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Staatsanwaltschaft München I präsentiert Ermittlungsergebnis: Anklage gegen Ex-Wire­card-Chef Braun

14.03.2022

Ein brennendes Wirecard-Logo

Nach umfangreichen Ermittlungen steht die Anklage gegen drei Akteure im Wirecard-Komplex. Bild: laplateresca | stock.adobe.com

Rund eineinhalb Jahre nach der Insolvenz von Wirecard erhebt die Staatsanwaltschaft München I Anklage gegen Markus Braun und zwei weitere Angeschuldigte. Die Anklageschrift umfasst 474 Seiten.

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Als "außerordentlich schwierig und umfangreich" charakterisiert die Staatsanwaltschaft München I ihre Ermittlungen zum Wirecard-Komplex, die in eine Anklage gegen den ehemaligen Wirecard-Chef Dr. Markus Braun sowie den früheren Head of Accounting der Aktiengesellschaft, Stephan von Erffa, und den ehemaligen Geschäftsführer einer in Dubai ansässigen Enkelgesellschaft, Oliver Bellenhaus, mündete. Braun sitzt seit Juli 2020 durchgehend in Untersuchungshaft, Erffa wurde im Sommer des vergangenen Jahres gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt.

Die Anklageerhebung erfolgte nach Angaben der Staatsanwaltschaft am vergangenen Donnerstag. Vorausgegangen waren Ermittlungen, in deren Verlauf "in akribischer Kleinarbeit" rund 340 Firmen, 450 Unternehmen und mehr als 1.100 Bankverbindungen als relevant erkannt und geprüft worden seien.

Umfangreiche internationale Ermittlungen

Allein in Deutschland wurden rund 40 Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt und vollzogen, dazu gesellten sich laut Staatsanwaltschaft ca. 90 Europäische Ermittlungsanordnungen oder Rechtshilfeersuchen. Die Sonderkommission "Treuhänder", die beim Polizeipräsidium München eingerichtet wurde, konnte 42 Terabyte Datenmaterial sichern.

Der Tatverdacht gegen die Angeschuldigten gliedert sich bislang in die Tatkomplexe "Unrichtige Darstellung", "Marktmanipulation", "Untreue" und "Gewerbsmäßiger Bandenbetrug". Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sei allen Angeschuldigten spätestens Ende des Jahres 2015 bewusst gewesen, dass Wirecard im operativen Geschäft nur Verluste erwirtschafte. Dennoch hätten sie veranlasst, dass "Verhandlungen über die Bereitstellung von Geldmitteln durch Kreditaufnahmen und Ausgabe von Schuldverschreibungen aufgenommen bzw. fortgeführt wurden."

Marsalek weiterhin gesucht

Die Ermittlungen dauern weiter an. Die Staatsanwaltschaft weist explizit darauf hin, dass die Fahndungsmaßnahmen gegen das "Bandenmitglied M.", gemeint ist der frühere Chief Operating Officer Jan Marsalek, der zwischenzeitlich untergetaucht war, weiterhin laufen. Marsalek gilt als Strippenzieher im Wirecard-Komplex, eine Anklage wurde gegen ihn bislang aber noch nicht erhoben. 

Ob es zu einem Prozess gegen Markus Braun, Oliver Bellenhaus und Stephan von Erffa kommt, muss die 4. Strafkammer des Landgerichts München I klären. Eine Entscheidung soll dem Vernehmen nach im Laufe des Sommers fallen, verhandelt werden könnte dann ab Herbst dieses Jahres.

Wirecard Chronologie*

1999: Das Münchner Startup Wirecard wickelt Kreditkartenzahlungen im Internet ab, vor allem für Porno- und Glücksspielanbieter.

2002: Der frühere KPMG-Unternehmensberater Markus Braun wird Vorstandschef.

2005: Nach Übernahmen geht das rasch wachsende Unternehmen an die Börse.

12. April 2018: Wirecard gibt für 2017 einen Jahresumsatz von 91 Milliarden Euro an. Braun sagt, Digitalisierung im Zahlungsverkehr werde Ladenkassen, Kredit- und EC-Karten überflüssig machen. 

24. September 2018: Wirecard steigt in den Aktienindex Dax auf und ersetzt die Commerzbank in der ersten deutschen Börsenliga.

Januar/Februar 2019: Die Financial Times berichtet über mutmaßliche Manipulationen in Singapur. Die Wirecard-Aktie bricht ein. Braun dementiert alle Vorwürfe. Die Finanzaufsicht Bafin verbietet weitere Spekulationen auf fallende Wirecard-Aktienkurse. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Journalisten.

März 2019: Wirecard räumt ein, dass einige wenige Zahlungsvorgänge in Singapur falsch verbucht wurden.

Oktober/November 2019: Weitere Medienberichte über erfundene Wirecard-Geschäfte lassen die Aktie abstürzen. Die Finanzaufsicht in Singapur ermittelt. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY verweigert der Wirecard- Tochter in Singapur das Testat für die Jahresbilanz 2017.

28. April 2020: KPMG meldet nach monatelanger Sonderprüfung zu den Geschäftsjahren 2016 bis 2018, dass wesentliche Unterlagen fehlten. 

5. Juni 2020: Nach einer Anzeige der Bafin ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Marktmanipulation gegen den Wirecard-Vorstand und durchsucht die Konzernzentrale.

19. Juni 2020: Wirecard räumt, dass Vermögenswerte von mehr als 1,9 Milliarden Euro vermutlich nicht existieren. Braun tritt zurück.

25. Juni 2020: Der Dax-Konzern Wirecard stellt einen Insolvenzantrag.

22. Juli 2020: Braun wird verhaftet. Finanzvorstand Jan Marsalek hat sich nach Minsk abgesetzt und ist seither untergetaucht.

25. Februar 202: EY wechselt seinen Deutschland-Chef aus.

22. April 2021: Scholz weist im Untersuchungsausschuss des Bundestages jegliche Verantwortung von sich. Wirtschaftsprüfer hätten Unregelmäßigkeiten jahrelang nicht erkannt.

14. März 2022: Die Staatsanwaltschaft München I klagt Braun und zwei weitere ehemalige Wirecard-Manager an.

sts/LTO-Redaktion

mit Material der dpa (Chronologie)

 

*Die Chronologie wurde am 14.3 um 16.05 Uhr ergänzt.

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Staatsanwaltschaft München I präsentiert Ermittlungsergebnis: . In: Legal Tribune Online, 14.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47818 (abgerufen am: 21.05.2025 )

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