Kleine Läden dürfen bald wieder öffnen, große bleiben geschlossen. Ob Kaufhausketten jetzt eine Entschädigung bekommen und worauf Geschäftsleute nach dem Shutdown wirklich hoffen dürfen, erklärt Winfried Kluth.
Die ungewollte Ruhe in Wirtschaft und Gesellschaft, die der Covid-19-Virus auch in Deutschland herbeigeführt hat, hat bislang fast alle Unternehmen getroffen. Nun soll schrittweise das Geschäftsleben wieder erlaubt werden. Bis dahin bleibt noch Zeit zu Reflektion und Standortbestimmung. Viele Routinen des privaten und öffentlichen Lebens können hinterfragt werden, weil man plötzlich erkennt, was auch ohne sie möglich ist und welche Alternativen es gibt. In sehr vielen Fällen wird man aber auch sehen, dass Bewegungsfreiheit unverzichtbar ist und dass ohne sie weder gesellschaftliches Leben noch Wirtschaft funktionieren können.
Eine der Fragen, die nach der Überwindung der ersten Schockstarre mit zunehmender Dringlichkeit gestellt werden müssen, betrifft die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen, die vor allem für Unternehmen mit der Kontaktsperre unweigerlich verbunden sind.
Man kann zwar mit der distanzierten Gelassenheit eines Insolvenzverwalters davon sprechen, dass es lediglich zu einer Marktbereinigung kommt, weil nur die ohnehin gesunden Unternehmen überleben werden. Das ist aber kein Trost und auch keine angemessene Antwort für diejenigen, die in der Regel ihre Unternehmen in der Vergangenheit nicht weniger engagiert geführt haben. Vor allem aber sind sie aus der Sicht des Rechts und der Gerechtigkeit genauso schutzwürdig wie die finanziell besser aufgestellten Unternehmen. Wie aber sollen die durch eine hohe Neuverschuldung bereitgestellten Fördergelder richtig eingesetzt werden und welche Vorgaben macht insoweit das Verfassungsrecht?
Keine Entschädigung für Umsatzausfall nach IfSG
Der Blick in das frisch novellierte Infektionsschutzgesetz (IfSG) führt zunächst zu der Erkenntnis, dass Entschädigungen für Unternehmen nur in sehr speziellen Fällen vorgesehen sind. Der einschlägige § 65 IfSG sieht Entschädigungen in erster Linie vor, wenn auf der Grundlage von Anordnungen nach §§ 16 und 17 IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder im Wert gemindert wurden. Es wird dann auch ein Ersatz für weitere Vermögensschäden eröffnet, doch ist diese Regelung ebenfalls eng auszulegen.
Die Umsatzeinbußen aufgrund von Kontaktverboten sind davon aus zwei Gründen nicht erfasst. Erstens weil die entsprechenden Anordnungen nach zutreffender Ansicht auf § 28 IfSG beruhen, auf den § 65 IfSG nicht Bezug nimmt. Und zweitens, weil es sich auch nicht um einen Vermögensnachteil im Sinne der Norm handelt. Der Nachteil der geschlossenen Geschäfte besteht vor allem darin, dass sie während der Schließung keine Umsätze erzielen. Umsatzerwartungen sind aber auch grundrechtlich betrachtet nur Chancen und keine bereits bestehenden Vermögenswerte. Das ändert zwar nichts an der Grundrechtserheblichkeit der Verbote, es wirkt sich aber auf die Interpretation der Entschädigungsregelung aus.
Für andere „Entschädigungsansprüche“ gegen den Staat muss man sich zuerst klar machen, dass die Fach- und Verfassungsgerichte insbesondere die Regelungen zu den Kontaktsperren vermutlich im Wesentlichen als verfassungskonform einstufen werden, so dass eine Unrechtshaftung weitgehend ausscheidet.
Schließlich gab es auch im weltweiten Handlungsvergleich kein gleich wirksames milderes Mittel und es geht – wie auch das Bundesverfassungsgericht in ersten Eilverfahren betont hat – um den Schutz von Leib und Leben einer großen Zahl von Menschen. Wenn nicht gerichtlich festgestellt wird, dass eine Maßnahme – zum Beispiel wegen Unverhältnismäßigkeit – rechtswidrig war, wird man über echte Haftungsansprüche für rechtswidriges Behördenhandeln also in den allermeisten Fällen gar nicht sprechen.
Erbringen die Ladenbesitzer ein Sonderopfer?
Das Gefahrenabwehrrecht und das allgemeine Recht der öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen kennen aber auch eine Kategorie von Ersatzpflichten für rechtmäßige Grundrechtsbeschränkungen. Sie stellen auf den Gedanken des Sonderopfers ab , der bereits im Preußischen Allgemeinen Landrecht verankert ist.
Demnach sind auch rechtmäßige Inanspruchnahmen von Eigentum ausgleichspflichtig, wenn das Eigentum in seiner Nutzung erheblich beschränkt wird, wie dies etwa bei umweltrechtlichen Auflagen der Fall sein kann. Das Gleiche gilt für erhebliche Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit.
Die rechtliche Grundlage dieser Rechtsfigur ist aber das Sonderopfer. Dieses setzt eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu den meisten anderen Eigentümern in der gleichen Lage voraus, denen eine solche Beschränkung nicht auferlegt wird. Ein solches Sonderopfer hatte auch der Gesetzgeber bei den vorhandenen Entschädigungsregelungen des Infektionsschutz- und Seuchenrechts vor Augen, wenn etwa bestimmte Tierherden getötet werden, um den Übergriff einer Tierseuche auf die Herden anderer Halter zu verhindern.
Kein Sonderopfer ohne besonderes Opfer?
Eine von vielen Besonderheiten der Covid-19-Pandemie besteht aber darin, dass die Kontaktsperren nahezu weltweit über bestimmte Zeiträume alle Teile der Gesellschaft und Wirtschaft betreffen und nur wenige überlebenswichtige Bereiche ausgeklammert wurden. In Bezug auf Deutschland gilt das sogar auch rechtsförmlich, weil die Bundesländer die beschränkenden Regelungen auf die gleichen Zielgruppen ausgerichtet haben. Der Gedanke des Sonderopfers trägt in einer solchen Lage nicht mehr.
Das ändert sich auch dann nicht, wenn im Zuge einer schrittweisen Lockerung der Kontaktsperre nur bestimmten Wirtschaftszweigen die Wiederaufnahme des Produktions- und Geschäftsbetriebs gestattet wird. Zwar liegt es näher, in dieser neuen Lage von einem Sonderopfer zu sprechen, weil z.B. nur Geschäften ab einer bestimmten Verkaufsflächengröße, derzeit sind 800 qm geplant, der Betrieb erlaubt wird.
Da es sich aber um einen Reflex einer mehrstufigen Strategie zur Wiederherstellung der ursprünglichen Freiheit handelt, eine große Zahl von Unternehmen im ganzen Land betroffen ist und eine Gleichbehandlung aus Gründen der Gefahrenabwehr nicht möglich ist, erweist sich der Rekurs auf das Sonderopfer auch insoweit als nicht tragfähig.
Nur allgemeine Förderung statt echter Anspruch
Richtig erscheint es deshalb, in dieser Lage auf den allgemeinen sozialstaatlichen Fördergedanken zu rekurrieren, der u.a. die Sicherung von Arbeitsplätzen und Unternehmensexistenzen einschließt und auch den ersten gesetzgeberischen Maßnahmen in Bund und Ländern zugrunde liegt. Der entscheidende Unterschied zur Entschädigung im obigen Sinne besteht darin, dass die Betroffenen keinen Anspruch auf eine Leistung in bestimmter Höhe haben, sondern der Gesetzgeber über ein weites Ermessen verfügt, bei dessen Ausübung er sich am finanziell Möglichen sowie der größeren Wirksamkeit des Geldeinsatzes orientieren kann.
Zwar muss er auch dabei die Interessen der verschiedenen betroffenen Gruppen des Wirtschaftslebens grundsätzlich gleichbehandeln. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers wird insoweit aber nur durch das Willkürverbot begrenzt, so dass gute Gründe ausreichen, um die Kriterien für die Förderung zu bestimmen. Es kommt vor allem nicht auf das konkrete Ausmaß der erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen und damit den wirtschaftlichen Schaden an, der durch die Kontaktsperren verursacht wurde. Maßstab ist vielmehr, welche Hilfen zum Überleben und für einen Neustart erforderlich sind.
Es scheint wichtig und sinnvoll, sich dieser Besonderheiten in der anstehenden Debatte und der bereits angelaufenen Gesetzgebung von Anfang an zu vergewissern. So werden keine falschen Erwartungshaltungen erweckt und auf falschen Zuordnungen basierende Klagen vermieden.
Der Autor Prof. Dr. Winfried Kluth ist Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte liegt im Bereich des Öffentlichen Wirtschaftsrechts.
Ein bisschen weniger Shutdown: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41322 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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