Der angeschlagene Batteriehersteller Varta soll durch ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren gerettet werden. Kleinaktionären droht ein Totalverlust. Thomas Hausbeck erklärt die Rechtslage.
Die Varta AG hat beim Amtsgericht Stuttgart ein Verfahren nach dem StaRUG (Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen) angemeldet. Der nach StaRUG vorzulegende Sanierungsplan hat allerdings seinen Preis: Private Anleger werden leer ausgehen. Wie die von Anlegerschützern scharf kritisierte "Enteignung" der Kleinanleger rechtlich einzuschätzen ist, schildert Dr. Thomas Hausbeck, Partner bei SKW Schwarz.
LTO: Soweit bekannt, sollen der bisherige Mehrheitsaktionär und der Sportwagenhersteller Porsche als neuer Investor neue Bezugsrechte erwerben, während Privatanleger von den Bezugsrechten ausgeschlossen werden und damit einen Totalverlust erleiden würden. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) sprechen von einer "Enteignung" der Kleinanleger. Warum ist solch ein Ausschluss der Privatanleger überhaupt möglich?
Dr. Thomas Hausbeck: Die Grundlagen für einen entschädigungslosen Ausschluss privater Anleger schafft das StaRUG. Das erst 2021 eingeführte neue Instrument zur Unternehmenssanierung außerhalb der Insolvenz sieht vor, dass zur Unternehmensrestrukturierung und Abwendung der Insolvenz auf Basis von Mehrheitsentscheidungen Eingriffe in die Rechte Beteiligter auch gegen deren Willen möglich sein sollen.
Kernelement einer StaRUG-Restrukturierung ist der Restrukturierungsplan (§§ 2 ff. StaRUG), der die Beteiligten in verschiedene Gruppen von Planbetroffenen einteilt, z. B. Aktionäre oder Inhaber von Anleihen. Diese Planbetroffenen stimmen dann gruppenweise über den Restrukturierungsplan ab. Wird in jeder Gruppe eine Zustimmung von 75 % erreicht, bindet die Mehrheitsentscheidung auch die nicht an der Abstimmung teilnehmenden bzw. gegen den Restrukturierungsplan stimmenden Planbetroffenen. Maßgeblich für das Erreichen dieser Dreiviertelmehrheit ist dabei das Gesamtforderungsvolumen in der jeweiligen Gruppe bzw. bei Aktionären das gesamte Grundkapital.
Kommt die notwendige Mehrheit in der jeweiligen Gruppe nicht zustande, kann die Zustimmung zum Restrukturierungsplan durch einen Beschluss des Insolvenzgerichtes ersetzt werden, sofern die Zustimmungen in den anderen Gruppen mit der nötigen Mehrheit erfolgt sind. Stimmen also etwa die planbetroffenen Unternehmensgläubiger mit der nötigen Mehrheit zu, kann eine fehlende Zustimmung in der Gruppe der Aktionäre gerichtlich ersetzt und so in deren Aktieneigentum eingegriffen werden. Das StaRUG genießt insofern Vorrang vor dem Gesellschaftsrecht.
Das StaRUG ist für Aktionäre also nachteiliger als das Aktienrecht, das ihnen die Chance auf einen Ausgleich bieten würde?
Nicht unbedingt. Auch das StaRUG sieht prinzipiell vor, dass Gläubiger durch eine StaRUG-Sanierung nicht schlechter gestellt werden sollen als bei einer Insolvenz. Deshalb enthält ein Restrukturierungsplan regelmäßig eine sogenannte Planvergleichsrechnung. In dieser werden die wirtschaftlichen Auswirkungen des vorgesehenen Restrukturierungsplans für die Betroffenen einer Gruppe dem nächstbesten Alternativszenario gegenübergestellt. Diese Alternative wird in aller Regel ein reguläres Insolvenzverfahren sein, in dem aber aufgrund der Nachrangigkeit der Aktionärsrechte gegenüber denjenigen der Gläubiger meist kein Beteiligungswert mehr gegeben ist, selbst wenn die Aktien (zunächst) noch einen (wenn auch zumeist fälschlichen) Kurswert an der Börse haben.
Hat das Eigenkapital in einem Alternativszenario ohne Restrukturierungsplan allerdings noch einen positiven wirtschaftlichen Wert, muss der Restrukturierungsplan grundsätzlich auch Abfindungszahlungen vorsehen, wenn Eingriffe in das Aktionärseigentum erfolgen sollen. Vor diesem Hintergrund findet jedenfalls keine Aktionärsbenachteiligung im Sinne des Gesetzes statt.
Dass private Anleger bei der Vergabe von Bezugsrechten im Rahmen der Kapitalerhöhung ausgeschlossen werden, sieht das StaRUG-Verfahren zwar nicht ausdrücklich vor. Es ist aber nach dem Gesetz eben auch nicht ausgeschlossen.
Als Blaupause für eine StaRUG-Sanierung gilt der Fall der Leonie AG, bei dem 2023 erstmals ein Großunternehmen auf diese Weise saniert wurde und Kleinanleger ihre Einlagen verloren…
Aktionärsschützer befürchten nicht ganz zu Unrecht, dass, wenn das Modell Leonie bzw. nun Varta Schule macht, Aktionäre krisengeschüttelter Unternehmen in Zukunft häufiger ihr Eigentum entschädigungslos verlieren könnten. Zwar könnten insbesondere Aktionäre oder Anleihegläubiger versuchen, die Bestätigung des Restrukturierungsplans durch das Insolvenzgericht (§§ 60 ff. StaRUG), die Voraussetzung für dessen Allgemeinverbindlichkeit ist, gerichtlich zu verhindern. Der Gesetzgeber hat aber die Möglichkeiten hierzu bewusst stark eingeschränkt. Ein solches Vorgehen hat daher lediglich dann Aussicht auf Erfolg, wenn es von einem Planbetroffenen, der bereits gegen den Restrukturierungsplan gestimmt hat, betrieben wird. Dieser muss außerdem glaubhaft machen können, dass er durch den Restrukturierungsplan schlechter gestellt wird als in einem möglichen Alternativszenario ohne Restrukturierungsplan.
Die bisherige Praxis in den Fällen Leonie AG, Gerry Weber International AG oder Spart Networks SE zeigt, dass diese Glaubhaftmachung außerordentlich schwierig sein dürfte. Jedenfalls ist sie bisher in keinem bekannten Fall gelungen.
Hinzu kommt, dass eventuelle Anträge von Betroffenen auf Versagung der gerichtlichen Planbestätigung regelmäßig abzuweisen sind, wenn der Restrukturierungsplan für den Fall des Nachweises einer entsprechenden Schlechterstellung Möglichkeiten zur Kompensation des Betroffenen bereithält. Restrukturierungspläne nach dem StaRUG enthalten allerdings standardmäßig solche Kompensationsklauseln. Damit dürfte es in aller Regel nahezu ausgeschlossen sein, die gerichtliche Planbestätigung und damit die Verbindlichkeit des Restrukturierungsplans durch einzelne Aktionäre bzw. Anleihegläubiger zu verhindern.
Welche Alternativen zum Ausschluss der Privatanleger gäbe es nach dem Aktienrecht?
Das Grunddilemma börsennotierter Gesellschaften ist, dass ein sogenannter Haircut der Gläubiger, also der Verzicht auf erhebliche Teile ihrer Forderungen, zur Restrukturierung in aller Regel unumgänglich ist. Gäbe es das StaRUG nicht, wäre das Unternehmen darauf angewiesen, mit Gläubigern und Aktionären eine Kapitalerhöhung oder einen Zinsverzicht zu verhandeln. Es müsste also die Gläubiger überzeugen, auf Zinszahlungen ganz oder teilweise zu verzichten, um die finanzielle Belastung des Unternehmens zu reduzieren und damit durch eine Verbesserung der Liquidität dem Unternehmen Zeit für eine Bewältigung der Krise zu verschaffen. Flankierend oder alternativ könnte eine Kapitalerhöhung durchgeführt werden.
Durch die Ausgabe neuer Aktien oder Anteile könnte frisches Kapital in das Unternehmen fließen und so die Eigenkapitalbasis gestärkt und genutzt werden, um Schulden zu tilgen oder in Wachstumsprojekte zu investieren.
Zwar können beide Maßnahmen auch im Rahmen eines StaRUG-Verfahrens umgesetzt werden, um eine umfassende Restrukturierung zu ermöglichen. Gleichzeitig wird jedoch die Möglichkeit zur Blockade notwendiger Maßnahmen durch Einzelne zum Wohle der Restrukturierung erheblich erschwert. Aus Sicht des betroffenen Unternehmens ist die StaRUG-Lösung die einfachere. Im Fall Varta gilt dies nicht nur, weil lediglich mit zwei Großanlegern verhandelt werden muss statt mit einer Vielzahl von Anteilseignern, sondern auch, weil es sich bei dem StaRUG-Verfahren um ein nichtöffentliches Verfahren handelt und das Stigma eines Insolvenzverfahrens vermieden wird.
Neben dem Eingriff in die Eigentumsrechte der privaten Aktionäre bemängeln die Aktionärsschützer die Rolle des Mehrheitsaktionärs, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender von Varta ist. Die Doppelrolle verhindere ein sachgerechtes Risikomanagement im Sinne der Aktionäre. Was sagen Sie dazu?
Dieses Problem hat auch der Gesetzgeber erkannt und in §§ 1 ff. StaRUG bestimmt, dass sich der Fokus des Aufsichtsrats im Rahmen eines StaRUG-Verfahrens vom Unternehmen und deren Eigentümern hin zu den Gläubigern zu verändern habe. Den Aufsichtsrat trifft daher im Rahmen des StaRUG-Verfahrens die Pflicht zur Überwachung des Vorstands dahingehend, dass dieser bestandsgefährdende Risiken laufend prüft und gegebenenfalls geeignete Gegenmaßnahmen einleitet und bei drohender Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gläubigergesamtheit wahrt. Die Interessen der Unternehmenseigentümer treten demgegenüber in den Hintergrund. Bei einem Verstoß gegen diese Überwachungspflichten haften die Mitglieder des Aufsichtsrats persönlich.
Wie geht es jetzt weiter?
Solange das Gericht den Sanierungsplan nicht genehmigt hat, passiert erst einmal nichts. Ob und wann dies der Fall sein wird, ist noch offen. Wird der Sanierungsplan genehmigt und umgesetzt, werden die Aktien der Kleinanleger als wertlos ausgebucht. Dagegen können dann rechtliche Schritte eingeleitet werden. Dies wird nicht über Einzelklagen, sondern gesammelt erfolgen. DSW und SdK rufen bereits jetzt dazu auf, dass sich Aktionäre zur Geltendmachung ihrer Ansprüche melden sollen. Bis über die Klagen entschieden wird, wird es dann eine ganze Zeit dauern. Die Verfahren werden sich vermutlich über mehrere Instanzen ziehen. Der Ausgang für die Aktionäre ist ungewiss.
Fest steht aber auch: Das StaRUG ist eine sehr effektive Möglichkeit zur Abwendung einer Unternehmenskrise und damit zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens. Weitgehende Eingriffe in die Rechte von Aktionären und Anleihegläubigern bis hin zum Entzug der Rechtsposition sind hierzu möglich und vom Gesetzgeber bewusst gewollt.
Vielen Dank für Ihre Einschätzungen!
StaRUG-Verfahren: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55431 (abgerufen am: 15.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag