In den USA ist Shadow Trading längst ein Thema für Aufsichtsbehörden und Jurist:innen. In Europa wird diese Variante des Insiderhandels noch nicht verfolgt. Greta Niehaus hinterfragt die Gründe.
Wer über vertrauliche und kursrelevante Informationen eines Unternehmens verfügt und diese nutzt, um an der Börse Gewinne zu erzielen, begeht Insiderhandel. Daran besteht rechtlich kein Zweifel. Doch nicht immer zeigt sich Insiderhandel in seiner klassischen Form – also durch Geschäfte mit Aktien des Unternehmens, aus dem die Information stammt.
Eine zunehmend diskutierte Variante ist das sogenannte Shadow Trading, bei dem Insider nicht mit Wertpapieren “ihres” Unternehmens handeln, sondern mit Aktien anderer Gesellschaften, die indirekt von der vertraulichen Information betroffen sind. Die Folgen können gravierend sein, dennoch werden solche Geschäfte in Europa, anders als in den USA, bislang in der Praxis nicht verfolgt.
Was ist Shadow Trading?
Beim Shadow Trading werden Kursbewegungen ausgenutzt, die durch die Veröffentlichung einer Insiderinformation mittelbar ausgelöst werden. In einer global vernetzten Wirtschaft haben Informationen längst nicht mehr nur Auswirkungen auf ein Unternehmen, sondern auch oft auf dessen Partner und Wettbewerber.
Informationen können sogar branchenübergreifend Wirkung entfalten, wie insbesondere während der COVID-19-Pandemie deutlich wurde. Als Pfizer und BioNTech im November 2020 erste Erfolge bei der Impfstoffentwicklung meldeten, stiegen deren Aktienkurse – gleichzeitig verloren Aktien von Unternehmen deutlich an Wert, die von Lockdown-Maßnahmen profitiert hatten.
Sogenannte “stay-at-home stocks” wie Zoom, dessen Kurs innerhalb eines Tages um 17,4 Prozent fiel oder auch Netflix, wo ein Tagesverlust von 8,6 Prozent zu verzeichnen war. Wer diese Zusammenhänge vor der entsprechenden Veröffentlichung kannte, konnte Insiderwissen auf indirektem Weg nutzen und mit Shadow Trading Gewinne erzielen.
Internationale Aufmerksamkeit erhielt das Phänomen durch den weltweit ersten Fall dieser Art in den USA: SEC v. Panuwat. Matthew Panuwat, leitender Angestellter der Biotechfirma Medivation, erfuhr von einer bevorstehenden Übernahme durch das Unternehmen Pfizer. Er kaufte daraufhin keine Medivation-Aktien, sondern Aktien des Wettbewerbers Incyte. Diese stiegen nach der Übernahmeankündigung deutlich, sodass Panuwat einen Gewinn von über 100.000 US-Dollar erzielen konnte.
Die US-Börsenaufsicht SEC wertete dieses Verhalten als verbotenen Insiderhandel, da die Information bzgl. der Übernahme aus ihrer Sicht auch wesentlich für den Konkurrenten Incyte war und Panuwat darüber hinaus die im US-amerikanischen Recht notwendige Treuepflicht durch den Handel gebrochen habe. Eine Jury sprach Panuwat im April 2024 schuldig.
Das Urteil hatte Signalwirkung und löste eine breite Debatte aus. Panuwat hat im November 2024 Berufung eingelegt. Ein Jahr später ist noch immer keine Entscheidung in diesem Verfahren gefallen, allerdings ist in naher Zukunft mit einer solchen zu rechnen.
Die Rechtslage in Europa
In Europa hat das Thema bislang noch eher wenig Beachtung erfahren. Nach europäischem Recht kann Shadow Trading grundsätzlich Insiderhandel darstellen. Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) Marktmissbrauchsverordnung (MAR) gelten als Insiderinformationen nicht nur solche, die einen Emittenten oder dessen Finanzinstrumente unmittelbar betreffen, sondern ausdrücklich auch nichtöffentliche Informationen, die einen Emittenten oder Finanzinstrumente indirekt beeinflussen können. Damit können auch Geschäfte mit Aktien von anderen Emittenten unter das Insiderhandelsverbot fallen – vorausgesetzt, die betreffende Information ist für diese Finanzinstrumente ebenso kursrelevant.
An dieser Stelle besteht jedoch in der Praxis eine Rechtsunsicherheit. Wann eine Information als “kursrelevant” für ein anderes, nur mittelbar betroffenes Unternehmen anzusehen ist, ist bislang nicht konkretisiert worden – weder durch die BaFin noch durch Rechtsprechung oder europäische Leitlinien. Während bei unmittelbar betroffenen Emittenten eine Kursrelevanz oft leichter zu bestimmen ist, gestaltet sich bei indirekt betroffenen Unternehmen die Frage deutlich komplexer: Wie eng muss die wirtschaftliche Verbindung sein? Welche Kriterien können hier überhaupt herangezogen werden? Welche Rolle spielt die tatsächliche Reaktion des Marktes? Und wo ist die Grenze des Kreises der indirekt betroffenen Unternehmen zu ziehen?
Um Rechtssicherheit zu schaffen und eine konsistente Anwendung der MAR zu gewährleisten, wäre es dringend erforderlich, dass Aufsichtsbehörden oder der europäische Gesetzgeber Kriterien entwickeln, anhand derer die Kursrelevanz bei indirekt betroffenen Emittenten oder Finanzinstrumenten bestimmt werden kann. Solche Kriterien könnten sich etwa an der wirtschaftlichen Beziehung zwischen den Unternehmen orientieren, also daran, ob es sich um einen Zulieferer oder Konkurrenten des Unternehmens, aus dem die Insiderinformation stammt, handelt. Darüber hinaus könnte entscheidend sein, ob die in Rede stehenden Emittenten der gleichen oder ähnlichen Industrie angehören und wie groß der jeweilige Markt ist.
Eine solche Konkretisierung würde nicht nur für mehr Rechtssicherheit sorgen, sondern auch dazu beitragen, dass Shadow Trading durch die Aufsichtsbehörden konsequenter verfolgt werden kann. Genau wie klassischer Insiderhandel, kann auch Shadow Trading rechtsökonomische Nachteile bedingen. Auch beim Shadow Trading hat der Insider gegenüber den übrigen Marktteilnehmern einen Vorteil, indem er eine nichtöffentliche Information zum Handel am Kapitalmarkt ausnutzen kann. Dies ist nicht nur ungerecht, sondern kann, wenn Shadow Trading von Aufsichtsbehörden in Europa und Deutschland weiterhin ignoriert wird, im schlimmsten Fall zu einem Vertrauensverlust der Anleger und zu einer Beeinträchtigung der Markteffizienz führen.
Offene Fragen und Handlungsbedarf
Die Gründe für die Zurückhaltung der Aufsichtsbehörden in Europa und in Deutschland sind unklar. Möglicherweise liegt es an der schwierigen Beweisführung, an der Abgrenzung zwischen zulässiger Marktanalyse und Insiderhandel – oder schlicht an einer bislang geringen Priorisierung des Themas.
Es besteht jedenfalls Handlungsbedarf. Eine groß angelegte empirische Untersuchung aus den USA zeigt, dass Shadow Trading keineswegs ein seltenes Phänomen ist. Für europäische Märkte dürfte Ähnliches gelten. Wenn Insiderhandel jedoch nur dann verfolgt wird, wenn er in seiner klassischen Form auftritt, besteht die Gefahr, dass Insider künftig gezielt auf indirekte Handelsstrategien ausweichen.
Aus rechtlicher Sicht wäre die BaFin durchaus in der Lage, gegen Shadow Trading vorzugehen – zusätzliche gesetzliche Grundlagen wären nicht erforderlich. Lediglich eine Konkretisierung der Kursrelevanz, potenziell in ihrem Emittentenleitfaden, wäre für Anleger hilfreich. Auch aus technischer Sicht sollten die Aufsichtsbehörden jedenfalls in der Lage sein, Shadow Trading zu erkennen.
Integrität der Finanzmärkte muss gesichert bleiben
Shadow Trading ist Ausdruck einer sich wandelnden globalen Wirtschaft und Kapitalmarktlandschaft, in der Informationen nicht nur einen, sondern zahlreiche Emittenten, oder sogar ganze Branchen beeinflussen können. Während in den USA erste Gerichtsentscheidungen eine Ausweitung des Insiderhandelsbegriffs auf solche Konstellationen bestätigen, fehlt es in Europa bislang an einer vergleichbaren Entwicklung. Die bestehende europäische Rechtslage bietet bereits heute eine ausreichende Grundlage, um entsprechende Sachverhalte zu erfassen.
Für eine effektive Aufsichtspraxis bedarf es daher weniger einer gesetzlichen Reform als vielmehr einer präzisen Auslegung der bestehenden Regelungen, einer klareren behördlichen Praxis und einer konsequenteren Durchsetzung der bestehenden Vorschriften. Gleichzeitig sollte die Grenze zwischen illegalem Shadow Trading und legaler Marktanalyse klarer konturiert werden. Dies würde künftig dazu beitragen, die Integrität der Märkte zu sichern und die Wirksamkeit des Insiderhandelsverbots in der Praxis zu gewährleisten.
Greta Niehaus studierte Rechtswissenschaften in Berlin und Sydney. Derzeit promoviert sie zum Thema „Shadow Trading“ an der Bucerius Law School in Hamburg und der Berkeley Law School in Kalifornien. Ihre Forschung wird durch zwei Promotionsstipendien gefördert.
Illegale Börsengeschäfte: . In: Legal Tribune Online, 16.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58375 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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