis der erfassten Daten, zu welchen Themen die meisten Anfragen kommen. Die Idee: Stehen hier automatisiert Antworten zur Verfügung, steigert das besonders die Effizienz", beobachtet er. Einem Mittelständler könne dagegen eine einfache Umfrage reichen, was die zehn wichtigsten juristischen Fragestellungen der Fachabteilungen im Tagesgeschäft seien.
Dann komme es darauf an, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, fährt Vonderstein fort: Der Konzern könnte beispielsweise die eigenen Juristen durch eine bestimmte IT-Lösung in ihrer Arbeit unterstützen. Für eine kleine Rechtsabteilung wäre dagegen denkbar, den Einsatz von Legal Tech bei einem der Topthemen zu forcieren, beispielsweise durch Kooperation mit einer Kanzlei.
"Richtig ist letztendlich, was die Rechtsabteilung des Unternehmens zu vertretbaren Kosten effizienter macht", sagt Vonderstein. Aber es gehe nicht nur um Geld, sondern um Zukunftsfähigkeit. "Wer heute bei Investitionen in Legal Tech spart, verliert ja nicht nur den technologischen Anschluss, sondern auch massiv an Attraktivität für potenzielle Mitarbeiter", gibt er zu Bedenken. "Eine Rechtsabteilung ohne moderne IT-Lösungen werden die hochqualifizierten Juristen der 'Generation Digital Native', die jetzt schon ins Berufsleben drängen, kaum als spannenden Arbeitgeber empfinden", ist Vonderstein überzeugt.
Mehr als 60 Rechtsabteilungen gaben Einblicke
Im Oktober und November 2017 wurden insgesamt 106 Unternehmensjuristen in Aktiengesellschaften befragt. 62 Unternehmen haben den Fragebogen beantwortet zurückgesandt, die Rücklaufquote liegt damit bei 58,5 Prozent. Die Unternehmen kommen aus 15 unterschiedlichen Wirtschaftszweigen, vor allem aus den Bereichen Dienstleistung, Versicherungen & Finanzdienstleister sowie IT & Telekommunikation.
Die Verfasser betrachten die Ergebnisse der Studie wegen der hohen Rücklaufquote und der Diversität der teilnehmenden Unternehmen über alle Wirtschaftszweige und Unternehmensgrößenordnungen hinweg als repräsentativ und übertragbar.
Anja Hall, Legal Technology in Rechtsabteilungen: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26847 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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