Wie das BMG Schutzmasken beschaffte: Ver­trag mit EY auf dem Prüf­stand

von Dr. Anja Hall

13.08.2020

Als Schutzmasken fehlten, beauftragte Jens Spahn EY damit, die Beschaffung abzuwickeln. Gegen den Auftrag an EY gibt es aber jetzt ebenso rechtlichen Widerstand wie gegen die Abwicklung im Open-House-Verfahren. Dutzende Hersteller klagen.

Deutschland, im März 2020: Das Land ist im Griff der Corona-Pandemie und Gesundheitsexperten warnen, dass es zu wenig Schutzausrüstung gibt. Vor allem Masken fehlen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fackelt nicht lange. Schon ab Anfang März beschafft das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nach eigenen Angaben Schutzausrüstung, zum einen per Einzelbeschaffungsmaßnahmen, zum anderen über ein sogenanntes Open-House-Verfahren. Es ist nun genau dieses Open-House-Verfahren, um das sich Rechtsstreitigkeiten entzündet haben und das auch politisch einigen Wirbel verursacht.

Doch der Reihe nach: Am 27. März macht das Ministerium über die Generalzolldirektion einen Open-House-Vertrag über die Lieferung von Schutzausrüstung bekannt. Jedes Unternehmen, das die Vertragsbedingungen erfüllen kann, die vom Ministerium vorgegeben sind, hat demnach Anspruch auf einen Vertragsschluss.

Konkret bedeutet dies unter anderem: Die Unternehmen sollen mindestens 25.000 Masken zu einem Preis von 4,50 Euro netto für FFP-2-Masken und 60 Cent für OP-Masken liefern. Angebote dürfen bis zum 8. April abgegeben werden, geliefert werden sollen die Masken bis zum 30. April. Nach Angaben des BMG wird der Bund aus dem Open-House-Verfahren insgesamt 233 Millionen FFP-2- und 63 Millionen OP-Masken erhalten. Bei den festgesetzten Preisen geht es also um einen Auftragswert von insgesamt rund 1,09 Milliarden Euro.

Ein Millionenauftrag für EY

Für die Abwicklung der Beschaffung sucht sich das Gesundheitsministerium externe Hilfe: Ab dem 7. April unterstützt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) das Ministerium. Bis zum 26. Juni haben dort 112 Mitarbeitende rund 29.000 Stunden Arbeit geleistet, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion. Unter anderem kümmern die externen Berater sich um "das Vertragsmanagement, die Rechnungsbegleichung, die Klärung von Leistungsstörungen sowie die Organisation von Qualitätsprüfungs- und Logistikprozessen und die Dokumentation". 9,5 Millionen Euro sind als Honorar für die Prüfgesellschaft eingeplant.

EY hat den Auftrag vom Ministerium als zuvor ausgesuchter Bewerber direkt erhalten, in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Aus Sicht des Hanauer Rechtsanwalts Harald Nickel ist das ein Verstoß gegen das Vergaberecht. Seiner Ansicht nach hätte das Ministerium ein öffentlich bekanntgemachtes Vergabeverfahren durchführen müssen, zumindest eines mit mehreren nicht zuvor bestimmten Bietern, bevor es den millionenschweren Auftrag an EY vergibt.

Im Gespräch mit LTO sagt der Anwalt: "Wir als mittelständische Kanzlei hätten uns mit unserem Netzwerk selbst um den Auftrag beworben, wenn wir aufgrund einer Bekanntmachung die Chance gehabt hätten. Bei vorausschauender Planung wäre das möglich gewesen"

Über die nötigen Voraussetzungen dafür verfüge er, ist der Anwalt überzeugt. Seine Sozietät befasse sich derzeit intensiv mit Rechtsfragen rund um Corona und verfüge über ein großes interdisziplinäres Netzwerk. "Wir hätten ein Kernteam von zumindest 140 Experten und erforderlichenfalls mehr bereitstellen können", sagt er. Nickel hat deshalb zunächst die Vergabe gerügt und anschließend einen Nachprüfungsantrag gestellt. Über den verhandelt die Vergabekammer des Bundes, die beim Bundeskartellamt angesiedelt ist, am Freitag nicht-öffentlich (Az. VK 2-57/20).

Wie dringend war die Beauftragung?

Das Gesundheitsministerium hält die Direktvergabe an EY für zulässig. Denn mit der Covid-19-Pandemie habe ein "unvorhergesehenes und unvorhersehbares Ereignis" vorgelegen, das nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 Vergabeverordnung (VgV) eine solche Auftragsvergabe erlaubte, schreibt das Ministerium in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage.

Ein öffentlicher Auftraggeber kann dieser Regelung zufolge auf einen Teilnahmewettbewerb verzichten, wenn "äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte", es nicht zulassen, die vergaberechtlich sonst üblichen Mindestfristen einzuhalten. Dabei dürfen die Umstände zur Begründung dieser äußersten Dringlichkeit dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sein.

Ob es tatsächlich nicht absehbar war, dass das Ministerium die Beschaffung nur mit externer Hilfe stemmen konnte, wird am Freitag die VK Bund in erster Instanz klären. Sollte das Ministerium unterliegen, würde die Nichtigkeit des Beratervertrags mit EY festgestellt werden. Damit müsste auch das das Honorar neu bestimmt werden, das für bisherige Leistungen zu entrichten ist. Maßgeblich dafür ist Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen. Demnach wird dabei zunächst versucht, einen objektiven oder spezielle Bereiche betreffenden bzw. einen subjektiven Marktpreis zu ermitteln. Sollte das nicht möglich sein, wird der Selbstkostenpreis mit angemessenem Gewinnaufschlag des Auftragnehmers angesetzt.

Streit zwischen Händlern und Ministerium

Neben dem Nachprüfungsantrag hat das Gesundheitsministerium weiteren Ärger. Denn was die Schutzmasken-Lieferanten viel mehr aufbringt als die Frage, wie EY an den Ministeriumsauftrag gekommen ist, ist das Vorgehen, das EY und das Ministerium bei der Abwicklung der Lieferaufträge angeblich an den Tag legen.

Wer sich mit Beschaffung nicht auskennt, für den klingt bereits das Open-House-Verfahren mehr als abenteuerlich: Jeder, der zu vorgegebenen Bedingungen liefern kann, hat ein Anrecht auf Vertragsschluss. Doch das Verfahren ist seit Jahren vor allem im deutschen Gesundheitssektor etabliert, sagt Vergaberechtler Dr. Marc Gabriel von der Kanzlei Baker McKenzie.

Insbesondere Krankenkassen setzen das Open-House-Verfahren Gabriel zufolge bei der Beschaffung von Arzneimitteln ein. Und es hat Vor- und Nachteile: "Im Grunde sagt der Auftraggeber: Jeder, der zu meinen Bedingungen liefern kann, macht mit", sagt der Vergaberechtler. "Den besten Preis wird der Auftraggeber auf diese Weise nicht erzielen, aber das Verfahren verursacht auch wenig Streit zwischen Anbieter und Auftraggeber". Ein weiteres Plus aus Auftraggebersicht: Er könne sicher sein, dass er irgendwoher etwas bekomme, so Gabriel weiter.

Aus Händlersicht ist denn auch weniger das Verfahren problematisch als vielmehr die Art und Weise, wie die Verträge gelebt werden. Denn seit Wochen häufen sich Medienberichte darüber, dass Lieferanten vergeblich auf ihr Geld warten. Wie unter anderem das Magazin Capital berichtet, hatte zum einen der vom Bund beauftragte Logistiker Schwierigkeiten, die Anlieferungen abzuwickeln. Zum anderen berufe der Bund sich darauf, dass der TÜV bei Prüfungen festgestellt habe, dass es Qualitätsmängel bei den Schutzmasken gebe, weshalb sie nicht abgenommen würden.

Einige Lieferanten vermuten dahinter eine Absicht, schreibt das Magazin. Der Gesundheitsminister habe viel zu viele Schutzmasken geordert – und noch dazu zu einem recht hohen Preis. Nun versuche er, aus den Verträgen herauszukommen, so der Vorwurf.

Das Gesundheitsministerium selbst teilt mit, dass fast die Hälfte der 700 Vertragspartner aus dem Open-House-Verfahren die Lieferfristen nicht eingehalten habe und daher aus dem Vertrag ausgeschieden sei. Von rund einem Sechstel der verbliebenen Verträge sei man aufgrund mangelnder Qualität der Ware vollständig zurückgetreten.

Ab Herbst wird in Bonn verhandelt

Diejenigen Lieferanten, die leer ausgegangen sind, versuchen nun auf einem anderen Weg zu ihrem Recht zu kommen. Fast 50 Klagen sind bislang gegen das Gesundheitsministerium beim Landgericht (LG) Bonn eingegangen. Gerichtssprecher Tobias Gülich bestätigte gegenüber LTO, dass Händler und Hersteller, mit denen das Gesundheitsministerium im Open-House-Verfahren Lieferverträge geschlossen hat, ausstehende Zahlungen einklagen, teilweise auch die Abnahme der Lieferungen.

Es geht Gülich zufolge meist um Beträge von ein bis zwei Millionen Euro, in der größten bislang eingegangenen Klage werden fast 38 Millionen gefordert. Vier Verfahren hat das Gericht bereits terminiert, am 25. September findet die erste Verhandlung statt. Für Gesundheitsminister Spahn könnte damit auf einen heißen Frühling ein ungemütlicher Herbst folgen.

Zitiervorschlag

Anja Hall, Wie das BMG Schutzmasken beschaffte: . In: Legal Tribune Online, 13.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42486 (abgerufen am: 03.10.2024 )

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